Robert Crumbach (BSW), Finanzminister in Brandenburg – „Der Begriff ‚nukleare Teilhabe‘ ist für mich ein guter Kandidat für das Unwort des Jahrtausends. Die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes von Atomwaffen hat ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht“, haben Sie während einer Landtagsdebatte geäußert. Rund 12.500 Atomsprengköpfe gebe es weltweit. Fast 3800 seien sofort einsetzbar. Geschätzt 2000 seien in ständiger Alarmbereitschaft und könnten ihr Ziel in wenigen Minuten treffen und die Welt zerstören.
Wie wahr!
Interessiert nur hierzulande und auch anderswo kaum noch jemanden, wie die Marginalisierung der deutschen und internationalen Friedensbewegung praktisch tagtäglich schmerzlich verdeutlicht …
Aber lassen Sie sich davon nicht entmutigen, die Dinge immer wieder beim Namen zu nennen. Anderenfalls überließe man dem Irrsinn völlig das Feld!
Gustav-Adolf „Täve“ Schur, 94-jährige Radsportlegende – Ministerpräsident Reiner Haseloff verlieh Ihnen kürzlich den Verdienstorden des Landes Sachsen-Anhalt – in Anerkennung Ihrer Verdienste um den Sport, Ihres Engagements für die Förderung des Nachwuchses und Ihrer Vorbildfunktion. Herzlichen Glückwunsch! Unnötig hier alle Ihre sportlichen Erfolge aufzuzählen. Ohne Zweifel waren Sie der populärste Sportler der DDR, allein neunmal wurden Sie zum Sportler des Jahres gekürt. Dennoch legte Johannes Beleites, Sachsen-Anhalts Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Widerspruch gegen die Ehrung ein. Sie seien als Volkskammerabgeordneter „aktiver Träger und Unterstützer der SED-Diktatur und damit mitverantwortlich für das SED-Unrecht“ gewesen. Volkes Stimme interessiert Beleites offenbar weniger. Immerhin waren Sie auch frei gewählter Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Eine neuerliche Initiative, Sie in die Ruhmeshalle („Hall of Fame“) des deutschen Sports aufzunehmen, was bereits zweimal scheiterte, fand im sachsen-anhaltischen Landtag ebenfalls eine breite Mehrheit. Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen, dass sich in dieser Ruhmesliste bereits mehrere Sportler mit nachgewiesener Nazi-Vergangenheit befinden. Ohne einer Gleichsetzung das Wort zu reden, sei dies hier nicht verschwiegen.
Georg Stefan Troller, Journalisten-Legende und Jahrhundertzeuge – In Wien als Sohn eines jüdischen Pelzhändlers geboren, flohen Sie nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland in die USA, wo Sie zunächst in Ihrem erlernten Beruf als Buchbinder arbeiteten. Nach Europa kehrten Sie 1943 mit den US-Streitkräften zurück, im Tornister nur ein einziges Buch – Nietzsches „Zarathustra“. Sie waren an der Befreiung des KZs Dachau beteiligt. Aufgrund Ihrer Deutschkenntnisse wurden Sie bei der Vernehmung von Kriegsgefangenen eingesetzt. Zudem arbeiteten Sie als Reporter des Armeesenders Radio München.
Von 1946 bis 1949 studierten Sie Anglistik und Theaterwissenschaft in den USA. Zu einem Anschlussstudiengang mit Fulbright-Stipendium an der Pariser Sorbonne kam es nicht mehr, da der Westberliner RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) Ihnen einen Job als Reporter anbot. Seit 1952 berichteten Sie, auch für Medien in den USA, in Kanada und Österreich, aus Paris.
In Ihrem legendären WDR-Magazin „Pariser Journal“ (1962 bis 1971) brachten Sie den Deutschen Frankreich nahe. Für das ZDF porträtierten Sie in der Sendereihe „Personenbeschreibungen“ (1972 bis 1993) insgesamt 70 prominente Zeitgenossen, darunter 1973 den späteren langjährigen Blättchen-Autor Uri Avnery. Ihre Lebensbilanz soll etwa 2000 Interviews und 170 Filme umfassen. Darüber hinaus publizierten Sie eine Reihe von Büchern. Noch mit 100 Jahren wurden Sie von der Welt als Kolumnist für deren Literaturbeilage angeheuert. Ihr letzter Text erschien am 28. September 2025. Unter der Überschrift „Wie ich Shakespeare einen Holzspan klaute“ berichteten Sie von einem Besuch des „Globe“ im Jahre 1988. Shakespeares ursprüngliches Theater von 1599. Dessen Fundamente waren erst wenige Wochen zuvor unter einem Parkplatz zum Vorschein gekommen. Beim Abschied nahmen Sie „einen winzigen Holzspan vom alten Globe-Theater mit. Das und mein Zementbrocken vom Stammlager Auschwitz, und ich habe eine ganze Weltgeschichte.“
Sie waren Mitglied der Akademie der Künste Berlin. Dort äußerten Sie 2016 in einem anlässlich der Ausstellung „Kinder im Exil“ geführten Gespräch, das die Literaturzeitschrift Sinn und Form 2019 publizierte: „Ich werde immer wieder gefragt, ob Frankreich oder Amerika meine Heimat ist: Eine Heimat kann man sich nicht wieder aufbauen, das funktioniert nicht.“
Jetzt sind Sie, 103-jährig, in Paris verstorben. Solche wie Sie gibt es auf der Welt immer zu wenige.
Cansu Özdemir, Außenpolitikerin der Linken – In einem Gespräch über Krieg und Frieden, das Sie mit Freitag-Autorin Nelli Tügel führten, äußerten Sie zu Erwägungen, NATO-Truppen in der Ukraine einzusetzen: „Da läuten bei mir alle Sirenen.“ Von der Sache abgesehen: Solches registrierte die Weltbühne üblicherweise unter der Überschrift „Wirsing“. Belassen wir es dabei, dass bei uns alle Glocken aufheulten.
Claudia Cardinale, Leinwand-Göttin – Der Alltag Jugendlicher und junger Erwachsener in der DDR musste nicht zwangsläufig trist und grau sein, aber strahlend farbige Tupfer in denselben, die unvergesslich sind, setzten in jedem Falle Sie. Auf der Kinoleinwand. Neben Ihnen verblassten Stars wie Jean-Paul Belmondo in „Cartouche“ (1962), David Niven und Peter Sellers in „Der rosarote Panther“ oder Henry Ford und Charles Bronson in „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968). Seinerzeit oder später sahen wir natürlich auch die schwereren Ihrer großartigen Filme: Fellinis „Achteinhalb“ (1963), Viscontis „Der Leopard“ (1963), Herzogs „Fitzcarraldo“ (1982) …
Sie selbst zogen offenbar Erfüllung aus Ihrer Profession: „Prostituierte, Heilige, Verliebte, wirklich alle Sorten von Frauen – und diese Möglichkeit zu haben, sich zu verwandeln, ist unglaublich. Ich arbeitete mit den größten Regisseuren.“ Und Sie hatten eine klare Grenze: „Ich habe mich nie entblößt und auch nicht meinen Körper. Das Geheimnis ist sehr wichtig.“
Das wohl originellste Kompliment machte Ihnen einst Ihr Filmpartner David Niven: „Die schönste italienische Erfindung nach Spaghetti.“
Damit hätte der Mann sich heute einen formidablen Shitstorm eingefangen: politically völlig inkorrekt, weil – diskriminierend (mindestens gegenüber den Spaghetti) und sexistisch! Doch dreimal zum Teufel – der Mann hatte absolut Recht!
Jetzt sind Sie, 87-jährig, in Ihrer französischen Wahlheimat verstorben. Das Paradies ist zu beneiden …
Gloria von Thurn und Taxis, Fürstin – Sie gaben kürzlich kund und zu wissen: „Fest steht, dass die politische Kultur sich verändert hat und dass die Spaltung der Gesellschaft politisch motiviert ist. Während der Corona-Krise konnte man sehr gut lernen, welche Methoden die herrschende Klasse einsetzt, um das Volk bevormunden und gefügig machen zu können.“
Wow!
Mit der Aussage hätten Sie auch im SED-Parteilehrjahr reüssieren können. Was deswegen allerdings nicht automatisch bedeutet, dass das Gesagte falsch wäre.
Frank-Burkhard Habel, wandelndes Filmlexikon, auch Blättchen-Autor – In einem Ihrer regelmäßig per Mail versandten Sonntagsgrüße zitieren Sie den US-amerikanischen Schauspieler und Komiker Danny Kaye (1911-1987): „Umleitungen sind die beste Gelegenheit, endlich die eigene Stadt kennenzulernen.“ Hätten Sie einem Amerikaner so viel tröstenden Weitblick in Bezug auf die derzeitige Berliner (und sicherlich auch anderenorts zu beobachtende) Verkehrssituation zugetraut?
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