Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 6. Juli 2009, Heft 14

Gut gecoacht = halb gewonnen?

von Wolfgang Sabath

Wahlen drohen, langsam kommen sie nun alle in Tritt, unsere lieben »im Bundestag vertretenen Parteien«. Und die unter ihnen, die meinen, es besonders nötig zu haben oder bei denen wirklich Not oder Nötchen am Mann ist, vorneweg: als da sind SPD und DIE LINKE.
Im Führungszirkel der Sozialdemokraten hatten sie beschlossen, den ihrer Meinung nach für das (Wahl-)Volk etwas zu glatt gescheitelten Steinmeier zu entblässeln, ihn tümlicher umzukostümieren, ihn gleichsam zu schrödern. Für so etwas gibt es Fachleute: unter anderem Visagisten, Redenschreiber, Schneider, Plakatemacher, Witzchenerfinder, Parteiphilosophen (das sind die, die bildungsbefrachtete Gleichnisse für das zu Sprechende zusammensuchen), Friseure, Stilberater, Rhetoriklehrer und manchmal, wenn nötig, auch Logopäden. Für alle diese Berufsgruppen können Bundestagswahlen eine einträgliche Sache sein, von der sie dann häufig vier Jahre lang existieren – bis zur nächsten Wahl, und dann …
Die Ergebnisse derartiger Tätigkeiten erleben wir auf Parteitagen. Wie eben auf dem der SPD, wo sie uns jüngst einen zurechtgeschröderten Steinmeier vorführten. Quasi eine Kunstfigur, eine Inszenierung. Politisch ist der Mann natürlich durch und durch ein Schröderianer, da hätte er sich nicht verstellen müssen. Aber sie wollten auf dieser Parteiveranstaltung sozusagen einen Schröder ohne Schröder vorstellen. Soll heißen: Steinmeier sollte den kämpferischen, lautstarken Schröder mimen, aber gleichzeitig dessen Politik, insbesondere die sozialpolitische, vergessen machen. Und das sollte er stellvertretend für die ganze Partei tun, deren Führungspersonal scheinbar der Amnesie verfallen ist und sich nicht mehr daran erinnert, wofür sie alles verantwortlich ist. Das war wahrlich keine leichte Nummer für den Mann, der einst unter Gerhard Schröder Chef des Bundeskanzleramtes gewesen war.
Aber Steinmeier hat in seinem Leben schon ganz andere Herausforderungen bestanden. So konnte er in seiner Rede gegenüber den zuhörenden Parteitagsdelegierten einigermaßen glaubhaft einen schröderfreien Schröder rüberbringen – so als wäre da nie etwas (mit ihm und dem »richtigen Schröder«, der saß in der ersten Reihe) gewesen.
Alles Theater, alles gespielt. Es war – eigentlich – alles irgendwie nur peinlich, und es war – eigentlich – zum Ausschalten. Aber da ich gerade meinen masochistischen Tag hatte, hielt ich durch und übte mich wieder einmal im Fremdschämen. Und dachte beiläufig, als ich auf dem Bildschirm Münteferings Jubilanten sah: Merken die denn nischt? Merken die nicht das Einstudierte. Ach, ich Naivling: Alle spielten mit und hielten – brav jubelnd – »Frank-Walter«-Pappschilder hoch (das hatten sich die Berater offenbar bei den Amerikanern abgeguckt). Das Casting der Komparsen war gelungen.
Aber natürlich wissen – vielleicht bis auf Ausnahmen – Beteiligte an derartigen Zusammenkünften in allen Parteien um das Inszenatorische, um die Regie, um das Gekungel in Arbeitspräsidien und Hinterzimmern (da unterscheiden sich die Parteien vermutlich nur in ihrer Perfektion, in ihrem Geschick); aber sie spielen (fast) alle mit. Weiß der Teufel, warum. Das kommt mir alles so vor wie auf dem sogenannten Arbeitsmarkt: Beispielsweise bieten die Arbeitsämter (ja, ja, ich weiß ja, daß das alles jetzt anders heißt, aber eben nur heißt …) oder von ihnen beauftragte Firmen ihren »Kunden« (was für ein Euphemismus!) Lehrstunden an, in denen gelernt werden soll, wie man sich bewirbt, wie man sich bei Bewerbungsgesprächen verhält und so weiter. Immer wenn ich so etwas höre, fange ich an, zu überlegen, was für einen Sinn das alles haben kann, wenn doch jeder Personalchef weiß, daß dem Proband beigebracht worden ist, wie er zu sein hat, und daß auch der Proband wiederum weiß, daß das dem Personalchef bekannt ist: Wie »echt« kann denn dann so eine Bewerbung sein?
Na, eben so echt wie ein Parteitag – das Theater als Leben.
Natürlich ist das bei unterschiedlichen Parteien unterschiedlich ausgeprägt und unterschiedlich perfekt. So können wir, glaube ich, beispielsweise getrost davon ausgehen, daß Guido Westerwelle (»Die Bauchredner-Puppe der Wirtschaft«, Kabarettist Hagen Rether) keinen Coach benötigt, ich glaube der muß nicht tun, als ob, der ist so. Auch Gregor Gysi kommt vermutlich ohne aus. Und bei anderen wiederum fruchten Bemühungen der Coachs aller Sparten wenig oder nichts. Nehmen wir Angela Merkel: Bei fast jeder Rede kommt irgendwann die Stelle, wo ich mir sage: Was haben sie ihr denn da wieder aufgeschrieben? Und selbst, wenn es anderen oder gar vielen auch so gehen sollte wie mir: Es gereicht ihr, wie die stabilen Umfragewerte belegen, erstaunlicherweise nicht zum Nachteil.
Zu denen, an denen sich schon so mancher Coach die Zähne ausgebissen haben dürfte, zählt Lothar Bisky. Der gehört zu einer höchst seltenen Spezies: ein Parteivorsitzender, der nicht reden kann und dem das – ähnlich Angela Merkel – scheinbar auch nicht angekreidet wird. Dabei haben sie auch bei der einstigen PDS alles, was nötig ist, so einen Vorsitzenden zu coachen: eine seit Jahren eingespielte Werbeagentur, im Vorstandsbüro eine stillgelegte TV-Journalistin, die unter anderem für die zum Sakko passende Krawatte, den richtigen Haarschnitt und die angebrachte Gestik bei Fernsehauftritten zuständig ist, Leute, die ihm auflockernde Gags in die Reden schreiben. Aber Bisky scheint gegen den Firlefanz immun zu sein – oder er bringt es einfach nicht, selbst wenn er wollte. Das merkt man seinen Reden insbesondere an jenen Stellen seiner Referate an, an denen die Gagschreiber des Parteivorstandes diese Art Auflockerungen eingebaut haben. Da Redner Bisky inhaltlich zweifellos hinter den politischen Passagen stehen dürfte und sie ihm – wenn auch meist dröge – entsprechend über die Lippen kommen, sind die ihm untergeschobenen Witzchen voller Tücke. Und nichts ist tödlicher, als wenn beim Verlesen so eines Witzes (Gags!) gestockt wird. Denn den scheint Bisky oft nicht in dem Maße »verinnerlicht« zu haben, wie es vielleicht nötig gewesen wäre. Und das wird eben gemerkt. Aber bald hat er es ja geschafft, bald ist er weg. In Brüssel.
Es wird natürlich – in allen Parteien – weitergecoacht werden, was das Zeug hält. Weil jene, die den Politikbetrieb am Laufen halten, offenbar meinen: Gut gecoacht, sei halb gewonnen.