von Gerhard Henschel
Auch vor achtzehn Jahren war die Welt nicht mehr in Ordnung, aber damals galt es immerhin noch nicht in fast jeder Redaktion als unprofessionell und altmodisch, die schmuddeligen Kollegen von der Bild-»Zeitung« zu verachten. In der Zeit schrieb der Publizist Claus Koch 1990: »Daß Bild den Bodensatz des Journalismus darstellt, darüber gibt es leicht Einigkeit, wohl auch unter gar nicht so wenigen seiner Leser. Nicht so einfach wird eingestanden, daß alle Käufer und Leser von Bild Pöbel sind. Pöbel sind gewiß auch die Politiker, die sich auf Bild einlassen. (Nicht einmal der Staatsnotstand sollte es rechtfertigen können, den Bild-Chefredakteur vorzulassen.)«
Den Bild-Chefredakteur hatte allerdings schon Konrad Adenauer ins Bundeskanzleramt vorgelassen und bevorzugt behandelt. Von Helmut Schmidt stammt die Weisheit, wer sich mit Bild verfeinde, begehe politischen Selbstmord, und wer das Volk erreichen wolle, müsse in Bild schreiben. Der Kanzler Helmut Kohl gönnte sich einen ehemaligen Bild-Chefredakteur als Pressesprecher und diente einem anderen sogar mit großem Tamtam als Trauzeuge. Nach Gerhard Schröders langjähriger, nur gelegentlich durch Kräche unterbrochener Kumpanei mit Bild hat Angela Merkel die Tradition gepflegt, das Wahlvolk, also uns, von Zeit zu Zeit exklusiv aus den schmierigen Spalten der Bild-Zeitung anzusprechen, ohne sich davon beirren zu lassen, daß im selben Blatt so erbarmungslos im Blut gerührt wird wie in anderen Körperflüssigkeiten: Das Erbrochene einer Prinzessin, der Urin eines Thronfolgers, das Ejakulat eines Spitzensportlers, die Schweißperlen einer betrunkenen Sängerin und die Tränen einer prominenten Frau, die eine Fehlgeburt erlitten hat – all das wird von Bild seit Jahrzehnten zu einem Brei verarbeitet, der mehreren Millionen Lesern zu schmecken scheint.
Wer kein politisches Amt anstrebt und auch keine steile Karriere als Model, Schauspieler, Sportler, Unternehmer oder Fernsehmensch, der kann es sich leisten, die Bild-Zeitung als Dreckblatt zu bezeichnen. Aus gutem Grund hat der von Axel Springer gegründete Verlag sich noch nie mit juristischen Mitteln gegen diese Bezeichnung gewehrt, denn die Beweiserhebung vor Gericht wäre dann doch zu peinlich für Europas größte Tageszeitung und das politische Personal, das mit dem Dreckblatt unter einer Decke steckt.
Im Rahmen einer »Blattkritik« hat sich nun auch der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mit dem Herausgeber der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, zusammengesetzt, vor laufender Kamera, und ihm zu seinem »Mut« gratuliert, einen Speichellecker einzuladen, der mit Hilfe der Bild-Zeitung Kanzler zu werden hofft. »Der SPD-Kanzlerkandidat lobte den Kommentar auf Seite 2 und die exklusiven Auszüge aus dem Buch von Kurt Beck«, meldete Bild. »Aber er übte auch Kritik: Der Bericht ›Gift in Baby-Milch: Auch Nestlé betroffen!‹ könne Mutter glauben lassen, daß der Skandal auch Deutschland erreicht habe.« So entledigte sich der Kanzlerkandidat Steinmeier seiner Pflicht, als willfährige Galionsfigur des größten europäischen Dreckblatts doch noch so etwas wie kritischen Sachverstand zu simulieren. Es wäre kein Wunder, wenn Steinmeier das Verlagshaus danach durch den Dienstboteneingang verlassen hätte.
Und wer bedrängt die SPD von links? Ein abgemeierter Bild-Zeitungs-Kolumnist namens Oskar Lafontaine.
Dieser Tage erschien von Gerhard Henschel »Die Springer-Bibel. Ein Panorama der Mediengeschichte«, Hamburg 2008, konkret text 48, 14,00 Euro; sein »Gossenreport – Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung« ist jetzt auch als Rowohlt-Taschenbuch erhältlich, Preis: 7,95 Euro
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