von Martin Nicklaus
Vom Dach der Welt dringt gerade Lärm, zu dessen Quelle der Freitag erklärte: »Über die aktuelle Situation in Tibet weiß man so gut wie nichts.« Allgemein beruhen unsere Kenntnisse über diese Region auf einer Grundlage, die Horst Evers als »Gefühltes Wissen« beschrieb. Beim ganz unvergleichlichen Bild-Briefeschreiber Franz Josef Wagner liest sich das so: »Ein Tibeter tötet nicht. Mord ist für Tibeter unvorstellbar.« Gefühltes Wissen. Dazu gesellen sich Falschmeldungen über Brutalitäten chinesischer Sicherheitskräfte. Natürlich traut jeder dem übrigens durch deutsche Entwicklungshilfe bis heute unterstützten chinesischen Leviathan, der Menschen rein funktionell sieht, jeden Exzeß zu, und offensichtlich waren westliche Medien zu sehr gewohnt, bei fernöstlichen Meldungen schalten und walten zu dürfen, wie sie wollen.
Gut ein halbes Jahr, also längst vergessen, liegen Ereignisse zurück, die sie »Safran-Revolution in Burma« tauften. An dieser Bezeichnung war jedes Wort außer »in« falsch. Beginnen wir beim Landesnamen. Auf dem Weg nach Salt Lake City entdeckte 2002 ein Olympia-Fackelläufer in seinem Shirt den Schriftzug Made in Myanmar und beschwerte sich, Kleidung aus einem boykottierten Land tragen zu müssen. Das Organisationskomitee erklärte darauf hin, Myanmar wäre in Ordnung, boykottiert würde Burma.. SpiegelOnline berichtete bis zum 26. September 2007 aus Myanmar, dann plötzlich, in Huldigung der ehemaligen britischen Besatzung, aus Burma (deutsch: Birma).
Nachdem die herrschenden Militärs 1988 – in Vorwegnahme der »chinesischen Lösung« – Großdemonstrationen zusammengeschossen hatten, waren sie der Meinung, ein wenig Zuckerbrot verteilen zu müssen. Als Akt der Befreiung von kolonialen Überbleibseln vollzogen sie Umbenennungen, unter anderem die des Landes von Burma in Myanmar. Der Bevölkerung war dieser Name ohnehin geläufig. »Faktisch war Myanmar bereits zur Zeit des Besuches von Marco Polo im 13. Jahrhundert der offizielle Landesname«, so Joe Cummings im Reiseführer Myanmar.
Vor einem halben Jahr also gingen Mönche auf die Straße, um gegen die Mangelwirtschaft zu protestieren. Leider trugen Sie keine Plakate, die näheren Aufschluß über ihre Ziele, Vorstellung und Forderungen hätten vermitteln können. Von diesen Ereignissen als Revolution zu erzählen, erklärt sich lediglich aus dem propagandistischen Willen zur Aufwertung der gewalttätig auseinandergetriebenen Demonstrationen und der anschließenden Verhaftungen. Was wir ansonsten erfuhren, stammte aus Zeitungsberichten mit sonderbarer Quellenlage: Im Freitag schilderte eine »hübsche Burmesin«, die der Reporter zufällig am Flughafen traf, die Lage. Dem Zeit-Journalisten tauchte ein junger Mönch aus dem Nichts auf, dessen Bericht er niederschrieb. Ein andermal mußte ein 22 Jahre alter Mönch herhalten, der zu einem Mann hinter einem grünen Plastikvorhang schlich, um ihm seine Geschichte zu erzählen, die dann irgendwie in die Frankfurter Rundschau gelangte. Großartige Rechercheleistungen! Schließlich fand Die Zeit doch noch eine kleine Weisheit: »Niemand weiß genau, was in Birma passiert.«
Kommen wir zur Farbe. Mit ihr sollte fehlende Information emotional zu Meinung gebündelt und in Analogie zur orangen Revolution in der Ukraine eine Einordnung erfolgen. Tenor: Die Mönche wollen Freiheit, Demokratie, Menschenrechte … Wobei es den Sprachdrechslern schwerfiel, die geeignete Farbbezeichnung für die namensgebenden Kutten der Mönche zu finden. Safran, gemeint war nicht die violette Blüte, sondern deren als Gewürz verwendeten Stempelfäden, blieb Notlösung. Wir werden noch sehen, warum.
Nähern wir uns über drei Wege. Zuerst philologisch: Safran kommt aus dem Persischen und heißt »das Gelbmachende«. »Safran macht den Kuchen gel«, weiß jedes Kind. Nur gel, das heißt gelb, hat mit den Mönchsgewändern rein gar nichts zu tun. Suchen wir also in zweiter Annäherung unter den genormten RAL-Farben, was dort unter Safran firmiert: Safrangelb. Aber gelb, wie gesagt, ist falsch. Im dritten Anlauf gehen wir in einen Gewürzladen und schauen auf die Verpackung einer Dose Safran.. Leider sind darauf mehrere Gewürzhäufchen abgebildet, jedes schimmert in einer anderen Farbe.
Auf diese Art recherchierten wohl die Grünen, um dann medienwirksam drei verschiedenfarbige Banner über die Balkone ihrer Bundesgeschäftsstelle zu spannen. Zwischen denen posierte Claudia Roth, die inoffizielle Deutsche Meisterin der gefühlten Politik. »Oh Mann, bin ich vielleicht wieder mal total betroffen«, wollte uns ihre Mimik vermitteln, was aber wie immer mißlang. Sie lieferte jedoch immerhin den Schlüssel zur Farbfrage. Im Singsang des Sonntagsrätsels vom Deutschlandradio könnte es heißen: »Vom Zunamen der großen Mimin streichen sie bitte den letzen Buchstaben und erhalten so das Lösungswort.« Rot. Safran ist rot. Die Roben der Mönche in Myanmar sind rot.
»Rote Demonstrationen in Myanmar«? Da verdreht sich ja die ganze Metabotschaft. Das will doch keiner schreiben. Rot ist Kommunismus, ist Schweinkram, ist – Gottseibeiuns – Weltrevolution. Rot geht gar nicht.
Inzwischen kündigten die Militärdiktatoren für den Mai ein Referendum über einen neuen Verfassungsentwurf an, mit dem sie ihre Macht, zwar nur begrenzt, aber dennoch beschneiden. So geht Myanmar mit zaghaften Schritten einen Weg Richtung Sir Poppers offener Gesellschaft. Davon dringt jedoch kaum ein Laut an unser Ohr. Dafür trampelt es auf dem Dach zu sehr.. Dort marschiert man in Gegenrichtung zur offenen Gesellschaft. Denn, so unübersichtlich die Situation ist, nach den zarten Wurzeln einer von Menschlichkeit getragenen Gesellschaft muß man in Tibet und China wie auch in Myanmar tief graben. Dazu wäre der zweieinhalb Jahrtausende alte Schutt auf Buddhas Lehren, in denen, nebenbei bemerkt, kein Dalai Lama vorkommt, wegzuräumen.
Aber, darauf können wir vertrauen, wird Stille einkehren. Und sei es nur eine mediale, analog der Themen Tschetschenen oder Kurden. Denn zum einen fühlt sich die Wirtschaft bei ihren Geschäften mit China gestört, und zum anderen möchte doch keiner durch Nebengeräusche vom Spektakel Olympia abgelenkt werden, wo wir dann, dem gefühlten Wissen nach, chinesischen Dopingrobotern beim Siegen zuschauen dürfen.
Schlagwörter: Martin Nicklaus