von Uwe Krink
In den letzten Tagen schrieben sich die Filmkritiker die Finger wund. Der „Boxhagener Platz“ wurde zum geliebten Objekt ihrer Begierde. Heimatfilm, Krimi, Komödie oder Tragödie, das filmische Werk von Matti Geschonneck schwang sich auf in den Olymp der Filmkunst, und keiner schrieb fest, was dieser Film ist. Der geneigt ostdeutsche Seher erfuhr aus berufenen Federn, daß dieser Film niemals sich gleich tue mit den vielen ach, so schlechten Machwerken über eine kleine Republik. Neues sollte er zeigen. Das Leben der einfachen Leute in einer Zeit der Brüche der 60er Jahre in Ost und West im Brennglas des Boxhagener Platzes in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, also in Ostberlin.
Der Entdecker dieser kleinen Welt, Torsten Schulz, schrieb das Buch und auch das Drehbuch. Ach, hätte er es doch gelassen.
In der Premiere im Kino „Thalia“ in Potsdam-Babelsberg verriet er, daß er mit seinem Werk schon längst abgeschlossen hatte, als Matti Geschonneck einen Film wollte. Dem konnte seine Eitelkeit nicht widerstehen. Er machte sich ans Werk – und scheiterte kläglich. Wenn er im Buch noch Stimmungen und Gefühle mit viel verbalem Beiwerk erklären konnte, da scheiterte er am Genre Film. Das Buch als Drehbuch bleibt ohne Tiefe. Die Figuren ohne Geschichte und ohne sozialen Kontext ergeben sich in situativen Momenten. Teilweise humorvoll und dann wieder populistisch. Das dressierte Publikum lachte an der richtigen Stelle. Ulbricht, Schnitzler und Militärparden wurden von Gudrun Ritter haßerfüllt kommentiert. Warum aber? Keine Ahnung. Hatte sicherlich auch Torsten Schulz nicht. Da die Frau wunderbar sympathisch agiert, wenn es um ihre Männer, Kinder und Enkel geht, bedient ihre Rolle wunderbar das gut gepflegte Urteil von der Diktatur. Wenn sich eine solche Frau von der Politik distanziert, dann lebt die Mär von der Nischengesellschaft wieder auf. Jeder, der sich auf dieses Land und seine Gründungsidee eingelassen hat, wird moralisch diskreditiert. Denn der wahre Mensch mußte gegen sein.
In der Rolle von Michael Gwisdek wird der Faden fein weiter gesponnen. Der wahrhafte Kommunist, der sich schon längst von seiner ehemaligen Verbündeten abgewendet hat, hält dafür her, daß die 68er in West und der Frühling in Prag (und keiner spricht übrigens von Bratislava …) die wahren Erben der November Revolution sind. Nebenbei Opfer eines Nazis, der natürlich in der DDR wirtschaftlich saniert ist. Daß er den Nazi erschlägt, was soll´s, war eigentlich nur Pech. Daß die Stasi in diesem Film Kripo heißt, daß die Schule der Hort der Propaganda ist und daß der ABV ein Spitzel sind dann nur noch weitere Zutaten. Angerührt im Topf der Klischees und denunzierend erzählt.
Matti Geschonneck versteckt sich hinter großen Schauspielern wie Gudrun Ritter, Michael Gwisdek, Horst Krause und vielen anderen. Er läßt sie seine Geschichte oder besser seine Sicht auf diese kleine DDR erzählen. Vordergründe soll es das Buch von Torsten Schulz sein, aber irgendwann wird klar, daß hier jemand eine Melange von Liebesentzug des Vaters und verratener Ideale des neuen Menschen braucht, um sich selbst zu erklären. Es muß jeder scheitern, der vergangene Verhältnisse erklären will, die er im Zorn verlassen hat. Wer einmal verletzt wird, der wird nie ein Gerechter. Und auch ein Matti Geschonneck hat zu viel Beulen an seinem Helm, die von denen stammen, denen er nah war.
Traurig macht der hilflose Versuch Gwisdeks in vielen Interviews, den Menschen aus der DDR klar zu machen, daß dies ein Film gegen die westdeutsche Sicht auf deren Leben ist. Vielleicht hat er einfach gemerkt, daß dieser Film mit seiner angeblich so fairen Sicht viel böser mit dem Leben derer umgeht, die in der DDR lebten. Haltet den Dieb, klingt immer besser, als ich habe gelogen. Es bleibt unter dem Strich der Gedanke, daß sich Gwisdek in den vielen Worten seine Distanz zu diesem Film verpackt, aber loyal bleiben will.
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