Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 11. Mai 2009, Heft 10

Knut, Hals und Kropf

von Kathrin Schink

»Da könnt’ ich so ein’ Hals kriegen!« Mit Interesse betrachte ich die, von dem jungen Mann gegenüber, angedeuteten kräftigen Ausmaße seines Halses. Das wäre schon ein stattlicher Kropf, wie er heutzutage kaum noch zu sehen ist, da Vergrößerungen der Schilddrüse bald nach ihrem Sichtbarwerden operativ korrigiert und anschließend mit Medikamenten in Schach gehalten werden.
Was der Auslöser dieses massiven Frustausbruches ist, entgeht mir, weil sich hinter mir zwei ältere Damen besorgt darüber austauschen, wie es dem Eisbären Knut jetzt wohl ohne seinen »Papa« ginge? Die Dame im grünen Mantel, von ihrer Begleiterin mit dem Namen Hilde angesprochen, richtet sich die Frisur und leidet sichtlich mit Knut wegen seines jüngst verstorbenen Tierpflegers: »Sicher hat er sich die Trennung von seinem Süßen zu Herzen genommen!«
Die beiden Damen steigen am Bahnhof Zoo aus, und mein Blick schweift durch das S-Bahn-Abteil. Vielleicht erfahre ich ja doch noch, welche Ursache ein Kropf haben könnte!? Aber auch der junge Mann ist schon seiner Wege gegangen. Unwillkürlich – der Bahnhof Zoo im Nebel wirkt da wohl katalytisch – fallen mir weitere Sprüche ein, die zu meinen Kindertagen vorzugsweise von Oma kamen:
»Na, dir ist wohl einen Laus über die Leber gelaufen!«, war ihr Kommentar, wenn ich mißmutig in der Ecke hockte und mich schlecht fühlte.
»Den sticht der Hafer!«, entfuhr es ihr, wenn mein Bruder nach dem sonntäglichen Müsli-Frühstück wie ein wildgewordener Affe durch die Neubauwohnung raste und Streit suchte.
»Worüber zerbrichst du dir nur den Kopf?« Die kleine Grüblerin mit der beginnenden Kopfschmerzattacke, die sich innerlich gerade selbst beschimpfte, fühlte sich liebevoll in den Arm genommen, getröstet und, nachdem Oma einen Wortschwall hatte über sich ergehen lassen, auch kopfschmerzfiei.
Wieviel Wahrheit und wieviel Wissen um die Zusammenhänge von Körper und Seele steckt wohl in den »Sprüchen«, die heute nur noch so dahin gesagt werden? Will mir meine zugeschwollene, tropfende Nase sagen, daß ich gerade »die Nase voll« habe? Wenn ja, von wem oder wovon?
Zwar kann ich Oma heute nicht mehr fragen, doch sicher fielen Hilde und ihrer Freundin noch einige solcher Sätze ein, wenn ich sie auf ihrem Spaziergang durch den herbstlichen Zoo begleiten würde.
Das junge Grün erstrahlt, als die Sonne durch den Nebel dringt und ich spüre, wie sich meine Schultern entspannen, als würde eine Last von ihnen genommen. Ich strecke mich, und plötzlich schmerzt der untere Rücken nicht mehr – da hätte ich drei Stunden Zeit und die zehn Euro Praxisgebühr gewonnen, die ich heute beim Chiropraktiker lassen wollte und nun mit Hilde und ihrer Freundin teilen könnte.