von Eckhard Mieder
Die Zahl der Irren wird größer und größer, was an sich nicht verwunderlich ist. Es fragt sich allerdings, ob nicht der irre ist, der feststellt, dass die Zahl der Irren größer wird, und er selbst zählt sich nicht dazu. Da tut Abgrenzung Not in der nivellierten Mittelblödgesellschaft, und immerhin kann ich sagen: Zu den Heinis gehöre ich nicht. Beziehungsweise gehöre ich nicht zu den Heinis.
Doch, sie werden mehr. Mentalcoaches, Kommunikations- und Verhaltenstrainer. Unternehmens-, Motivations-, Innovations- und Du-wirst-gleich-reich-Berater. Rating-Agentur-Agenten und Workshop-Leader. Diese Zahnräder der Debattiermaschine greifen ineinander. Sie drehen sich um sich selber, erfassen den, der zwischen die Zähne gerät und lassen nicht mehr los. Sie drehen sich um sich selber und für Geld. Was logisch ist, weil es keinen Blödsinn gäbe, gäbe es nicht auch Geld dafür.
Die Heinis – ich werde noch erklären, warum sich sie so nenne – sind als Dompteure des Geistes unterwegs und bringen für Geld Wissen unter die Leute. Etwa, dass Eins plus Eins Zwei ist, Gurkenscheiben keine Schießscheiben sind und dass das Pascalsche Dreieck, um es ein bisschen komplizierter zu machen, tatsächlich die Form eines Dreiecks hat. Wenn man sich eine Linie um den pyramidalen Zahlenhaufen denkt. Aber ums Denken geht’s nicht.
Heinis sind überall, weil sie überall gebraucht werden. Sie durchdringen jede Sphäre der Gesellschaft und sind Vertreter von Schulen. Sie haben Anhänger und Zulauf. Gut zahlende Auftraggeber laden sie zu Seminaren, Montagsgesellschaften, Kursen ein. Die Heinis könnten demnächst den studierten Lehrer, den ausgebildeten Ausbilder, den intelligenten Professor (keine Tautologie) ersetzen. Denn mehr als die Heinis uns lehren, brauchen wir nicht zu wissen. Mehr, als sie uns an einem Wochenende oder an zwei, drei Wochentagen verklickern, würde uns überfordern.
Die Palette des Heinitums umfasst allerlei. Es gibt Kurse, in denen wird Männern das Flirten beigebracht, quasi wie Mann Frau ins Bett kriegt, ohne dass sie sich benutzt fühlt und verärgert ist. Oder umgekehrt. Wie Frau Mann ins Bett kriegt, ohne dass er sich benutzt fühlt und verärgert ist.
Das hat Sinn. Das saugen Männchen und Weibchen nicht mit der Muttermilch ein. Es ist schwer, einer Frau etwas Nettes zu sagen oder ins Jäckchen zu helfen und nicht gleich als Macho zermobbt oder als Belästiger angezeigt zu werden. Wir können auch über den Handkuss in der Gesellschaft sprechen oder über die Notwendigkeit des Bussi-Bussi-Abschleckens – dafür gibt es einen anderen Kurs, zwei Türen weiter, die Kasse am gleichen Ort, kostet ein bisschen mehr, weil’s am Modell stattfindet.
Oder es wird Arbeitgebern beigebracht, wie sie Leute kündigen können. Ein gutes Kündigungsgespräch darf nicht länger als 20 Minuten dauern. Derjenige, der kündigt, muss es in dieser Zeit schaffen, eine Wohlfühlatmosphäre herzustellen. Dass am Ende des Gesprächs der Gekündigte das Gefühl hat, das erste Mal ein wirklich gutes Gespräch mit dem Chef geführt zu haben. Ein menschliches. Auch das lehren die Heinis: Menschlichkeit, Nähe, Zugewandtheit. Wie sie auch das Gegenteil lehren: Distanziertheit, Härte, Klare Kante.
Wichtig sind Sätze wie „Ihr müsst eure Persönlichkeit zum Glänzen bringen“. Oder „Wie es in den Wald ruft, so schallt es heraus“. Oder „Wichtig ist der Anfang, wenn der Anfang nicht packt, dann beißt der Text auch nicht. Fangen Sie immer mit einer Szene an“. Oder „Wenn Ihr Hund Blähungen hat, liegt das garantiert an der Ernährung“.
Ich war mal dabei, als jemand spezielle Nahrung für Hunde an Mann und Frau brachte. Es war ein kleiner, ausgesuchter Kreis, vor dem der Heini auftrat. Ich erinnere es nicht mehr im Einzelnen, aber es ging entschieden um die Wurst. Um ihre Reinheit, somit um die Gesundheit der Hunde, damit um die Zufriedenheit der Hundebesitzer. Und es sei eine einzigartige Firma, die jene Sachen herstellt, die er nun kurz vorstellen würde. Er hatte Würste, Konserven, Leinwand und Beamer dabei und begann mit einem Zeigestock rasch wechselnde Diagramme, Fotos, Statistiken anzupochen, die overhead erschienen. Vielleicht habe ich jetzt auch Heinis mit Verkäufern verwechselt. Das kann sein. Verkäufer oder Vertreter sind, glaube ich, eine andere Spezies. Irre einladend.
Neulich erzählte mir eine Frau von einem Seminar in Nordhessen. Es ging darum, wie der Arbeitstag so gestaltet werden kann, dass er effizient verläuft. Also ging es um die Methodik der Gestaltung des Arbeitsplatzes. Oder um die stilistische Ästhetik, um so etwas.
Natürlich konnte man dazu nicht Nina-Kalaschnikow-Methode sagen. Oder Oleg-Baikonur-Methode. Das war früher. Als die Menschen in der DDR lernten, einen Henkel ans Handtuch zu nähen, weil es sich besser aufhängen ließ. Und das hieß dann auch noch Henkel und Handtuch und nicht Hang-over-tape und Hand-wash-cloth.
Die Frau erzählte mir, dass es durchaus ernsthaft zuging, nur als der Heini Wörter wie „Packet“ (statt „Paket“), „Archief“ (statt „Archiv“), „speziefisch“ … und „Sankzionen“ …an die Wandtafel schrieb, da wendete sie sich doch ab. Ein bisschen mit Grausen und doch voller Zweifel, ob sie es nicht sei, die doof ist. Denn der zu den Bedürftigen sprach, der war der gut bezahlte Spezialiest.
Ansonsten seien es drei schöne Tage gewesen. Das Hotel hatte Sauna, und sie lernte in der Bar einen Mann kennen, der sich als „Heini auf Reisen“ bezeichnete. Er sei in der „Causa Büroklammer“ unterwegs. Es sei nämlich keinesfalls so, dass die Büroklammer seelenlos ist, im Gegenteil. Sie klammere. Sie klammere zusammen. Sie klammere sich. Eine sensible Existenz. Wie der Heini von seinem Heinitum sprach, das habe sie, erzählte mir die Frau, als erfrischend selbstironisch empfunden. „Wer sich nicht selbst zum Besten klammern kann, gehört gewiss nicht zu den besten Klammern“, witzelte ich. Sie lachte nicht. Der Büroklammer-Mann hatte Eindruck gemacht.
Ich will das Heinititum nicht in Bausch und Bogen verdammen. Es kann sich beim dozierten Stoff um das Resümee eines tätigen, nachdenklichen Arbeitslebens handeln. Angenommen ich habe dreißig Jahre lang als Florist gearbeitet. Ich habe dreißig Jahre lang Blumen geschnitten, gebunden, zu festlichen Buketts geformt, zu Kränzen gewunden. Mir ist dabei aufgefallen, dass sich die Arbeitsschritte – vom Aufnehmen der Schere, der Auswahl der Bänder, des Zuschnitts … – durchaus ähneln. Egal, ob es sich um drei Rosen handelt, die ein verliebter Feldwebel der Bundeswehr seinem Schatz in Bielefeld kauft, oder um den gigantischen Orchideenstrauß für den Chef, den niemand leiden kann, der aber sein dreißigstes Dienstjubiläum begeht …
Anderes Beispiel. Ich habe zwanzig Jahre lang Teller und Tassen verkauft. Da wiederholen sich die Vorgänge. Das Design der Teller und der Tassen wandelt sich, das Insign der Menschen eher nicht. Es kommt immer und jedes Mal auf das Gespräch zwischen mir, dem Verkäufer, und Ihnen, dem Käufer, an. Muster, Klischees, Wortwendungen und Gesten, die verallgemeinerbar sind. Die kann man lehrstückartig zusammenfassen und vermitteln. Es muss ja nicht jeder Anfänger den gleichen mühsamen Weg der Erkenntnis gehen, den ich gegangen bin. Ich biete mich als Spezialist an, als Heini, obwohl ich so nicht heiße und bitte sehr auch nicht so genannt werden möchte. Wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe. Der Anfänger muss nicht jeden Schritt gehen, den ich ging. Und ich habe noch im höheren Arbeitsalter ein Einkommen.
Ohne Zweifel werden die Heinis gebraucht. Es gäbe sie nicht, würden sie nicht gebraucht. Es gibt auch Laubsauger, riesige Flugzeuge, Castingshows, Facebook, den Amazonas, viele, viele Sterne und noch mehr Flöhe und Läuse.
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