Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 17. August 2009, Heft 17

Eindrücke

von Eva Crome, z. Z. London

Morgens, halb neun in London angekommen, heißt eine Möglichkeit: auf zur »Underground« und ab in die Innenstadt. Von Heathrow dauert das eine knappe Stunde. Jedem, der aus einer Großstadt wie Berlin stammt, werden einige Dinge wie die Zeit, die man für die Wege einplanen muß, bekannt vorkommen, und doch ist vieles anders. Die Ticketschranken, um zu den Zügen m gelangen, sind erst der Anfang. Für eine Stadt dieses Ausmaßes wirken die Züge der »Tube« auf der Piccadilly-Line, als Zubringer zu »dem« Flughafen der Stadt, wie eine Miniausgabe dessen, was man zu erwarten glaubt. Um diese Zeit noch nicht sehr voll, erlebt man die zwischenzeitlich überirdische Fahrt durch die Randbezirke in diesem kleinen und recht engen Zug sehr beschaulich. Mit viel Zeit im Gepäck starte ich die einstündige Fahrt mit einem Blick in den Reiseführer, der mir das Phänomen der Londoner U-Bahn ein Stückchen näherbringen soll. Nach der Einführung des Artikels zum Thema: »Vorsicht Lücke! – zwischen Bahn und Bahnsteig« – der Hinweis, um den man als Nutzer der »Underground« nicht herumkommt – steht im »Baedeker« der Satz »Londons ›Underground‹ ist nichts für Menschen mit einem Hang zur Klaustrophobie …« Ich bin mit meinem Eindruck also nicht allein. Nach einer Weile fährt die Bahn tatsächlich unterirdisch, mit einigem Rumpeln geht es durch den engen Tunnel. An meiner Station angekommen, führt ein schmaler Bahnsteig zum Ausgang, der zwei Möglichkeiten bietet: Eine Treppe, die über fast 180 Stufen eigentlich nur im Notfall zu benutzen ist, oder der, zumal mit Gepäck, weitaus empfehlenswertere, wenn auch nicht vertrauenerweckende Fahrstuhl. Auf dem Weg nach oben weist eine Automatenstimme darauf hin, daß das Ticket bereitzuhalten sei, da man nur per Schranke aus der Station herauskommt.
Mein erster Weg, nachdem ich mich im Hotel eingerichtet habe, führt mich direkt zu den »Hauses of Parliament«. Zusammen mit grauen Wolken bietet der Häuserkomplex um die wohl berühmteste Glocke der Welt ein gewaltiges Bild. Ich spaziere auf dem Weg zum »Victoria Turm« am Denkmal für Oliver Cromwell vorbei und komme pünktlich um fünf bei »Big Ben« wieder an. So lausche ich voller Begeisterung dem Glockenspiel. Fest entschlossen, die wenige Zeit, die mir zur Verfügung steht, zu nutzen, entscheide ich mich, einen Abstecher zum »Buckingham Palace« zu machen. Noch immer ist der Himmel grau und es beginnt zu nieseln. Ein Wetter, das ich erwartet hatte. Am Palast angekommen, weist die wehende Fahne darauf hin, daß die Queen zu Hause ist, sie läßt sich jedoch nicht blicken. Nachdem ich am gegenüberliegenden »Victoria Monument«, wie alle Touristen, versuche, das Schloß gut ins Bild zu bekommen, laufe ich durch »Green Park« zurück zur U-Bahnstation, bei nun aufkommendem Sonnenschein. Inzwischen erschöpft von der Reise und der ersten Besichtigungstour, stelle ich bei der Ankunft an meiner Station fest, daß hier das Zentrum der Terroranschläge vom 7. Juli 2005 lag. Seitdem sind mir die stickigen, engen und unheimlich tief liegenden Stationen und Züge noch sympathischer. Da ich sehr zentral wohne, vermeide ich die nächsten Tage zunehmend, die »Underground« zu benutzen.
Am nächsten Tag steht mein großes Event an. Begeistert von britischen Krimis und Literaturverfilmungen will ich mir das Theater in London nicht entgehen lassen. Bereits am Vormittag erkunde ich zu Fuß den Weg zum »Donmar Warehouse«, wo das von mir gewählte Stück am Nachmittag aufgeführt werden soll.
Geboten wird eine Neufassung des Henrik-Ibsen-Klassikers »A Doll’s House« – auf Deutsch bekannt unter dem Titel »Nora (Ein Puppenheim)«. Das Theater selbst, ein kleines Haus mit 250 Plätzen im Herzen des Theaterviertels »West End«, genießt in ganz Großbritannien ein hohes Ansehen. Die Bühne an drei Seiten vom Publikum umgeben und, zumindest für dieses Stück, von den Schauspielern auch nur durch den Zuschauerraum zu erreichen, ein Theaterbesuch zum Hautnah-dabei-sein. Begeistert von jeglichem Klassischen, ist mir dieses Stück eine Freude. Keine kahlen Wände, keine Jeansträger oder Nackten auf der Bühne, die nichts Besseres zu tun haben, als ihre Nacktheit unabhängig vom Inhalt des jeweiligen Stückes zu produzieren und zu präsentieren. Die Schauspieler überzeugen in ihren Rollen, und die sind hervorragend besetzt. Allen voran die aus der Serie »Akte X« bekannte Schauspielerin Gillian Anderson in der Rolle der Nora und der britische Schauspieler Toby Stephens als ihr Ehemann Thomas, in Deutschland den meisten am ehesten bekannt in der Rolle des Bond-Bösewichts Gustav Graves in »Stirb an einem anderen Tag«; er ist jedoch zu weitaus komplexeren Darbietungen in der Lage.
Die Kostüme und das Bühnenbild sind klassisch gewählt, bilden ein optisch abgerundetes Bild und unterstützen die Handlung rund um die Emanzipierungsversuche einer jungen Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Einzig etwas bizarr der Gedanke an den Weihnachtsbaum auf der Bühne und gleichzeitig den Juli-Sonnenschein vor der Tür. Eine leicht adaptierte und doch klassische Inszenierung des Stoffes, die das Publikum fast jeden Alters in die Vorstellung lockt. Ein Grund sind sicher auch die vertretbaren Ticketpreise, die es jungen Leuten ermöglichen, qualitativ hochwertige Theaterkultur öfter zu erleben.
Nach diesem gelungenen Theatererlebnis lasse ich es mir am nächsten Tag nicht nehmen, einen Bummel auf Londons Shoppingmeile Nr. 1 – der Oxfordstreet – zu unternehmen. Ob als Autofahrer oder als Umsteiger in der U-Bahn, ist hier stets zu beachten: Immer schön links halten. Falls man aus Gewohnheit doch rechts läuft, kommen meist wenig kompromißbereite Fußgänger entgegen. Bei den hektischen Massen auf den Straßen oder den auf den Bürgersteigen geradezu festgewachsenen Reisegruppen hilft nicht einmal mehr ein höfliches »Sorry«. Da heißt es nur noch Drängeln oder ebenfalls Mit-Durchschieben. Auf dem Bahnsteig, der sich im Berufsverkehr zunehmend füllt, fragt man sich, warum in einer Stadt diesen Ausmaßes Züge der Ringbahn regulär nur alle acht bis zehn Minuten fahren, was in Berlin im Ausnahmezustand schon eine Zumutung darstellt. So ist man in London gezwungen, sich im Sommer in Züge, die auf dieser Stadtstrecke wesentlich größer sind als auf der Piccadilly-Line, hineinzukuscheln, um am Ende doch noch zum »Ziel seiner Träume« zu gelangen.