von Frank Schumann
Dieter Schubert war, ehe er Redakteur bei der Tageszeitung Junge Welt wurde, Kunstschmied, Abriß- und Transportarbeiter und schließlich Boxer in der Spitzenklasse. Ende der sechziger Jahre stieg er von der Presse-Galeere und wurde freier Schriftsteller. Seit Biermanns Ausbürgerung war er jedoch ein unerwünschter Autor, obgleich er mit »Acht Unzen Träume« (Erstausgabe 1968 bei Neues Leben) ein viel beachtetes Werk vorgelegt hatte. Dafür gab es den Preis der Akademie der Künste. 1979 flog er jedoch mit Stefan Heym, Klaus Schlesinger, Kurt Bartsch, Adolf Endler, Karl-Heinz Jakobs, Klaus Poche, Rolf Schneider und Joachim Seyppel aus dem Schriftstellerverband, weil er Unterschriften gesammelt und den Protest öffentlich gemacht hatte. Im nachfolgenden Jahrzehnt weitgehend ausgegrenzt und verschwiegen, zeitweise beobachtet und belauscht, wurde er erst Ende 1989 rehabilitiert.
Als er Mitte der neunziger Jahre erstmals zu mir in den Verlag kam, waren inzwischen zwar etliche seiner Erzählungen in verschiedene Sprachen übersetzt worden, sein Œuvre umfaßte mehrere Hörspiele und Filmdrehbücher (unter anderem »Olle Henry«, 1983 von der DEFA realisiert, in der Hauptrolle Michael Gwisdek), er arbeitete an verschiedenen Skripten fürs Fernsehen, aber richtig glücklich schien er mit der neuen Zeit nicht zu sein, weshalb er sich die meiste Zeit des Jahres mit seiner Frau auf seinen Landsitz vor den Toren Berlins zurückzog.
Weshalb er ausgerechnet zu mir, zur edition ost, kam, vermochte ich damals nicht zu ergründen. Vielleicht weil wir beide einmal bei der gleichen Zeitung gearbeitet hatten, oder weil seine Berliner Adresse und der Verlagssitz keine 200 Meter auseinanderlagen, oder, was gewiß auch zutraf, weil wir uns in Sachen Biermann inzwischen ziemlich einig waren. Ich hielt den Vorgang der Ausbürgerung gleich Schubert für einen Skandal, wenngleich ich schon damals – im Unterschied zu Schubert, weshalb dieser und nicht ich seinerzeit Unterschriften für Biermann gesammelt hatte – den Barden für einen aufgeblasenen Wichtigtuer hielt.
Der sensible, stille Schubert hatte aber seither diesen politischen Marktschreier mit der Leier, der nur noch ein Thema und sonst nichts mehr hatte, aufmerksam und kritisch beobachtet und legte mir nun ein Manuskript vor. Die Satire hatte er »Puppenspieler Pippow« betitelt. Darin sammelte sein Alter ego namens Harry Unterschriften von Prominenten, weil Pippow wieder nach Hause soll. Er besuchte in dieser Mission die weltbekannte Sopranistin Jenny Juno und den Shanty-Sänger Kalle Kaloschke. Er konspirierte mit der ZDF-Redakteurin Lilli und einem Kreuzberger Graphiker, der auf sinnfällige Weise demonstrierte, daß die West-Linken auch keinen mehr hochkriegten. Harry war nicht ganz zufällig in eine Geschichte geraten, die in die Geschichte eingehen sollte. Was er berichtete, war die lautere Wahrheit, die einzig ein wenig satirisch gebeugt wurde. Ansonsten aber stimmte alles: Orte, Zeiten, Personen. Vielleicht trugen sie damals lediglich andere Namen.
Schubert hatte sich also heiter eines Themas bemächtigt, an dessen Zustandekommen er selbst nicht unwesentlich beteiligt war. Die 20. Wiederkehr jenes Tages schien ihm Anlaß, mit Legenden aufzuräumen und wohl auch mit sich ins Reine zu kommen. Einmal mehr bewies er sich als begnadeter Erzähler. Die Kritiken auf sein Buch waren durchgängig positiv. Werner Liersch befand ganzseitig in der Wochenpost: »Schuberts rücksichtslose Persiflage ist ein Text zum Donnern der Biermannlawine in den Neunzigern.« Liersch rechnete Schuberts Burleske gar zu den »besten Geschichten über die DDR, weil dieser Mann auch den schönen Bonus gelernter Osterfahrung hat«.
Das Publikum schien es ein wenig anders zu sehen, was einmal mehr meine Vermutung bestätigte, daß sich schon 1996 für Biermann kein Hund mehr interessierte. Das bestätigte sich auch zehn Jahre später, als wir mit »Sänger und Souffleur. Biermann, Havemann und die DDR« die Ausbürgerung und deren Hintergründe neuerlich erörterten und dazu auch Auszüge vom »Puppenspieler Pippow« verwandten, weil es bis dato nichts Besseres dazu gab.
Das sollte, wie sich jetzt zeigte, Dieter Schuberts letzte Veröffentlichung gewesen sein. Er ist am 11. November 2008, fast 80 Jahre alt, in Berlin an Herzversagen gestorben.
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