von Kai Agthe
Von Novalis geht eine Faszination aus, die junge Menschen, die auf der Suche nach sich selbst sind, ebenso teilen wie gestandene Philologen. Es war dieser frühromantischer Dichter, der mit der blauen Blume das Symbol ewiger Sehnsucht ersann. 1772 in Oberwiederstedt bei Hettstedt geboren, starb der Salinenassessor Friedrich von Hardenberg 1801 in Weißenfels.
Gerhard Schulz – emeritierter Professor für Germanistik im australischen Melbourne und ausgewiesener Kenner der Literatur der deutschen Romantik, der zuletzt eine lobenswerte Biografie Heinrich von Kleists vorlegte – hat im Vorfeld des 240. Geburtstages von Novalis, an den 2012 zu erinnern ist, ein Buch über dessen Leben und Werk vorgelegt. Dem Titel folgend, erwartet man eine veritable Biografie über den Bergbaubeamten und Schriftsteller. Doch im Laufe der Lektüre kommt man bald zu dem Schluss, dass der Autor einzelne und zum Teil spezielle Aufsätze, die früher entstanden sind, hier kompiliert zu haben scheint.
Es fehlt die für eine Biografie notwendige Stringenz in der Darlegung der Lebens- und Werkgeschichte. So wird das Buch nicht mit der Geburt und den ersten Lebensjahren Friedrich von Hardenbergs in Oberwiederstedt eröffnet, sondern mit einem Aufsatz zum einzig authentischen Novalis-Porträt und dessen Variationen in der bildenden Kunst der vergangenen zweihundert Jahre. Die disparate Anlage des Bandes möchte den Leser, der darauf nicht vorbereitet ist, erst verstimmen. Doch die Ausführungen sind so faszinierend, dass man dem Autor nicht gram sein kann, keine klassische Biografie vorgelegt zu haben.
Das Anliegen von Gerhard Schulz ist, Friedrich von Hardenberg, der nur seine Dichtungen mit Novalis unterzeichnete, vom Nimbus des weltenthobenen Jünglings zu befreien. Insofern ist es doch konsequent, den Band mit Ausführungen über jenes Ölbild zu beginnen, das wohl den 16- oder 17-jährigen Friedrich von Hardenberg zeigt. Von diesem Gemälde hat die – ob seines frühen Todes im Alter von 29 Jahren bis heute ergriffene – Nachwelt geschlossen, dass Novalis zeit seines kurzen Lebens ein, wie es sein Leser Friedrich Nietzsche formuliert haben würde, „nur zum Vorübergehen bestimmtes Wesen“ gewesen sei. Doch diese Sicht deckt sich nicht mit der Profession, die Friedrich von Hardenberg ausübte. Als Salinenassessor, der er nach seinem Jura-Studium in Jena, Leipzig und Wittenberg sowie Bergbau-Studien in Freiberg wurde, dürfte Friedrich von Hardenberg, der für die Salzgewinnungsstätten in Kösen, Dürrenberg und Artern zuständig war, alles andere als von zerbrechlicher Gestalt gewesen sein. Es war zuletzt die Tuberkulose, die den Bergbaubeamten im Haupt- und Dichter im Nebenberuf auszehrte.
Auch wenn seine Gedichte oft religiös motiviert und / oder der Liebe gewidmet sind, darf man daraus nicht voreilig den Schluss ziehen, Novalis sei ein Schwärmer und Gottsucher gewesen. In seinem (für einen kaum 30 Jahre alt gewordenen Dichter) erstaunlich umfangreichen Werk finden sich neben den gedankenschweren Lyriksammlungen „Hymnen an die Nacht“ und „Geistliche Lieder“ (von denen einige posthum in protestantische Gesangbücher hinein- und bald wieder herausgefunden haben) auch zahlreiche leichte, beschwingte Texte. Man lese nur jene Gedichte, die er unter anderem auf einen Gartenkauf („Zum 29. April, dem Tage des Gartenkaufs“) und auf die Beerenlese bei Weißenfels („Zur Weinlese – 5. Oktober 1799“) geschrieben hat.
Der Autor legt einen weiteren Akzent auf den politischen Theoretiker, der von Hardenberg als Dichter Novalis auch war. Das bezeugt nicht nur dessen bis heute viel diskutierter Aufsatz „Die Christenheit oder Europa“, sondern ebenso das fragmentarische und erst in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts erstmals als selbständige deutsche Ausgabe edierte Textkonvolut „Das Allgemeine Brouillon“. Für Gerhard Schulz ist es nichts Geringeres als eine „Gedanken- und Beobachtungssammlung“, die, wenn sie vollendet worden wäre, „wohl zu einem der bedeutendsten Werke europäischer Philosophie hätte werden können“.
Wegen seines frühen Todes blieb das Gros von Novalis‘ Prosa-Werken Fragment. Und den zweiten Teil seines Romans „Heinrich von Ofterdingen“ konnte er gar nicht mehr beginnen. Im ersten Teil hat er uns aber verraten, wohin all unsere Sehnsucht strebt. Denn auf Ofterdingens Frage „Wo gehn wir denn hin?“, antwortet das Mädchen Cyane wissend: „Immer nach Hause.“
Gerhard Schulz‘ zeigt mit seinem Buch, dass auch nach mehr als zwei Jahrhunderten die Faszination für Friedrich von Hardenberg alias Novalis bei den Lesern ungebrochen ist. Er legt ebenso überzeugend dar, warum das Bild, das wir von ihm haben, korrekturbedürftig ist.
Gerhard Schulz: Novalis – Leben und Werk Friedrich von Hardenbergs. C.H. Beck, München 2011, 303 Seiten, 24,95 Euro.
Schlagwörter: Gerhard Schulz, Lars Berthold, Novalis