von Holger Politt, Warschau
Als Kazimierz Luxemburg am 1. September 2009 das Warschauer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung besuchte, blickte er im Laufe des Gesprächs sieben Jahrzehnte zurück. Am zweiten Kriegstag sei er aus Warschau nach Lwow geflüchtet, damals eine der großen polnischen Städte, weit im Osten des Landes gelegen. Er habe Frau und Kind seines Bruders Jerzy Edward Luxemburg beschützen sollen, der als polnischer Offizier nach dem 17. September 1939 in die Hände der Roten Armee geriet und später durch den sowjetischen Geheimdienst umgebracht wurde. Da der Medizinstudent Kazimierz nicht mehr Offizier der Polnischen Armee werden konnte, blieb er zunächst unbehelligt. Auf ihn warteten in den Kriegsjahren allerdings noch lange elf Monate in verschiedenen sowjetischen Gefängnissen und ein Zwangsaufenthalt in Sibirien. Womöglich rettete diese Odyssee ihm das Leben. In seiner Heimatstadt Warschau und in Wilno, dem heutigen Vilnius, wo er sein Medizinstudium absolvierte, mahlten die tödlichen Mühlen des Holocausts mit grausamster Gründlichkeit.
Nach dem Kriegsende habe es ihn nach Riga verschlagen, wo er seine spätere Frau, eine Russin, kennenlernte. Diese habe es kategorisch abgelehnt, mit ihrem Mann nach Polen zu ziehen, weshalb der nun seinerseits an Vilnius, dem früheren Wilno, festhielt. Die Hauptstadt Sowjetlitauens sei fortan für ihn zum letzten Stück Heimat in der Sowjetunion geworden, gerettete Erinnerung an die Zeit vor 1939. Zu Hause wurde mit Frau und den beiden Töchtern vor allem Russisch gesprochen, Polnisch spielte eine geringere Rolle, außerhalb der eigenen vier Wände fast gar keine. Der Verbundenheit zu Polen habe das keinen Abstrich getan.
Sein größter Wunsch sei es nun, die polnische Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen, denn die sei ihm schließlich 1939 im Gefängnis weggenommen und nie wieder zurückgegeben worden. Der litauische Paß böte da nur bedingt Ersatz. Er fragte leise nach, ob denn in den neuen Verhältnissen doppelte Staatsbürgerschaften möglich wären.
Sein Vater Jozef Luxemburg, ein 1934 in Warschau gestorbener bekannter Arzt und Gesundheitspolitiker, war seinerzeit der erste in der Familie der Luxemburgs, der ein Studium aufnehmen konnte. Diesem ermutigenden Beispiel verdankte Rosa Luxemburg ihre Entscheidung, unbedingt studieren zu wollen. Da dies Frauen im zaristischen Rußland nicht möglich war, ging sie auf abenteuerlichem Weg in die Schweiz, wodurch die deutsche Arbeiterbewegung schließlich zu einem ihrer fähigsten Köpfe gelangte.
In Warschau gibt es eine Gedenktafel für den Bruder Rosa Luxemburgs, auf der dem Arzt für seine Verdienste um das Gesundheitswesen der Stadt gedankt wird. Auf seine jüngere Schwester ließ der Bruder nie etwas kommen, auch wenn er die politischen Ansichten nicht geteilt haben mochte. Im Juni 1919, so fügt Kazimierz hinzu, habe er als Fünfjähriger zusammen mit dem Vater in Berlin am Begräbnis seiner Tante teilgenommen.
Als er zwei neuere polnische Bände mit Arbeiten Rosas in die Hände nahm, fragte er sogleich nach dem »x« bzw. »ks« im Namen. Auf dem Titel findet sich nämlich die in Polen übliche Schreibweise »Luksemburg«. Kazimierz verwies darauf, wie lange er vergeblich um das »x« im Namen habe kämpfen müssen, denn erst im freien Litauen sei diese Schreibweise offiziell ermöglicht worden. Zuvor gab es von Amts wegen ein striktes »ks«. Wenn er gewußt hätte, wie lange ich bei Anmeldung des Büros im hiesigen Statistischen Hauptamt eben um dieses »ks« gerungen habe! Dort war man der festen Meinung, bei Rosa Luxemburg handele es sich um eine Deutsche, weshalb der Name auch in Polen mit »x« geschrieben gehöre. Nach mehreren Stunden Wartezeit bekam ich freundlich Bescheid, Rosa Luxemburg sei wohl doch gebürtige Polin, weshalb die eingetragene Namensbezeichnung »Luksemburg« in Ordnung gehe.
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