Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 20. Juli 2009, Heft 15

Junges Mädchen aus Taiwan

von Hans W. Gärtner

Eine Kollegin aus Taiwan, eine relativ strenggläubige Buddhistin, erzählte mir, daß ihre Nichte zu Besuch komme, ein 17jähriges Mädchen. Jetzt rief die Mutter der Kollegin an und schärfte ihr ein, die Verwandte keinen Augenblick alleinzulassen, vor allem nicht mit Männern. Auch ihr eigener Mann stelle eine Gefahr dar. Ihr Vorschlag, sie zu einer taiwanesischen Freundin zu bringen, die zwei Kinder habe, begeisterte ihre Mutter auch nicht, da es da ja auch einen Ehemann gebe. Dieses Gespräch hat meine Kollegin sehr aufgeregt. Von der Tradition zum Respekt ihrer Mutter gegenüber gezwungen, darf sie dieser nicht wirklich widersprechen, so gern, wie sie es auch möchte. Andererseits hat sie nun Angst vor der Verantwortung und ihrer Mutter vorgeschlagen, sie solle ihrer Schwester, der Mutter des Mädchens, vorschlagen, diese zu Hause zu lassen.
Meine Kollegin hat Angst, daß die »billige Moral« unserer Mädchen das taiwanesische Mädchen, das hier einen Sprachkurs machen soll, anstecken könnte. Ich bin über das Wort »billig« gestolpert, das ich hier zum ersten Mal richtig verstanden habe. Die Frau ist eine Ware. Der Wert einer Ware bemißt sich in der Vulgärökonomie daran, wie verfügbar sie auf dem Markt ist. Ist die Ware knapp, ist der Preis hoch, und umgekehrt. Auf den Beziehungsmarkt umgerechnet: Ist das Mädchen vor der Ehe noch Jungfrau, kann sie eine entsprechend gute Partie machen und einen reichen Mann bekommen. Hat sie schon allerhand Erfahrungen mit Männern, ist sie in den Augen derer für eine Ehe nicht mehr viel wert und keine gute Partie mehr. Meine Kollegin hat die gleiche Moral, sie hoffte in der Klassengesellschaft einen Mann mit einer hohen Position zu bekommen, wenn sie sich jede voreheliche (und später außereheliche) Sexualität verbietet. Der Unterschied zu ihrer Mutter ist nur, daß sie glaubt, junge Frauen könnten selber entscheiden, brauchen keine Aufsicht.
Mir scheint das ein Beispiel dafür, daß Klassenherrschaft Frauenemanzipation verhindert, da der Wunsch, in eine höhere Gesellschaftsschicht via Unberührtheit aufzusteigen, oder aber in der bisherigen Klasse zu bleiben, höher bewertet wird als sexuelles Glück, als eine glückliche Beziehung. Die Beziehungen sind nur als warenförmig zu begreifen. Natürlich hat das alles auch mit patriarchalischer Herrschaft zu tun, aber die Frage ist, warum die »Opfer«, hier die Frauen, deren Logik folgen. Sehr romantisch ist das nicht.
iibngens ist die Moral in Festlandchina schon etwas »gesunken«. Da gibt es den Männerwitz, daß, wenn man eine Jungfrau suche, schon in den Kindergarten gehen müsse.