von Klaus-Dieter Block
Luxus ist heute ziemlich billig zu haben. Zum Beispiel eine Rolex-Markenuhr in Shanghai oder eine Gucci-Handtasche in Florenz. Fliegende Händler bieten sie an. Die kostengünstigen Luxusgüter haben nur einen Makel: Es sind Kopien, Fälschungen. Wo Rolex draufsteht, ist nicht Rolex drin. Und wenn man Pech hat, bleibt die Uhr kurz nach dem Schnäppchenkauf stehen. Für immer. Aber sie sieht gut aus, und man fühlt sich ein bißchen dazugehörig. Zu den Reichen und Schönen, zur Luxusklasse. Zumindest auf den ersten Blick.
Die Verwässerung oder die Verfälschung von Luxus ist allerdings nur ein Randproblem. Schwerwiegender ist die Frage: Wie ergeht es dem Luxus – dem Aufwand, der über das Notwendige hinausgeht, dem besonderen Konsumkick – in Zeiten der sozialen Krisen?
Voraussetzung für eine luxuriöse Lebensweise ist Geld. Weltweit gibt es 8300000 Dollar-Millionäre, das sind 0,13 Prozent der Weltbevölkerung. Die höchste Quote bei den Millionären, gemessen an der Bevölkerungszahl, hat die Schweiz mit 2,5 Prozent, das heißt jeder 40. Schweizer ist Millionär. In Deutschland liegt der Anteil bei 0,9 Prozent. Insgesamt gibt es hier 798000 Dollar-Millionäre. Tendenz steigend.
Nicht jeder Millionär lebt luxuriös. Umgekehrt leisten sich nicht wenige Normalverdiener Luxus, obwohl sie ihn sich nicht leisten können. Sie kaufen bei Aldi und verschaffen sich damit die eigene moralische Legitimation für den einen oder anderen Luxus. Aus der Kombination von Askese und Luxus wird Luxese.
Mit Luxus werden Signale gesetzt. Diese Funktion ist seit Jahrtausenden unverändert. Luxus signalisiert Reichtum, Macht, Erfolg und Einfluß. Luxus ist ein Erkennungszeichen: Aha, er gehört zu uns. Und eine gefälschte Uhr ist für die Kenner das Signal: Der ist hier falsch. Um ganz sicher zu gehen, fragen sie ihn zu später Stunde nach der Uhrzeit. Und natürlich geht es bei den eigentlich unbezahlbaren Dingen des Lebens auch um den Wettbewerb innerhalb der Luxusklasse. Wer ist der Luxuriöseste im ganzen Land? Luxus ist die Uniform der Reichen, Uhren, Kleidung, Möbel, Schmuck, Parfüm und das Auto sind die Rangabzeichen.
Was sich ständig ändert, sind die Luxusgegenstände und die Dienstleistungen. Eine Bibel, eine eigene Kutsche, ein Schlafzimmer, ein Wasserhahn oder exotische Gewürze sind heute kein Luxus mehr. Dadurch, daß in den vergangenen Jahrzehnten in den entwickelten Ländern das »gemeine Volk« bestimmte Luxussymbole ihrer Exklusivität beraubt hat, besteht für die Luxuselite eine ständige Herausforderung, den Abstand zu wahren. In Deutschland, in anderen Industrieländern und sogar in neureichen Schwellenländern wie in Rußland ist in letzter Zeit eine veränderte Situation entstanden: eine neuerwachte puritanische Luxusfeindlichkeit. Ist das nur ein Pendelausschlag im jahrhundertelangen Hin und Her zwischen schulterzuckender Luxusakzeptanz und Widerstand gegen sinnlose Verschwendung?
Natürlich geht es nicht vordergründig um die goldene, mit Brillanten besetzte Uhr, die Zwei-Millionen-Yacht oder die Drei-Wochen-Reise nach Südamerika für 30000 Euro, inklusive Vollpension versteht sich. Aber das sind Symbole für eine drohende gesellschaftliche Schieflage in Form von postfeudalen Ungerechtigkeiten, die den neuen Geldadel in den Fokus der Öffentlichkeit stellt. Von Reichensteuer ist die Rede und von Erbschaftssteuer. Bestechungs- und Abhörskandale in den Konzernzentralen tun ein übriges. Teile der bundesdeutschen Elite haben sich in den Augen der Bevölkerung selbst moralisch diskreditiert. Wird der Luxus – als Synonym für Reichtum – zum Spaltpilz der Gesellschaft?
Es treten Dinge auf, die es in der Geschichte der sozialen Marktwirtschaft bisher so nicht gab: Massenentlassungen in Zeiten des Gewinns; bei Spitzenmanagern schwindende Verantwortung für das Gemeinwohl, die dorthin gehen, wo die Profitrate am höchsten ist. In Deutschland bröckelt die Mittelklasse, bisher eine wichtige Achse der gesellschaftlichen Stabilität. Geschätzt wird, daß ihr Anteil im Sozialgefüge seit 2000 von 62 Prozent auf 54 Prozent gesunken ist. Aus der Traum vom Aufstieg. Die Luxusklasse rückt in unerreichbare Ferne.
Zudem besteht die gefährliche Tendenz, daß sich die Elite ihre eigene Welt schafft. Nicht nur in Hotels und Clubs oder beim Reisen, sondern auch bei der Bildung ihres Nachwuchses und bei der Gesundheitsversorgung; schon heute sind bestimmte Untersuchungen nur noch privat zu haben. Die Chancengleichheit, unabhängig von der sozialen Herkunft, ist gefährdet und damit der Zusammenhalt der Gesellschaft.
Sozialneid war gestern. Wut und Empörung treten an seine Stelle. Das ist der eigentliche Grund, warum bestimmte Luxussignale nicht mehr gesendet werden. »Stealth wealth« – getarnter Reichtum heißt der neue Zug. Die Diamanten werden an der Uhr nicht mehr offen getragen, sondern funkeln im Dunkeln auf der Innenseite des Armbands.
Zöllner an der Schweizer Grenze können davon ein Lied singen – von Steuerflüchtlingen, die früher mit dem Sportwagen oder einem großen Benz Geld auf eine Schweizer Bank brachten und heute mit dem alten Opel vom Enkel anfahren. Stutzig werden die Zöllner manchmal durch die Rolex-Uhr am Handgelenk. Da nützt es dem Fahrer auch wenig zu sagen: »Aber das ist doch nur eine Kopie.«
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