Drei wunderschön gestaltete und sehr empfehlenswerte Bändchen der Insel-Bücherei schließen das Rilke-Jahr 2025 ab. Rilkes Biographen schauen sich in seiner Tierwelt um, lassen den dichtenden Pflanzenfreund auftreten und werfen einen Blick auf Rilkes letzte Lebensjahre in der Schweiz.
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Im Werk des Dichters Rainer Maria Rilke sind sie allgegenwärtig: Tiere jeglicher Art. Einhorn, Gazelle, Schwan, Delphin. Er beobachtet die Flugversuche junger Störche, hilft Marienkäfern beim Umdrehen, denkt über die Unterschiede zwischen Katzen und Hunden nach. Zwar sind ihm Letztere am nächsten, „das Verständlichste“ und „das Menschlichste“ zugleich, doch einen eigenen Hund zu besitzen und damit Verantwortung zu übernehmen, kam für ihn nicht in Frage.
Fasziniert von der Auslage eines Fischhändlers in Neapel beschreibt er, wie dessen Ware „kalt und schwer wie ein Haufen Werkzeuge“ daliegt. Im Pariser Jardin du Luxembourg betrachtet er die an ihm vorbeiziehenden Tiere auf einem Karussell und sieht den „Mut in ihren Mienen“. Er besucht die Papageien und Flamingos in der Menagerie des Jardin des Plantes, schaut auf die Löwin, die ihren sterbenden Partner umkreist. Und natürlich ist da der Panther, dessen Blick „vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, daß er nichts mehr hält“.
Die von Manfred Koch [1] und dessen Ehefrau Angelika Overath zusammengestellte Sammlung von Gedichten und Prosatexten zeigt Rilke als einen bewundernswert genauen, vom geschauten Gegenstand ausgehenden Beobachter. Das wird besonders deutlich durch die äußerst geglückte und graphisch ansprechende Kombination von Text und Bild.
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Sandra Richter, die für ihre Rilke-Biographie [1] zahlreiche bis dato unbekannte Dokumente sichtete, hat sich gemeinsam mit Anna Kinder des Themas „Rilke als Gärtner“ angenommen und dabei überraschende Dinge zutage gefördert. Am Beispiel von Rilkes Blumengedichten, seinen zahlreichen erst jetzt zugänglichen Blumenzeichnungen und -fotos sowie den im Nachlass überlieferten Sammlungen getrockneter Pflanzen wird gezeigt, „wie aus dem Seelengärtner Rilke ein tatsächlicher Gärtner wurde“.
Für Rilke galten Naturerfahrung und -beobachtung, verbunden mit einem soliden botanischen Grundwissen als Patenrezepte für literarische Produktivität. Zeitlebens bedauerte der als Stadtkind in Prag Aufgewachsene, dass ihm niemand Tiere oder Blumen gezeigt und erklärt hatte. Immerhin war ihm während seiner Militärschulzeit in Mährisch-Weißkirchen Ende der 1880er Jahre nicht nur die kleine Schulbibliothek aufgefallen, sondern auch der nahegelegene Park mit seinen Azaleen und Platanen. Als Achtzehnjähriger entwirft er eine „versifizierte Sprache der Blumen“, die jeder einzelnen bestimmte Eigenschaften zuschreibt. Seine besondere Sympathie gilt der Hyazinthe, die ihm zur Herzensblume wird.
Während seiner Zeit in Worpswede brachte ihm seine spätere Frau Clara Westhoff bei, zu schauen, wahrzunehmen und sich für die Natur wie für die Kunst zu öffnen. Im Frühjahr 1902, als das Paar in einem alten Bauernhaus in Westerwede lebte, schwärmte er in einem Brief an seine Mutter, es sei eine wahre Freude, „daß man einen Garten vor dem Fenster hat und ein wenig hinausgehen und das schwarze Land umgraben kann, das sich so erwartungsvoll in junger Sonne und im starken Winde dehnt!“
Erst in seinen letzten Lebensjahren, als er im schweizerischen Muzot ein neues Zuhause fand, hatte Rilke erneut die Möglichkeit zur Arbeit im eigenen Garten. „Rilke“, so die beiden Herausgeberinnen, „liebte das Gärtnern, jedoch nicht täglich und nicht als Pflicht. Er war Gärtner, oder vielmehr: Hilfsgärtner aus Liebhaberei und sofern es sich in seine sonstigen Beschäftigungen und Vorhaben fügte.“ Und da stand nun einmal die Dichtung im Vordergrund, die sich in vielerlei Hinsicht durch das eigene Gärtnern erklären lässt. „Tatsächlich kann Rilke“, heißt es am Ende dies eindrucksvoll gestalteten Büchleins, „der Flora und Fauna, Parks und Gärten bedichtete, auch als einer der – mit dem Ausdruck seines Freundes [Jakob von] Uexküll – ersten Umweltpoeten gelten.“
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„Rilke in der Schweiz“ ist das Thema, mit dem sich Gunnar Decker [2] befasst. Für den Dichter war es keine Liebe auf den ersten Blick. Die Schweiz war für Rilke kein Sehnsuchtsort und sein Verhältnis zu dem Land war, zumindest anfangs, von einem inneren Abstand bestimmt. Katharina Kippenberg, die Frau seines Verlegers, ließ er wissen: „Ich kann mir nicht helfen, es sind ,dumme‘ Gebirge, imposante Hindernisse, aber nicht klüger als irgend eine verrammelte Tür.“ Soweit Rilke im August 1919, einen Monat nachdem er Deutschland verlassen hatte. In den folgenden sieben Schweizer Jahren wird er nur noch drei Mal ins Ausland reisen: im Sommer 1920 nach Venedig, im Herbst desselben Jahres und im ersten Halbjahr 1925 nach Paris – deutschen Boden wird er nie mehr betreten.
Zwar wird sich seine Einstellung zum Land nach und nach ändern, und schon bald wird er erklären, die Schweiz fange an, ihm „begreiflich zu werden“. Doch es sind, wie schon andernorts, die Alltagsprobleme, die auf Rilke lasten. Zum Glück sind da Mäzeninnen wie die Gräfin Mary Dobrženský, die ihm nicht nur bei Problemen mit der Aufenthaltserlaubnis hilft. Sie greift ihm auch finanziell unter die Arme und vereinbart mit ihm eine monatliche Zahlung von 700 bis 900 Franken, die er nach Belieben zurückzahlen kann. Eine andere Einnahmequelle waren die vom renommierten, 1882 gegründeten Lesezirkel (Zürich-)Hottingen organisierten Vortragsveranstaltungen im Oktober und November 1919. Rilke trat in Zürich, St. Gallen, Luzern, Bern und Winterthur auf, was ihm, wie er seiner Bekannten Baronesse Sidonie Nádherný von Borutin schrieb, „einen bedeutenden Zuwachs an Beziehungen innerhalb der Schweiz eingetragen“ hätte.
Bei seiner Lesung in Zürich lernt Rilke Nanny Wunderly-Volkart kennen, die bis zu seinem Ableben damit beschäftigt sein wird, dem Dichter nicht nur jeden Wunsch zu erfüllen, sondern sich auch um dessen finanzielle Absicherung zu kümmern. Mit ihrer Hilfe und dank ihres Cousins Werner Reinhart, der die Miete und die Renovierung übernimmt, wird Rilke nach etlichen Provisorien im Sommer 1921 schließlich seinen letzten Wohnsitz beziehen: das im Wallis auf dem Gemeindegebiet von Veyras gelegene Château de Muzot.
Am 21. Juli 1921, fünf Tage vor dem Einzug, beschreibt er Marie von Thurn und Taxis sein neues Zuhause: „Es liegt etwa zwanzig Minuten, ziemlich steil, überhalb von Sierre, in einer weniger ariden, glücklichen, von vielen Quellen durchstürzten Ländlichkeit, – mit Ausblicken ins Thal, auf die Berghänge und in die wunderbarsten Tiefen des Himmels. Ein kleines ländliches Kirchlein, etwas links überhalb in den Vignen gelegen […], gehört auch dazu.“ Und an anderer Stelle heißt es, Muzot sei ein „Turm mit fernster Vergangenheit, in den einzuziehen, hart und rüde wie er ist, dem Anlegen einer alten Rüstung nicht ganz unähnlich war“.
Von 1923 an machten sich in immer stärkerem Maße physische Leiden bemerkbar. Um den Jahreswechsel 1923/24 hält sich Rilke zum ersten Mal in der Klinik von Valmont sur Territet bei Montreux auf. Weitere, zum Teil mehrmonatige Aufenthalte folgen. Seine damals noch nicht zu heilende Leukämie wird erst gegen Ende seines Lebens diagnostiziert. Rilke stirbt am 29. Dezember 1926 in Valmont. Seinem Wunsch entsprechend wird er am 2. Januar 1927 auf dem Friedhof von Raron bestattet.
Angelika Overath und Manfred Koch (Herausgeber): Rilkes Tiere. Insel Verlag, Berlin 2025, 112 Seiten, 16,00 Euro [Insel-Bücherei Nr. 1549].
Sandra Richter und Anna Kinder: Rilke als Gärtner. Insel Verlag, Berlin 2025, 112 Seiten, 16,00 Euro [Insel-Bücherei Nr. 1554].
Gunnar Decker: Rilke in der Schweiz. Insel Verlag, Berlin 2025, 144 Seiten, 18,00 Euro [Insel-Bücherei Nr. 2059].