Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 20. Juli 2009, Heft 15

Brief

von Abraham Melzer

Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn bei uns jemand sagt, daß Bertolt Brecht, Erich Maria Remarque, Thomas Mann und andere »nützliche Idioten« der Alliierten bei der »Delegitimierung « von Nazi-Deutschland gewesen seien, dann reden wir von einem Neo-Nazi und wollen mit ihm nichts zu tun haben. Die einzige Zeitung, in der er publizieren kann, fassen wir nicht einmal mit der Pinzette an. Dabei haben diese oben genannten deutsche Autoren und Intellektuelle tatsächlich für nichts weniger plädiert und gearbeitet als für das Ende des Dritten Reiches.
Uri Avnery, Ilan Pappe, Moshe Zuckerman und Avram Burg (der immerhin einmal der Präsident der Jewish Agency war, also der oberste Zionist schlechthin) kämpfen seit Jahren, Uri Avnery schon seit über sechzig Jahren, für eine andere Politik in ihrem eigenen Land und nicht für dessen Delegitimation und nicht für dessen Ende und schon, gar nicht für »die politische Endlösung der Judenfrage«. Wer so etwas sagt und schreibt, ist ideologisch verblendet. Für mich ist deshalb nicht Henryk M. Broder das Problem. Probleme habe ich mit Ihnen, mit der deutschen Presse und mit solchen Stiftungen wie die Konrad-Adenauer-Stiftung oder das Walther-Rathenau-Institut, die solchen zynischen und hämischen Kommentaren Platz geben. Walther Rathenau würde in seinem Grab rotieren, wenn er das wüßte. Gipfel der Chuzpe ist aber die Behauptung, wir »nützlichen jüdischen Idioten« würden das alles nur tun, um Deutschen zu helfen, ihre Schuldgefühle gegenüber den Juden loszuwerden. Als ob sonst in Israel alles »in Butter« wäre und nirgends Grund für Kritik bestünde.
Allein wegen dieser Beleidigung, nicht etwa von Uri Avnery oder Ilan Pappe, sondern wegen der Beleidigung des gesunden Menschenverstandes, wegen der Beleidigung aller anständigen und mutigen Deutschen, müßten Sie sich schämen, einen solchen Beitrag veröffentlicht zu haben. Broder setzt noch eins drauf, indem er behauptet, wir seien die »Alibijuden des sauberen Antisemitismus, der sich als Antizionismus maskiert«. Ich bekenne mich dazu Antizionist zu sein, bin aber meilenweit davon entfernt Antisemit zu sein, denn wenn Antisemitismus in Wirklichkeit Antijudaismus ist, dann müßte ich ja gegen mich selbst sein, was ich wahrlich nicht bin. Zionismus ist eine Ideologie, und es ist unser demokratisches Recht dafür oder dagegen zu sein. Antisemitismus ist aber keine Ideologie, sondern reiner Rassismus, der Menschen haßt und vernichten will, nur weil sie Juden sind. Darüber kann man nicht debattieren. Das hat mit Antizionismus nicht das Geringste zu tun. Es ist schade, schändlich und beschämend, daß Sie für solchen Unsinn immer wieder Platz haben.
Mit freundlichen Grüßen, Abraham Melzer

Diesen Brief, von der Redaktion geringfügig gekürzt, richtete A. M., Herausgeber und Chefredakteur von »SEMIT Unabhängige jüdische Zeitschrift« (www.dersemit.de) an die Zeitung »Die Welt«, die am 20. Juni 2009 einen Vortrag nachdruckte, den Henryk M. Broder auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem gehalten hatte.