von Hendryk Goldberg
Sie ist schuld. Und jetzt macht sie so ein Gedöns. Dabei, ohne sie würde ich wohl noch mit diesem Feldtelefon herumlaufen, das sie damals Handy nannten. Eigentlich habe ich nämlich eine Telefonphobie. Vielleicht weil ich in der DDR nie eins hatte. Immer, wenn eines ins Haus kam, bin ich ausgezogen.
Ich hatte hier in diesem Hause einst auch einen relativ ernsthaften Disput zu bestehen, weil ich mich dem Ansinnen verweigerte, ständig erreichbar zu sein. Schließlich, ich habe wenig Neigung, gegen 21 Uhr mit Recherchen beauflagt zu werden.
Das Verhältnis zum Handy wurde an dem Tag etwas konstruktiver, an dem ich in Andisleben einen Platten hatte und eine sogenannte Acht dazu. Nichts ging mehr. Ich nutzte die damals dort noch existierende Notrufsäule, am anderen Ende war ein netter Mensch in Hamburg. Den bat ich, in Erfurt ein Taxi zu rufen, das auch Raum für ein Rad hat. Seitdem kommt ein Handy immer ins Trikot, neben die Banane.
Und dann kam sie. Eigentlich war sie ja schon da, aber die Dinge gerieten in Bewegung und ich auch. So entstand ein Kommunikationsbedürfnis, das außerhalb der Bürozeiten nur eingeschränkt zu befriedigen war. Also wurde gesimst. Der Arzt kam nicht, es fehlte aber nicht mehr viel. Das bislang genutzte Prepaid-Handy genügte den Anforderungen bald nicht mehr. Es war einfach nervend, alle Nase lang das Guthaben erneuern zu müssen. Die Telekom-Aktie soll in dieser Zeit außergewöhnlich gut bewertet worden sein. So kam ich, durch ihre Schuld, zu meinem ersten Handy mit Vertrag.
Es ist wie mit den Autos. Kein Mensch, dachte ich, als der Westen begann, braucht elektrische Fensterheber, Tempomat, Klimaanlage, elektrische Sitzheizung und diesen ganzen Firlefanz. Stimmt, das braucht wirklich kein Mensch. Ich habe das alles und gebe es nie mehr her.
So kam ich jetzt zum I-Phone. Nun kann ich der Dame jederzeit berichten, ob Onkel Kolja in der Ukraine gerade Online ist bei Skype. Kein Mensch braucht die Tagesschau und den MDR, das Telefonbuch und seine Mails und das ganze Internet ständig in der Tasche. Ich habe das jetzt alles und selbstverständlich ist es Firlefanz. Und großartig.
Und die Simsen, vulgo: Short Message Service, sind jetzt schön bunt. Meine schwarz auf grün, ihre schwarz auf grau. So konnte ich, als wir am Dienstag in Kolonne nach Bindersleben fuhren, sofort erkennen, was sie mir während der Fahrt von hinten funkte: „Ich tanken“. Das war gut, denn nie wäre ich auf den Gedanken verfallen, dass sie wegen der Tankstelle abbiegt. Ich hatte ihre Tankanzeige gesehen und wusste, sie musste noch Sprit für fast zehn Kilometer haben. Wieso will sie da jetzt schon tanken? Will sie so ein Langweiler werden wie ich?
Seitdem ich dieses iPhone habe, trifft mich erbarmungsloser Spott. Preuße, Ringordnerfanatiker, Spießer. Nur weil ich mir jetzt manchmal eine Erinnerungs-Mail nach Hause oder in die Redaktion schicke. Nur weil ich jetzt manchmal etwas in diesen Kalender eintrage. Nur weil ich dieses Vielleicht-denk-ich-dran-vielleicht-auch-nicht-Spiel nicht so gern habe. So habe ich eine Erinnerung im Januar 2012 platziert. Da müssen wir einen Antrag stellen und erhalten dafür jeder so um die 500 Euro. Sie wird das Geld ausgeben und „Preuße“ murmeln.
Am Freitag wollten wir mit Runhard und Pia aus Berlin in die Erfurter Oper, „Die Fledermaus“ sollte gespielt werden. Die Karten waren regulär bezahlt. Am Donnerstag morgen fragte ich, wo denn die vier Karten seien, in der Schublade waren sie nicht. Wir suchten und suchten, nichts. Schließlich kam mir der erlösende Gedanke. Ich suchte und fand die teuren Theaterkarten dort, wo sie in einem entspannten, unpreußischem Haushalt füglich zu erwarten sind. Im Papierkorb.
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