Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 24. November 2008, Heft 24

Es ist Auktion, und keiner geht hin

von Angelika Leitzke

Damien Hirst ist bekanntlich der Mann, der mit einem Totenschädel als memento mori bereits zur Welt kam, mit ihm weise nickend: Ihr werdet es schon noch erleben, ihr bösen Kunstbuben, ihr! Nun findet der britische Künstlerfürst auf seinen selbstgemachten Auktionen für seine Werke keine Abnehmer mehr, da keiner mehr seine in Formaldehyd eingelegten Haifische und präparierten Steinzeitleichen kaufen kann, geschweige denn sich anschauen will. Auch vor der schönen Muse machte der Schwarze September 08 nicht halt.
Hirst hat sich daraufhin folgerichtig in seinem neogotischen Schloß bei Gloucestershire die Kugel gegeben und wartet nun, in Eis gelegt, auf seine Wiedererweckung in ein paar Dezennien, wenn die größte Schweinerei des finanziellen Totalcrashs halbwegs beseitigt ist. Damit avanciert er zur größten lebenden toten Kunstfigur, die sich den Tod zum Kunstsujet und Lebensziel gleichermaßen erkoren hat. Ob bereits Pilgerfahrten zu Hirsts Eissarg stattfinden, ist noch nicht bekannt. Der bad guy hat sein Ziel also noch nicht gänzlich erreicht, nämlich mit Hilfe jener Superreichen, die er so gerne als Opfer ihrer eigenen Sammelwut sehen wollte, die Autonomie der Kunst vor der Allmacht des Geldes zu bewahren. Hirst hat dem schnöden Mammon eine Nase gedreht und ist, während er sich dabei eine goldene verdiente, selbst kurzfristig ins Grab gefahren.
Die schöne Unvergänglichkeit seines mit ewigen Diamanten besetzten Totenkopfes läßt nun jene totenbleich erblassen, die bereits die Vergänglichkeit ihrer eigenen Diamanten erleben mußten. Erstens können sie sich den Hirstschen Schädel nicht mehr leisten, zweitens erinnert er sie doch zu peinlichst an die eigene Not.
Etwas besser ergeht es vielleicht Jeff Koons, dem Enfant terrible der New Yorker Kunstszene. Er darf zwar seine aufgeblasenen Comicfiguren und mit Plexiglas verkleideten Staubsauger, seinen Marilyn Monroe- und Michael Jackson-Porzellankitsch, mit dem er medienverblödete Massen und Disneyland-Millionäre beglücken will, nicht mehr im Park von Versailles aufstellen, sondern ist dazu verdammt, das Zeug bei sich zu Hause anzuglotzen. Doch kann er aber sicherlich noch weiter für die Deutsche Guggenheim Berlin werkeln, ein Joint Venture aus dem Guggenheim Museum of New York und der Deutschen Bank. Deren Chef, Josef Ackermann, ließ erst kürzlich verlauten, sein Unternehmen bedürfe der staatlichen Finanzspritze ganz gewiß nicht. Es lebe die staatliche Autonomie der Kunst!
Die globale Finanzkrise treibt auch andernorts seltsame Blüten. Verschollen und versandet geglaubte Werke von Hans Arp über Liebermann und Monet bis hin zu Rembrandt und Co. tauchen plötzlich auf, da ihre Besitzer nicht mehr wissen, wie sie die Miete ihrer Luxuswohnung am Buckingham Palace, geschweige denn die Dienerschaft ihrer Villa in Saint Tropez bezahlen sollen. Künstlererben geben grünes Licht für den unbegrenzten Nachguß der bronzenen Schöpfungen ihrer Ahnen, selbst wenn diese schon über siebzig Jahre unter der Erde ruhen sollten. Werkverzeichnisse werden neu geschrieben und ergänzt; aber es ist keiner da, der sie lesen oder gar etwas kaufen will, da die Museen ihr Personal entlassen haben, nachdem das private Sponsoring unter ihren Säulen weggekracht ist und der Staat ja die Banken unterstützen muß. Rechtsanwälte haben Hochkonjunktur, sofern sie sich mit der Rückgabe von Nazi-Beutekunst aus einstmals jüdischem Besitz befassen. Wenn’s ums Geld geht, geht’s nicht um die Sparkasse, sondern ans Eingemachte.
Auktionatoren halten nach dem bewährten Slogan »Geiz ist geil« für ein Drittel der Taxe abzüglich Rabatt für Stammkunden dutzendweise Picasso unter den Hammer und erstehen ihre Maßanzüge nur noch bei Woolworth & Co. Andere haben sich aus Verzweiflung aus dem Fenster gestürzt, die Marken-Hornbrille dabei als Rettungsring umklammernd. Freunde werden mit opulentem Catering bestochen, ob sie nicht doch noch etwas aus dem privaten Gemäldefundus kaufen wollen – doch die lehnen händeringend ab, da sie gerade damit beschäftigt sind, ihre noch auf dem Bankkonto verbliebenen Kröten nach Hause unter das Kopfkissen zu verfrachten.
Kunsthistoriker mit betriebwirtschaftlicher Zusatzausbildung rufen – zum wievielsten Male schon? – den Tod der Kunst aus, diesmal aus echter Überzeugung. Denn nachdem Hirst eingefroren und als Selbstvermarkter abgetreten ist und die Auktionshäuser gähnend leerstehen, haben auch die Galerien nur noch sonntags geöffnet, aus dem Depot Mängelware – Probedrucke, Kirchners in Davos gemalte letzten Bilder oder schlechte Fälschungen – anbietend. Der Rest wurde verpfändet, um die Standortmiete zu sichern. Hin und wieder taucht ein noch unbekanntes, metaphorisch aufgeladenes Spätwerk von Anselm Kiefer auf, betitelt: »Der Tod der Titanic – Folgen des Kapitalismus«. Zu sehen ist hauptsächlich ein Kalvarienberg mit einem Haufen übermalter Dollarnoten. Derzeit kann sich nicht einmal die Bundesregierung den Erwerb des Gemäldes leisten.
Auch für Fälscher und Kopisten sind schlechte Zeiten angebrochen, da Versteigerungshäuser und Museen keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr für sie haben. Diebe und Hehler sind von Kunst wieder auf normale Gebrauchsgegenstände wie Autos und Stereoanlagen umgestiegen, denn sogar die Russen wollen ihnen ihren manipulierten Schrott nicht mehr abkaufen.
Aber allen Ernstes: Was sind schon läppische 12,5 Milliarden Dollar Jahresumsatz bei Sotheby’s und Christie’s gegenüber den 700 Milliarden Dollar der Bush-Regierung für die angeschlagenen Banker? Was sind die von der deutschen Kanzlerin versprochenen 480 Milliarden Euro angesichts der simplen acht Milliarden Euro, die Bund, Länder und Gemeinden jährlich für Kultur ausgeben?
Da gibt’s nur eins: Künstler, nur weiter so, macht eure Kunst in Zukunft noch teurer, als sie ohnehin schon war! Also darf Damien Hirst nach seiner Auferstehung aus dem Eis seinen 75 Millionen Euro teuren Diamantschädel, den der einstigen Käufer, eine Investmentgruppe, längst billig weiter verscherbeln mußte, für das Doppelte anbieten – mindestens, und das, bitteschön, nur als Kopie. Man kann ja nicht wissen, wann der nächste Schwarze September kommt.