Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 22. Januar 2007, Heft 2

Was läßt Sammy rennen?

von Uri Avnery, Tel Aviv

Was kümmern mich Prinzipien! Ich will nur eines, daß meine Frau zusammen mit mir lebt und daß wir eine Familie gründen können!« rief ein netter, junger Mann leidenschaftlich bei einer Fernseh-Talkshow.
Sammy ist ein arabischer Einwohner von Akko, der an der Haifaer Universität promoviert. Etwas Schreckliches ist ihm passiert: Er verliebte sich in die falsche Frau – eine Palästinenserin aus Jenin in den besetzten Gebieten. Er hatte sie zufällig in Ramallah getroffen, beantragte für sie – unter einem Vorwand, wie er zugab – eine Aufenthaltsgenehmigung für einen Tag in Israel und heiratete sie. Seitdem kann er sie nur alle paar Wochen in Jenin besuchen. Sie kann nicht nach Akko kommen, weil die Knesset ein »zeitweiliges« Gesetz geschaffen hat, das kategorisch und ausnahmslos palästinensischen Frauen aus den besetzten Gebieten verbietet, bei ihren Ehepartnern in Israel zu leben. Das trifft natürlich auch auf Palästinenser in den besetzten Gebieten zu, die eine arabische Frau aus Israel geheiratet haben.
Die Freiheit – egal wen – zu lieben und zu heiraten, gehört zu den menschlichen Grundrechten. Dies 1,4 Millionen israelischen Bürgern zu verweigern, nur weil sie Araber sind, ist eine ernsthafte Verletzung internationaler Menschenrechte. Der Vorwand ist die »Sicherheit«. Unter den 105000 palästinensischen Frauen aus den besetzten Gebieten, die im Laufe der Jahre israelische Bürger geheiratet haben, haben 25 an terroristischen Aktionen teilgenommen. Fünfundzwanzig zu Einhundertviertausendneunhundertfünfundsiebzig!
Hinter dem Verbot lauert der demographische Dämon, ein Dämon mit unheimlicher Macht auf israelische Gehirne, einer, der unsere Gedanken verdreht, Anstand und Moral löscht und normale Menschen zu Monstern werden läßt. Die Botschafter des Dämons suchen in der ganzen Welt nach wirklichen und nach vermeintlichen Juden. Zum Beispiel entdeckten sie Inder, die behaupteten, Abkommen des Stammes Manasse zu sein, eines der zehn Stämme, die nach der Bibel vor etwa 2720 Jahren von den Assyrern aus Palästina vertrieben worden waren; sie brachten sie nach Israel. In Neu-Mexiko entdeckten sie Familien, deren Vorfahren vermutlich Juden waren, die vor fünfhundert Jahren während der spanischen Inquisition unter Zwang getauft wurden. Sie bringen russische Christen, die eine Verbindung zu jüdischen Familien haben, ins Land und die Flashmura aus Äthiopien, deren Judentum ziemlich zweifelhaft ist. All diese Leute erhalten unverzüglich die Einbürgerung und eine großzügige, »Absorptionskorb« genannte, finanzielle Hilfe. Aber einer jungen Frau aus Jenin, deren Familie seit Jahrhunderten in diesem Lande lebt, wird es nicht erlaubt, hier mit ihrem Mann, dessen Vorfahren seit Generationen in Akko leben, zusammen zu sein.
Vor einhundertzwanzig Jahren besuchte Asher Ginsburg Palästina. Als Ahad Ha’am (»einer aus dem Volk«) und als großer jüdischer Denker war er bekannt und darüber erschrocken gewesen, wie einheimische Araber von jüdischen Siedlern behandelt wurden. Seitdem gibt es viele Vorwände, um die Araber aus dem Lande zu treiben. Fast jährlich ändert sich der in Mode stehende Vorwand. Nun gibt es einen neuen: den »Nationalstaat«. Israel sei ein »Nationalstaat« für Juden, und deshalb habe er das Recht, alles zu tun, was Juden diene und Nichtjuden verletze, selbst wenn sie Bürger Israels sind. »Das Gute für den einzelnen muß für das Gute der Allgemeinheit geopfert werden«, sagte ein geachteter Professor zum Fall Sammy, »und das Gute der Allgemeinheit verlangt, daß die palästinensische Frau von Sammy nicht in Israel lebt, das ein jüdischer Nationalstaat ist.« Das klingt einfach und logisch. Der Nationalstaat existiert für die Nation. Aber es ist überhaupt nicht einfach. Da stellen sich eine Reihe schwieriger Fragen. Jeder, der behauptet, Israel sei ein Staat der weltweiten jüdischen Nation, beraubt das Wort Nation seines wirklichen Inhaltes. Denn dies würde bedeuten, daß unser Staat einer Gemeinschaft gehören würde, deren größter Teil nicht in Israel lebt, keine israelischen Bürger sind, in Israel keine Steuern zahlt und bei Wahlen kein Stimmrecht hat. Amerikanische Juden wie Henry Kissinger, Paul Wolfowitz und Thomas Friedman, die mit Leib und Seele mit Israel verbunden sind, würden es heftig leugnen, daß sie eher zu einer jüdischen Nation als zur amerikanischen Nation gehören.
Vor Jahren erließ die Knesset ein Gesetz, das jedem das Recht verweigerte, sich für die Wahlen aufstellen zu lassen, wenn er leugnet, daß Israel der Staat des jüdischen Volkes sei. Doch nur wer die israelische Staatsbürgerschaft hat, kann an der Wahl teilnehmen. Gehört deshalb vielleicht unser Nationalstaat eher zu einer jüdisch-israelischen Nation? Ist Israel der Nationalstaat nur für seine jüdischen Bürger?
Viele Israelis mögen so empfinden. Aber das widerspricht der israelischen Gesetzgebung, die besagt, alle seine Bürger seien vor dem Gesetz gleich. Nach dem Obersten Gerichtshof und der offiziellen Doktrin ist Israel ein »jüdischer und demokratischer Staat« – also eine Quadratur des Kreises. In israelischen Ausweisen befindet sich auch die Rubrik Nation. Bei Ausweisen, die Juden gehören, steht an dieser Stelle »jüdisch«. Vor Jahren wies der Oberste Gerichtshof die Petition eines Bürgers ab, der bei »Nation« »israelisch« stehen haben wollte; derzeit ist der Gerichtshof mit einer Petition Dutzender Bürger (einschließlich meiner Person) befaßt, die in ihrem Ausweis unter »Nation« auch »israelisch« stehen haben wollen.

Aus dem Englischen von E. Rohlfs und A. Butterweck; redaktionell gekürzt