Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 6. Juli 2009, Heft 14

Bemerkungen

Quakquak

Die Times of India hat der hiesigen Presse zufolge berichtet, daß Hindubauern in Nagbur im Bundesstaat Maharashtra den Frosch Raja und die Fröschin Rani miteinander verheiratet und damit einem Brauch gefrönt haben, der den Regengott gnädig stimmen. Die Meldung in ihrer Schlichtheit zeigt, wie sehr ferne Kulturen der westlichen Kultur hinterherhinken. Die Leute dort begnügen sich mit der Nachricht, daß Raja und Rani geheiratet haben. Was für einfache Gemüter, was für ein zurückgebliebenes Zeitungswesen. Der gebildete Kulturmensch in der westlichen Hemisphäre will mehr wissen. Und ihre Medien stillen seinen Wissensdurst mit wertvollen Informationen. Daß Braut und Bräutigam ihr ganzes Leben im Sumpf verbracht und dort gequakt haben, ist eine Lebensleistung von öffentlichem Interesse. Auch ist äußerst wissenswert, mit wem die beiden vordem alles verheiratet oder anderweit liiert waren, wie viele Kinder jeder aus welcher Beziehung hat, und an welchem Ort und unter welchen Umständen diese gezeugt wurden. Was sagen die Verflossenen zu den Brautleuten? Was trugen die Hochzeitsgäste zur Trauungszeremonie? Wer war unter den prominenten Gästen an Adelssprossen, Weltmeistern, Künstlern, Steuerflüchtlingen und sonstigen Persönlichkeiten von Bedeutung? Dies und vieles andere bleibt unerörtert und zeigt in seiner Mangelhaftigkeit die Rückständigkeit des betroffenen Kulturkreises. Man sollte überlegen, wie man den bedauernswerten Menschen helfen kann. Eine Friedensmission der NATO wäre sicherlich eine erwägenswerte Möglichkeit.

Günter Krone

Ralf Thenior

Vom Vorteil des Ruhms, der nach Chamfort darin besteht, »jenen bekannt zu sein, die einen nicht kennen«, kann er sich auch in Dortmund nichts kaufen. Wie die meisten seines Gewerbes, das sich intensiv mit der Verknappung sprachlicher Mitteilungen aufs Wesentliche beschränkt, verdient er – bei allem Fleiß, allem Einfallsreichtum und einer Vielzahl von Veröffentlichungen – pekuniär wenig. So hilft’s auch kaum, daß Karl Otto Conrady den 1945 im schlesischen Bad Kudowa (Kudowa Zdroj) geborenen Dichter in seinem alten und neuen »Großen deutschen Gedichtbuch« zwischen die Buchdeckel genommen hat. Ralf Thenior findet sich dort nach Robert Schindel (* 1944) und vor Reinhard Priessnitz (1945- 1985) mit Texten eingerückt, die das Wichtigste vermelden: »Jeden Tag geschehen einfache Dinge / um mich herum; geflüstertes Türkisch / im Hausflur, vorbeischwankende Schirme, / ein Knopf wird angenäht, / ein Essen schmeckt, Gedichte, / langsam werde ich fetter. …«
Es sind vornehmlich die einfachen Dinge, die bescheidenen Verhältnisse, die verdummenden Werbesprüche und die verdammten Lügen, die Ralf Thenior umtreiben.
Er mag und liebt die Menschen seines globalisierten heimatlichen Umfelds, denen Solidität und Solidarität unverzichtbar sind. Sein Werk, das neben Gedichtbänden und zwei Romanen auch Essays, Reisebilder, Kinder- und Jugendbücher sowie Hörstücke umfaßt, ortet das Ich im sozialen Kontext. Nüchternheit und Sprachwitz zeichnen Theniors Arbeiten aus. Mehrfach prämiert, unter anderem mit dem Literaturpreis des Ruhrgebiets und dem Annette-von-Droste-Hülshoff- Preis, zeigt sich Thenior zunehmend von pädagogischem Eros getrieben. In seinem Schulschreiber-Projekt unterweist er Schülerinnen und Schüler aller Altersgruppen.
2001 avancierte er zum ersten »Schulschreiber der Republik«. Bis heute verkehrt er in diversen Lehranstalten und verführt die Minderjährigen zum Selber-Schreiben und Selber-Denken.
Ungeniert klärt er sie über »das geheime Leben der Wörter« auf und heftet Thesen »gegen die Spracharmut« an die Tafeln. (Näheres zu diesem Projekt ist im Internet unter www.ralf-thenior.de nachzulesen.) Als Ralf Thenior 1977 in der Münchner AutorenEdition mit dem Gedichte und Kurzprosa versammelnden Band »Traurige Hurras« debütierte – das Nachwort steuerte Helmut Heißenbüttel bei – schrieb der im März dieses Jahres verstorbene Jörg Drews in der Süddeutschen Zeitung: »Neben der fast epigrammatischen Kürze, der Lakonie, sind vor allem Witz, Ironie, Selbstironie seine Stärke, das Gegenteil also zu einer verbreiteten melancholischen Pose und dem Stammkneipenbierernst; Theniors Gedichte und Prosagedichte haben auch die Möglichkeit, ins Anarchische zu gehen, haben immer wieder ein Stück Übermut und einen Schuß Groteske.« Dem bleibt wenig hinzuzufügen.
Allenfalls dies: daß sich Werk und Autor ungeachtet aller ästhetischen und politischen Wechselfälle über Jahrzehnte hin bemerkens- und bewundernswert treu geblieben sind. Derlei Beständigkeit setzt innere Beweglichkeit und äußere Unabhängigkeit voraus.

Jürgen Rennert

Notwendige Erinnerung

In einem im Februar 1989 geführten, aber erst zwölf Jahre später veröffentlichten Interview meinte Sebastian Haffner: »Eine Wiedervereinigung kann ich mir nicht vorstellen. Da gebe ich Honecker ganz recht, die beiden deutschen Staaten, so wie sie jetzt sind, das ist Feuer und Wasser. Einer müßte seine Existenz so wandeln, daß er sich praktisch selbst aufgibt; und das ist nicht zumutbar.«
Als er den Text des Interviews ein Jahr später, im Februar 1990, beglaubigte, hat er ihn ehrlicherweise so belassen, obwohl er schon nicht mehr aktuell war. Einen Monat später hat sich die Mehrheit der DDR-Bevölkerung für eben diese Zumutung praktischer Selbstaufgabe entschieden. Die von Haffner formulierte Charakteristik dieses (von ihm selbst für unvorstellbar gehaltenen) Vorgangs sollte eben deshalb auch zwanzig Jahre später nicht in Vergessenheit geraten.

Thomas Kuczynski

Wer einmal lügt…

2004
Angela Merkel: Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer steht für uns nicht zur. Debatte. Im Gegenteil: Wir wollen viel mehr den Neuanfang im Steuerrecht, mit einer umfangreichen tiefgreifenden Steuervereinfachung, damit das Steuerrecht für den Bürger überschaubar und damit verständlich wird. Dazu gehört der Wegfall der vielen Subventionen und Ausnahmetatbestände.
Welt am Sonntag, 8. Februar 2004

2005
Am Morgen des 10. Juli … ist es endlich so weit: Das Wahlprogramm der Union steht, und Angela Merkel hat sich durchgesetzt. Die Mehrwertsteuer soll von 16 auf 18 Prozent steigen.
Handelsblatt 16. September 2005

2009
Die CDU-Vorsitzende, Bundeskanzlerin Merkel, hat sich derweil eindeutig gegen Steuererhöhungen geäußert. »Es wird mit mir eine Mehrwertsteuererhöhung nicht geben«, sagte sie am Montag in Potsdam.
FAZ 23. Juni 2009

2010
Ist der Ruf erst ruiniert, regiert es sich ganz ungeniert

HWK

Wirsing

Leider werden jetzt mehrere Regionen der Erde von einer aus Mexiko eingewanderten Grippe heimgesucht. Auch Berlin macht da keine Ausnahme. Eine etwas sonderbare Auffassung von Seuchenschutz scheint beim Berliner Senat vorzuherrschen. In einer von mehreren Medien gleichlautend verbreiteten Meldung heißt es: »Die Infektionsschutzbeauftragte Marlen Suckau riet angesichts der leichten Übertragbarkeit des Virus erneut zu Vorsorgemaßnahmen. Dazu gehören häufiges Händewaschen und Niesen in den Ärmel.« Wie bitte? Soll das ein Attentat auf mich sein? Ich appelliere an alle Leser, nicht auf den Senat zu hören und nicht in mich hineinzuniesen! Ich kenne diese Frau Suckau nicht, aber wenn sie von Hause aus die Angewohnheit hat, in ihren Ärmel zu niesen, möchte ich ihr auch nicht vorgestellt werden.
Wenn man ihr die Hand schüttelt, ist zu vermuten, daß man mit ihren munteren Nasensekreten in enge Berührung kommt. Und das soll dem Infektionsschutz dienen? Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse, die für unsereinen doch zu hoch sind!

Fabian Ärmel