28. Jahrgang | Nummer 14 | 18. August 2025

Er steckt uns in die Tasche

von Holger Politt

Sommerlektüre. Wieder einmal der „Zauberberg“, jener großangelegte Erzählstoff über Raum und Zeit, das international berühmteste Werk von Thomas Mann. Um in einem Zug durchzukommen und das gewaltige Opus ungestört genießen zu können, verlangt der Leser nach dem erforderlichen Abstand von den ablenkenden wie hinderlichen Mühen des Alltags, er nutzt also die Sommerruhe. Fast ist es, als führte ihn eine unsichtbare Hand mit fortschreitender Lektüre selbst unweigerlich immer höher hinauf zum Sanatorium „Berghof“. Doch plötzlich bricht die Jetztzeit ein, genau an jener Stelle nämlich, an der Pieter Peeperkorn auftaucht – ein „älterer Holländer“, ein „Kolonial-Holländer, ein Mann von Java und Kaffeepflanzer“. Gewitzt und voller Ironie wird er vom Romanautor gegen die beiden fabelhaften, gleichwohl intellektuell zerstrittenen Philosophenköpfe Settembrini und Naphta in Stellung gebracht: Niemand brauche sich zu sorgen, dass „hier abermals ein Veranstalter geistiger und pädagogischer Konfusion auf den Plan tritt“. Peeperkorn war „keineswegs der Mann, logische Verwirrung in die Welt zu tragen. Er war ein völlig anderer Mann, wie wir sehen werden.“

Peeperkorns Redensart ist außergewöhnlich, sie verrät die Schwierigkeit, den angefangenen Gedanken zu Ende zu führen: „Gut. Alles gut. Er-ledigt. Wollen Sie jedoch ins Auge fassen und nicht – keinen Augenblick – außer Acht lassen, dass – Doch über diesen Punkt nichts weiter. Was auszusprechen mir obliegt, ist weniger jenes, als vor allem und einzig dies“. Den abschließenden Punkt setzt der Holländer mit „Vortrefflich!“, mit „Perfekt!“ und mit „Erledigt!“ Der gekonnt und sicher in langen Gedankengängen schwelgende Settembrini wirft dem Romanhelden Hans Castorp schließlich entnervt zu: „Aber, in Gottes Namen, Ingenieur, das ist ja ein dummer alter Mann!“ Settembrini schwört auf das Präzise und Logische, ist konsterniert, sobald er sich mit Peeperkorns Auftreten konfrontiert.

Hans Castorp stimmt anfänglich scheinbar zu, kopiert Peeperkorns Kulturgebärden – „Perfekt! Es ist nun einmal – Erlauben Sie mir – Gut!“ Doch dann holt er aus, überrumpelt den auf Rationalität fixierten Dialektiker, wirft seinerseits ein Schlüsselphänomen ein – das des Schauspieltalents und der Persönlichkeit! Er wagt schließlich den verblüffenden Vergleich: „Setzen Sie in eine Ecke eines Zimmers Herrn Naphta und lassen Sie ihn einen Vortrag über Gregor den Großen und den Gottesstaat halten, höchst hörenswert, – und in der andern Ecke steht Peeperkorn mit seinem sonderbaren Mund und seinen hochgezogenen Stirnfalten und sagt nichts als ‚Durchaus! Erlauben Sie mir – Erledigt!‘ – Sie werden sehen, die Leute werden sich um Peeperkorn versammeln, alle um ihn, und Naphta wird ganz allein dasitzen mit seiner Gescheitheit und seinem Gottesstaat, obgleich er sich dermaßen deutlich ausdrückt.“ Settembrini wirft dem Gegenüber „Erfolgsanbetung“ vor, warnt gar mit dem Teufel, der denjenigen holen werde, der sich darauf einlasse. Hans Castorp indes ganz kühl: „sagen Sie, was Sie wollen, und damit steckt er uns in die Tasche.“

Soweit Thomas Mann, soweit Hans Castorp und die anderen dort oben im Zauberberg!

Soeben läuft im August 2025 die Meldung über die Nachrichtenticker, dass US-Präsident Donald Trump den russischen Amtskollegen Wladimir Putin zu sich (und ausgerechnet nach Alaska) geladen habe, um endlich Frieden in die Ukraine zu bringen. Wenn diese Zeilen erscheinen, wird das Treffen bereits absolviert sein. Deshalb jetzt weniger davon, denn anderer Gedanke spukt im Kopf. Kürzlich hatte der Schreiber dieser Zeilen Gelegenheit, ein längeres Telefongespräch mit einer Person führen zu können, die Thüringer Landespolitik aus allererster Nähe zu bewerten weiß. Natürlich ging es um Gott und die Welt, fast am Schluss kam das Gespräch auch auf Trump. Aufhänger waren nicht das Kraut und Rüben mit den Strafzöllen, nicht die windige Außenpolitik, auch nicht die geographischen Schrullen, Aufhänger war vielmehr das kaum zu glaubende Stibitzen des in Gold glitzernden Pokals für die Gewinner der ersten Fußball-Weltmeisterschaft für Klubmannschaften, die in den USA ausgetragen wurde. Trump hatte den Pokal, den er überreichen sollte und der ihm nun so überaus gefiel, einfach mit ins Weiße Haus genommen. Als sie das nun hörte, warf die im politischen Geschäft erfahrene Gesprächspartnerin aus Thüringen bremsend ein: „Aber Trump ist nicht dumm!“

Wenn Trump also in seiner typischen Ausdrucksweise, die verrät, wieviel Mühe es kostet, den angefangenen Gedanken zu Ende zu spinnen, kein Dummkopf ist, so bleibt immer noch, ihn mit Pieter Peeperkorns zu vergleichen, ihn hineinzuziehen in jenes schöne Mann‘sche Spiel mit Schauspieltalent und Persönlichkeit! „Es könnte passieren, ich kann es Ihnen nicht sagen, wir haben es mit Indien getan – Wir tun es wahrscheinlich mit anderen. Einer von ihnen könnte China sein.“ So einer der unzähligen Trump-Sätze im Peeperkorn‘schen Format. Ein Mann folglich, der uns in die Tasche steckt! Geb´s Gott, dass nicht!

 

PS: Thomas Mann war entschiedener Gegner des Münchner Abkommens von 1938, sein Text „Dieser Friede“ sei ausdrücklich empfohlen. Der einleitende Satz lautet: „In den letzten Tagen und Wochen haben Ereignisse sich vollzogen, die einen immer noch beträchtlichen Teil der Welt – man darf ihn den besseren nennen – in tiefste Enttäuschung, Entmutigung, ja Verzweiflung gestürzt haben.“