In Heft 9 des Jahrgangs 1987 veröffentlichte Die Weltbühne unter der Überschrift „Ein ,erfülltes Leben‘“ folgende Bemerkung:
Die „Südwest-Presse“ in Ulm brachte im Februar eine Todesanzeige, in der dem Verblichenen ein „erfülltes Leben zum Wohle aller, die in seinem Einflußbereich waren‘, bestätigt wird.
Der so Bezeichnete war der vormalige SS-Gruppenführer (General) und Staatssekretär in der faschistischen Parteikanzlei Gerhard Klopfer. Trotz seiner aktiven Beteiligung an der „Wannsee-Konferenz“ wurde ihm in der BRD amtlich bescheinigt, daß er nur „minderbelastet“ sei. Er konnte sich in Ulm als Rechtsanwalt niederlassen, und alle weiteren Versuche, ihn zur Verantwortung ziehen zu lassen, wurden von der dortigen Justiz niedergeschlagen. (pem)
Der Historiker Horst Pätzold, ausgewiesener Fachmann für die Geschichte des deutschen Faschismus und des Dritten Reiches, griff die Nachricht in Nummer 16/1987 der Weltbühne auf. (Die Schreibweise der Originale wurde beibehalten.)
Von den Toten soll man nur Gutes reden, zitieren jene mit Vorliebe, die auch Pietät zum Spekulationsobjekt von Politik gemacht haben. Daß sich dennoch nicht über alle Toten unwidersprochen nur Gutes drucken läßt, erfuhr jüngst die in der Donau-Stadt Ulm in der BRD erscheinende „Südwest-Presse“ durch das Echo, das eine von ihr veröffentlichte Todesannonce auslöste.
Darin war mitgeteilt worden, daß der Rechtsanwalt Gerhard Klopfer kurz vor der Vollendung seines 82. Lebensjahres verstorben sei und dies „nach einem erfüllten Leben zum Wohle aller, die in seinem Einflußbereich waren“. Das wurde über einen Mann geschrieben, der bekanntermaßen zu den 15 Teilnehmern der Wannsee-Konferenz von 1942 gehört hatte. An ihr nahm Klopfer in seiner Eigenschaft als hochgestellter Nazifunktionär in der Parteikanzlei der NSDAP teil. Diese Oberste Reichsbehörde leitete Martin Bormann, der seinen Mitarbeiter an den Wannsee abgeordnet hatte.
Klopfer, wie so viele der aktiven Nazis an führenden Plätzen im Repressivapparat des faschistischen Staates ein ausgebildeter Jurist, hatte sich nach der Machtübergabe beeilt, seine Karriere zu begründen. Am 1. April 1933 war er Mitglied der Nazipartei geworden. Dann stieg er kontinuierlich und schließlich steil auf. Am 9. November 1944 war er von Heinrich Himmler zum SS-Obergruppenführer befördert worden. Das entsprach dem Rang eines Generals, und höher hinauf hatte es in der Ranghierarchie der SS auch Reinhard Heydrich nicht gebracht, dessen Einladung Klopfer am 20. Januar 1942 gefolgt war.
Daß der Tod des (nach allen vorliegenden Informationen) Ietzten Überlebenden unter den Teilnehmern der verbrecherischen Zusammenkunft derart bekanntgegeben worden war, erregte „unter einigen Ulmern“, wie es in der zurückhaltenden Formulierung der „Südwest-Presse“ hieß, doch „Beklemmung“. Auf sie reagierte die Redaktion nicht mit einer Mitteilung über die wirkliche Rolle, die Klopfer „in seinem Einflußbereich“ gespielt hatte, sondern mit dem Abdruck der Version seiner Witwe, wonach der Verstorbene gegenüber „oberen Stellen“ des Nazistaates Bedenken gegen Dinge angemeldet hätte, „die unanständig waren und für die er anständige Lösungen suchte“. Klopfer, selbst maßgeblicher Mann in einer „oberen Stelle“, oberhalb der es eine weitere nicht gab, hätte demnach, wenn Logik noch irgendetwas bedeutet, vor sich selbst Skrupel angemeldet.
Dieses abgrundtief verlogene Bild vom Ehrenmann ließ sich überhaupt nur aufgrund einer Vorgeschichte publizieren, die sich in den Justizorganen Ulms ereignet hatte. Die dortige Staatsanwaltschaft stellte am 29. Januar 1962, beinah am zwanzigsten Jahrestag der Wannsee-Konferenz also, das auf Drängen der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von sogenannten NS-Verbrechen eingeleitete Verfahren gegen Klopfer ein. Es begab sich damit wie andere Gerichte in der BRD vor ihm auf den Standpunkt, die Teilnahme an der Beratung darüber, wie, wo, in welcher Reihenfolge die europäischen Juden umgebracht werden sollten, sei nicht als strafbare Mittäterschaft anzusehen.
Die Nachricht von Klopfers Tod regt den Gedanken an, sich zu fragen, was denn aus jenen anderen 14 Teilnehmern geworden war, die er – der letzte – mehr oder weniger lange überlebte.
Nur viereinhalb Monate nach der Wannsee-Konferenz streckte in den Straßen von Prag ein tschechisches Widerstandskommando Reinhard Heydrich nieder, dem Hitler eines der pompösesten Staatsbegräbnisse des Regimes veranstalten ließ. 1945 endete das Leben einer größeren Anzahl von Konferenzteilnehmern. Staatssekretär Dr. Roland Freisler aus dem Reichsjustizministerium, inzwischen Vorsitzender des blutigen Volksgerichtshofes, kam bei einem Luftbombardement in Berlin um. Dr. Alfred Meyer, Staatssekretär im Ministerium für die besetzten Gebiete der UdSSR, nahm sich bei Kriegsende selbst das Leben. Unterstaatssekretär Martin Luther, 1942 im Auswärtigen Amt und später infolge einer Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten unter Sonderbedingungen in ein Konzentrationslager gebracht, verstarb nach dem historischen Maitag unbehelligt. Die Spur des SS-Obergruppenführers Heinrich Müller (Gestapo-Müller), eines der Stellvertreter Heydrichs, verlor sich in den Wirren der letzten Kriegstage in Berlin auf dem Gelände der Reichskanzlei, und alle Nachforschungen über seinen Verbleib führten zu keinem definitiven Ergebnis.
Nicht alle, die sich 1942 wohlgelaunt und schließlich hochgestimmt am Wannsee beraten hatten, vermochten 1945 unterzutauchen. Der SS-Oberführer Dr. Karl Schöngarth, der zum Zeitpunkt der Konferenz Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im sogenannten Generalgouvernement gewesen war und danach in den Niederlanden im System der verbrecherischen Besatzungsherrschaft wieder an maßgeblichem Platze gewirkt hatte, wurde am 11. Februar 1946 von einem britischen Militärgericht in Enschede zum Tode verurteilt und darauf hingerichtet. Gleiches geschah dem Staatssekretär in der Regierung des Generalgouvernements Dr. Josef Bühler, der sich bei Kriegsende wie die meisten Konferenzteilnehmer westwärts „abgesetzt“ hatte, doch entsprechend den Vereinbarungen der Alliierten an Polen ausgeliefert wurde. Ihm machte ein polnisches Gericht den Prozeß, das ihn am 20. Juli 1948 zum Tode verurteilte und dieses Urteil vollstrecken ließ. Das verdiente Schicksal erreichte offenbar auch den SS-Führer und Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes für den sogenannten Generalbezirk Lettland, Dr. Rudolf Lange, der bereits vor der Wannsee-Konferenz blutige Massaker in der Nähe von Riga kommandiert hatte. Am spätesten wurde der Aufenthalt Adolf Eichmanns geklärt. Von einer Sondergruppe des israelischen Geheimdienstes in Argentinien gekidnappt, illegal nach Israel gebracht und dort vor Gericht gestellt, wurde er nach dem Todesurteil am 31. Mai 1962 hingerichtet.
Zu diesem Zeitpunkt lebten alle anderen Teilnehmer der Wannsee-Konferenz, soweit sie nicht inzwischen als auf freiem Fuße lebende Bürger eines natürlichen Todes gestorben waren, unbehelligt in der Bundesrepublik Deutschland. Manche von ihnen hatten sehr kurze Haftzeiten hinter sich, die nicht mehr als Episoden gewesen waren. Otto Hofmann, ein SS-Führer im Generalsrang, der ehemalige Leiter des sogenannten Rasse-und-Siedlungs-Hauptamtes, wurde in einem der zwölf Nachfolgeprozesse gegen Gruppen faschistischer Politiker, Militärs und Wirtschaftsführer von einem Gericht der USA zwar zu 25 Jahren Haft verurteilt, doch kam er 1954 exakt im Jahr des NATO-Beitritts der BRD wieder auf freien Fuß. Da war der einstige Staatssekretär im Reichsinnenministerium Dr. Wilhelm Stuckart, den man im April 1949 zu einer geringfügigen Gefängnisstrafe verurteilt hatte, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt galt, bereits in Freiheit verstorben. Auch Reichsamtsleiter Dr. Georg Leibbrandt war 1949 aus Internierungshaft entlassen worden, wurde jedoch ein Jahr darauf durch Ermittlungsorgane der BRD noch einmal in ein Verfahren gezogen. Ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth stellte die weitere Verfolgung gegen ihn am 10. August 1950 mit der Begründung ein, es habe sich kein Beweis dafür erbringen lassen, daß er und ein weiterer früherer Mitarbeiter des Ostministeriums „zur Ausrottung der Juden in den besetzten Ostgebieten durch Rat und Tat wissentlich Beihilfe geleistet oder als Amtsvorgesetzte strafbare Handlungen ihrer Untergebenen wissentlich geduldet haben“. Diese Urteilsbegründung wurde knapp dreieinhalb Jahre nach der Auffindung des Protokolls der Wannsee-Konferenz durch Mitarbeiter amerikanischer Untersuchungsorgane gefällt.
Derzeit wird in der Villa in der Straße Am Großen Wannsee, in jenem Raum, in dem die Verbrecher berieten, eine Stätte der mahnenden Erinnerung eingerichtet. Da wird vor allem der Opfer gedacht werden. Doch könnte auch eine Dokumentation über das Ende der Mörder den Besucher sehr nachdenklich stimmen, beispielsweise jene 1987 veröffentlichte Todesanzeige aus einer Ulmer Zeitung samt dem Echo, das sie hervorrief.
Leider ist es der Redaktion nicht gelungen, den Autor hinter der Paraphe pem zu identifizieren und Inhaber der Rechte an Kurt Pätzolds Weltbühne-Publikationen ausfindig zu machen. Wir bitten daher darum, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.
Schlagwörter: Gerhard Klopfer, Kurt Pätzold, Wannsee-Konferenz


