von Gerd Kaiser
Am 16. August 1943 wurde Karl Metzner aus Großbreitenbach verhaftet. Von der Schulbank weg, 14 Tage vor seinem 16. Geburtstag. Mit vier Schulkameraden der Erfurter Handelsschule hatte er die verbotenen Sender Radio Beromünster (Schweiz) und Radio Moskau gehört, über das Gehörte gesprochen. Unter den Schülern war der Drang gewachsen, den Wahnsinnskrieg zu beenden, etwas gegen Hitler, den Führer, und seinen Machtapparat zu unternehmen. Die Schüler entwickelten Ideen, hatten aber zugleich ihre Ohnmacht gespürt. Am 25. Juli 1943 wurde in Italien der Duce, Mitbegründer der Achse Berlin-Rom-Tokio, durch Badoglio, den Teile der Armee, das Königshaus und vielfältige politischen Kräfte unterstützten, gefangengenommen. In Erfurt malten die fünf Freunde an die Wandtafel ihres Klassenraums zwei Räder mit einer gebrochenen Achse und schrieben darüber: »Die Achse ist zerbrochen« und darunter: »Der Führerschein wird entzogen«.
Das bildete den Auftakt zu ihrem Vorhaben, mit einem ersten Flugblatt an die Öffentlichkeit zu gehen. Karl hatte die Aufgabe übernommen, die Flugblätter auf seiner Reiseschreibmaschine zu schreiben. Doch ein Schulkamerad aus Weimar, er sollte die dort verteilen, hatte die Absicht dem Direktor verraten, der unverzüglich die Gestapo verständigte.
Dann war alles sehr schnell gegangen. Von der Schulbank weg verhaftet – Haussuchung, und Karl erhielt von dem Beamten die ersten Schläge – das Trauma der Gestapohaft und der achteinhalb Monate im Erfurter Strafgefängnis ließ ihn jahrzehntelang nicht los.
Karl Metzner wurde in Uniform gesteckt, kam in dem zur Festung erklärten Hanau an die Front. Von den 1 200 Kinder-Soldaten seines Bataillons, überwiegend 17jährige, überlebten 400. Den 8. Mai 1945, Tag der Befreiung, erlebt er in Gefangenschaft.
In den dreieinhalb Jahren Kriegsgefangenschaft bewegte ihn eine Frage besonders: die Frage der Kollektivschuld. Fast zerbrach er daran. In dieser schweren Zeit reifte sein Entschluß, Pfarrer zu werden. Mitwirken wollte er an der Bestimmung des Potsdamer Abkommens, das er als besonderes Hoffnungszeichen verstand: »Völlige Abrüstung und Entmilitarisierung und die Ausschaltung der gesamten deutschen Industrie, welche für die Kriegsproduktion genutzt werden kann.« Für ihn ein Grundmuster. Einmal Kriegsgegner – immer Kriegsgegner.
1967, an seiner ersten Pfarrstelle in Lauchhammer, wandte er sich »angesichts der schuldvollen deutschen Vergangenheit« gegen die vormilitärische Ausbildung, weil »Kinder und Jugendliche Tragweite und Tragik solcher Handlungsweise noch nicht erfassen können.« 1985, Karl Metzner war inzwischen Pfarrer in Erfurt-Hochheim, wurde er gemeinsam mit weiteren evangelischen Pfarrern aus Anlaß des 40. Jahrestages des Sieges über den Hitlerfaschismus und der Befreiung des deutschen Volkes bei der damaligen Erfurter Oberbürgermeisterin zu einem Gespräch eingeladen. Auch hier machte er aus seinem Herzen keine Mördergrube, sprach geradezu, ungeschönt, vom damaligen Krieg zwischen Iran und Irak. Vierzig Staaten unterstützen diesen Krieg durch die Lieferung von Rüstungsgütern. Zehn dieser Staaten belieferten beide Seiten. Einer dieser zehn Staaten war die DDR. Wie soll das, fragte Karl Metzner dieses öffentliche Forum, vor unseren Kindern und Enkeln verantwortet werden?
Für Karl Metzner bleibt diese Frage auch heute. Während einer Gedenkveranstaltung anläßlich des Tages der Opfer des Faschismus (2007) verweist Karl Metzner, der sich, wie auch seine Mutter, sehr früh der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes angeschlossen hatte, die Versammelten darauf, daß diese Frage nach wie vor nicht befriedigend beantwortet worden ist: »Wir sind inzwischen ein Deutschland und sind im Weltmaßstab maßgeblich beteiligt an der Rüstungsspirale!« Wiederum sind, Jahre später, Bundeswehrsoldaten aus Bad Salzungen am Hindukusch in den Tod gefahren, und die Bundesrepublik zahlt jedem der sich an diesem Krieg beteiligt, einen zusätzlichen Tagessold von 99 Euro.
Karl Metzners Magnetnadel läßt sich durch Mißweisungen nicht beirren, sie ist jederzeit auf Frieden gerichtet: 1943 – 1967 – 1985 – 2007 … Einmal gegen Nazipolitik – immer gegen Nazipolitik, einmal Schwerter zu Pflugscharen – immer Schwerter zu Pflugscharen. Dieses Symbol aus Micha 4 hat dem Pfarrer und Kriegsgegner Metzner ein Leben lang Hoffnung gegeben, einen Weg gewiesen: »Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.«
Als ihm seine Kutte zu DDR-Zeiten ohne den Aufnäher aus der Reinigung zurückgegeben wurde, schrieb er 1984 dem Stadtrat einen Brief, in dem er seine Position verteidigte. Den Aufnäher trägt er heute noch, denn im Unterschied m namentlich bekannten Amtsbrüdern hat er weder sein Symbol noch seine Gesinnung abgelegt.
Er war und blieb ein friedliebender und ein streitbarer Geist, ein Schmied auf den Spuren des Propheten Micha. In seiner Gemeinde, und wo immer sich Gelegenheit bietet, spricht er von seiner Friedensvision. Ich war dabei, als er im zerstörten Gemäuer der niedergebrannten Kirche von Oradour sur Glane predigte, ich hörte ihm zu, als er an anderen Stätten des Widerstandes und der Verfolgung dafür eintrat, daß die Vision vom Frieden Wirklichkeit wird, daß ein jeglicher, wie es im zitierten Micha 4 heißt »unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen wird, und niemand wird sie schrecken.«
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