28. Jahrgang | Nummer 15 | 8. September 202

Wie die Neubabelsberger ihre Häuser verloren

von Volker Punzel

Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung
der Politik mit anderen Mitteln.

 

Der Militärtheoretiker Carl von Clausewitz, von dem dieser Satz stammt, verweist in der Erläuterung seiner Aussage auf das Politik und Krieg verbindende Element: Gewalt und deren Anwendung.

Seit die Menschen zum ersten Mal übereinander herfielen, Überfälle betrieben und Kriege führten, bereichern sich die Sieger an den Besiegten. Eine auch heute noch geübte Praxis. Männer wurden getötet oder als Arbeitssklaven verschleppt, Frauen wurden vergewaltigt und ebenfalls deportiert. Besitztümer, wie zum Beispiel Häuser, wurden beschlagnahmt oder enteignet und ihre Eigentümer vertrieben, sofern sie nicht vorher die Flucht ergriffen hatten oder per Selbstmord aus dem Leben geschieden waren.

Der US-amerikanische Historiker Norman M. Naimark schrieb 1995 in seinem Buch „Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949“: „Die Besatzungszeit im allgemeinen ist bereits gründlich aufgearbeitet worden, und über jede der westlichen Besatzungszonen gibt es einschlägige Literatur.“ Ein Vergleich der Publikationen zeigt jedoch ein Ungleichgewicht zu Lasten der sowjetischen Besatzungszone. Eine so umfangreiche Aufarbeitung der Vorgänge kurz nach Kriegsende bis Mitte der 1950er Jahre, wie sie für diesen Forschungsgegenstand erfolgte, steht für die westlichen Zonen noch aus. Dazu gehört auch die Einordnung der Erlebnisse von Melvin J. Lasky, Militärhistoriker im Dienst der US-Army, die er in „Und alles war still. Deutsches Tagebuch 1945“ niedergeschrieben hat.

Die Entscheidung von Churchill und Truman, den ihnen durch Stalin für die Austragung der Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) unterbreiteten Vorschlag anzunehmen, Schloss Cecilienhof zum Tagungsort zu machen und Neubabelsberg für die Unterbringung der Regierungschefs und der sie begleitenden Delegationen auszuwählen, hatte Folgen für die Eigentümer der am Griebnitzsee gelegenen Häuser und für deren Bewohner. Diese sind auch 80 Jahre später noch unzureichend aufgearbeitet. In der Konsequenz wirken zum Nachteil der damaligen Neubabelsberger gesponnene Legenden bis heute fort.

Die Alliierten – Großbritannien, Sowjetunion und USA – hatten sich zuvor bereits in Teheran (1943) und in Jalta (1945) zu Konferenzen getroffen. Die Größe der Delegationen für Teheran (USA: 77 Mitglieder) machte es möglich, dass die wichtigsten Personen in den Gesandtschaften ihrer Länder untergebracht werden konnten. „Der Präsident, Admiral Leahy, Admiral Brown, Major Boettiger und Mr. Hopkins bezogen als Gäste von Minister Dreyfus Quartier in der amerikanischen Gesandtschaft. Die anderen Mitglieder unserer Gruppe waren in General Connollys Anwesen untergebracht.“ Soweit das Reisetagebuch des US-Präsidenten Roosevelt.

Die Konferenz in Jalta auf der Halbinsel Krim wurde von der Sowjetunion vorbereitet. Zur Unterbringung der Delegationen konnte sie die nach der Revolution 1917 enteigneten und in Residenzen von Partei, respektive Regierung oder zu Kurhäusern umgewandelten Paläste der vorrevolutionären Oberschicht nutzen. Die US-Delegation hatte eine Größe von circa 100 Mitgliedern. Bei den Briten sah es ähnlich aus.

Als die Sowjetunion die Verantwortung für die Vorbereitung der Potsdamer Konferenz übernahm, gingen die Regierungschefs davon aus, dass die in Jalta gesammelten organisatorischen Erfahrungen hilfreich sein könnten. Doch dem war nicht so!
Neubabelsberg blieb trotz heftigster Kämpfe mit den deutschen Truppen um Potsdam zwar weitgehend unversehrt, es existierte aber keine intakte Infrastruktur mehr. Diese musste geschaffen werden: Bau von Behelfsbrücken, Reparatur von Straßen und Wegen, Gewährleistung der Versorgung mit Strom und Wasser sowie Lebensmitteln … Das größte Problem jedoch war die Beschaffung des Wohnraums für die Unterbringung der Delegationsmitglieder und der sie begleitenden Personen.

Neubabelsberg wurde in Zonen für die drei Delegationen aufgeteilt. Die darin befindlichen Häuser wurden beschlagnahmt. Ihre Eigentümer und Bewohner mussten innerhalb kürzester Zeit ausziehen und durften nur das Lebensnotwendigste mitnehmen.

Brigadier Owen M. Wales, Kommandeur des Hauptquartiers der britischen Delegation in Neubabelsberg, berichtet: „Am 23. Juni wurde mir mitgeteilt, daß der für die Dreimächtekonferenz gewählte Ort Potsdam sei und daß die britische Delegation in Babelsberg untergebracht werde, das ich bei der Untersuchung der Karte etwa zehn Meilen südwestlich von Berlin gefunden habe. […] Am frühen Morgen des 26. Juni fuhr ich um das der englischen Delegation zugewiesene Gebiet herum und fand, daß es aus siebenundvierzig Wohnhäusern verschiedener Größe bestand, von denen jedes in seinem eigenen Garten stand, etwa fünfzehn davon reizend an der Seite des Griebnitz Sees gelegen. Dies schien für die Unterbringung der Delegierten ausreichend zu sein, aber ich konnte nichts erkennen, was nach einer geeigneten Unterkunft für die unter meinem Kommando stehenden Einheiten, die etwa 5.500 Mann aller Ränge zählten, aussah.“

Erwartungshaltung und Realität kollidierten auch zwischen sowjetischen Organisatoren und amerikanischen Verantwortlichen. Die Sowjets gingen von Delegationen in einer Größe wie in Jalta aus. Sonderwünsche der Amerikaner sowie die in Begleitung der Delegationen mitgeführten Truppenteile trafen sie daher unvorbereitet.

Es gibt keine Quelle, wie viele Häuser damals den Besitzer wechselten und welche es waren. Der erste Versuch mehr zu erfahren bestand darin, die Adressbücher für das Gebiet von 1938/39 und 1949 zu vergleichen. Die 1949 nicht mehr zu findenden 320 Häuser hatte sich möglicherweise die sowjetische Besatzungsmacht angeeignet. Im Sommer 2025 konnten in Archiven der USA und Großbritanniens Dokumente zur Organisation der Konferenz gefunden werden. 105 Objekte waren demnach für die US-Delegation beschlagnahmt worden und 53 für die Briten.
Das ist die ermittelte untere Grenze. Es kann sein, dass in den ausgewerteten amerikanischen und britischen Telefonverzeichnissen nicht alle Häuser erfasst sind.

Die sowjetischen Gastgeber beschlagnahmten im Mai und Juni 1945 die Häuser und bereiteten sie grob für die Nutzung durch die Delegationen vor. Das endgültige Aussehen, innen und außen, nahmen die Amerikaner und Briten selbst vor. „Die Aufräumarbeiten des Delegationsgeländes waren seit meiner Ankunft im Gange, wobei deutsche Zivilarbeiter unter der Leitung russischer Wachen eingesetzt wurden. Gleichzeitig hatte ich meine Voraustruppe in Unterkomitees eingeteilt und ihnen die Verantwortung für die Instandsetzung der Häuser und ihrer Einrichtung übertragen, um sie für den Zweck auszurüsten, für den sie schließlich verwendet werden sollten.“ (O. M. Wales) Ausgehend davon ist die bis heute kolportierte Behauptung von einer durch die Sowjets vorgenommenen „Verwanzung“ der amerikanischen und britischen Delegationsunterkünfte nicht plausibel.

Hatten die Besatzer Skrupel, wie sie mit fremdem Eigentum verfuhren oder dieses nutzten? In Wales` Bericht ist darüber kein Wort zu finden. George Leggett, im britischen Hauptquartier als Dolmetscher tätig, formuliert da konkreter: „Die Russen sagen, dass die meisten Deutschen geflohen seien und ihre Häuser verlassen hätten, bevor das Gelände der britischen Delegation beschlagnahmt wurde, aber es gibt Geschichten, dass die Besitzer innerhalb einer halben Stunde hinausgeschickt wurden und ihnen erlaubt wurde, das Notwendige zum Leben und persönliche bewegliche Gegenstände mitzunehmen. […] Solche Maßnahmen sind natürlich in allen Besatzungszonen in Deutschland ganz normal.“ Die Häuser hätten hochrangigen Vertretern der Industrie und der Filmwirtschaft gehört, Parteigängern des nationalsozialistischen Staates. – So oder ähnlich lauten Beschreibungen der Eigentumsverhältnisse in Neubabelsberg in Notizen von Delegationsmitgliedern.
Es gab jedoch Hausbesitzer, die aus einfachen Verhältnissen kamen und mühsam die Hypothek abzahlten. Einige Gebäude gehörten zuvor jüdischen Eigentümern, die zum Verkauf gezwungen worden waren.

Die für die Konferenz beschlagnahmten Häuser wurden nach ihrer Beendigung von der sowjetischen Besatzungsmacht bis 1952 in einem mit Holzpalisaden umzäunten Sperrbezirk behalten. Mit Übergabe in die Verwaltung der DDR änderte sich die Eigentumssituation nicht grundsätzlich. Lediglich einzelne Häuser erhielten die früheren Eigentümer zurück und konnten für zwischen 1945 und 1952 entstandene Schäden Wiedergutmachung beantragen. Wie die Situation in jedem einzelnen Fall war, kann nur sorgfältige Forschung klären.