von Gerd Kaiser
Die Aufzeichnungen Kazimierz Moczarskis wurden keineswegs im Mokotow-Gefängnis aufgezeichnet, wie es im Untertitel der Neuauflage heißt, sondern zwei Jahrzehnte später. Aus dem Gedächtnis und nunmehr untersetzt mit Forschungen Moczarskis über Lebensumstände des Henkers Jürgen Stroop, schrieb er ab 1971 nieder, was er an Gesprächen mit dem Henker in seinem Gedächtnis gespeichert hatte. Dessen ungeachtet sind die Aufzeichnungen einzigartig, denn Moczarski teilte als zum Tode verurteilter politischer Häftling der polnischen Staatssicherheit über 255 Tage und Nächte lang, vom 9. März bis 11. November 1949, die Gefängniszelle in der Warschauer Rakowiecka-Straße mit dem Henker Stroop. Dieses Zusammensperren eines Mannes des polnischen Widerstandes gegen die deutsche Okkupation seines Landes – dem ein polnisches Gericht im Dezember 1956 bestätigte, daß alle Anschuldigungen und Urteile (nach dem Todesurteil erhielt er eine Freiheitsstrafe diktiert) gegen ihn nicht rechtens, sondern Ausfluß stalinistischer Verfolgung waren –‚ mit Stroop, gehörten zur gewollten physischen und psychischen Folterung Moczarskis, der trotz aller Quälereien aber nicht gebrochen werden konnte.
Der SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei, ein hochrangiger deutscher Beamter, beging von 1939 bis 1944 Kriegsverbrechen einzigartigen Ausmaßes an Polen, Juden und Ukrainern, wurde derentwegen von einem polnischen Gericht verurteilt und am 6. März 1952 hingerichtet.
Dieses Buch ist etwas ganz Besonderes, einmalig als Zeitzeugnis und einmalig als Forschungsarbeit. Auf der Grundlage vor allem der Gespräche Moczarskis mit Stroop entstand das tatsachengesättigte, detaillegetreue Charakterbild eines charakterlosen und verbrecherische Befehle erteilenden deutschen Drückebergers, der sowohl williger Befehlsempfänger als auch um seiner Karriere willen zu jeder Schandtat aus eigenem Antrieb bereit und fähig war. Zudem eines Mannes, der persönlich feige, beruflich ungebildet sowie mit bescheidenen Geistesgaben ausgestattet eine deutsche Beamtenlaufbahn absolvierte.
Schlüsselpunkte dieser Karriere als Massenmörder waren die Niederschlagung des Warschauer Ghettoaufstandes im Frühjahr 1943, die Durchsetzung der deutschen Besatzungspolitik zuerst im Raum Poznan, sodann in der Ukraine. Schließlich nahm er im tiefsten Hinterland (Dienstsitz war unter anderem Wiesbaden) am Aufbau der dilettantischen wie verbrecherischen Werwolf-Organisation teil und an der Lynchjustiz an alliierten kriegsgefangenen Fliegern. Der letztgenannten Kriegsverbrechen wegen, war Stroop von einem Militärgericht der US-Armee in Dachau bereits 1947 zum Tode verurteilt und dann wegen der in Polen begangenen Kriegsverbrechen dorthin überstellt worden.
Die Gespräche mit dem Henker erschienen erstmals in Fortsetzungen zwischen 1972 und 1974 in der Zeitschrift »Odra«, die erste Buchausgabe erfolgte 1977, zwei Jahre nach dem Tod Moczarskis. Deutschsprachige Ausgaben erschienen ab 1978 in der BRD und 1981 in der DDR. Die nunmehrige Neuauflage enthält einige in früheren deutschen Auflagen nicht enthaltene Teile der Aufzeichnungen sowie sachkundig-erläuternde Fußnoten, ein Interview mit Moczarski über die Entstehung des Werkes sowie eine Dokumentation der Folterungen, denen er unterworfen wurde, eine aufschlußreiche biographische Skizze von Andrzej Szczypiorski zu Moczarski sowie ein belangloses Geleitwort von Gesine Schwan.
Wer wissen will, was in einem Massenmörder vorging, was ihn zum Völkermord trieb, sollte die einzigartigen Aufzeichnungen des polnischen Zeugen, der intensive Gespräche mit dem Henker geführt hatte, lesen.
Kazimierz Moczarski: Gespräche mit dem Henker: Das Leben des SS-Generals Jürgen Stroop. Aufgezeichnet im Mokotow-Gefängnis zu Warschau. Osburg Verlag 2008, 478 Seiten, 25,90 Euro
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