Von einem Schreibtischmörder ist zu reden, von einem, der die Opfer einfangen ließ und sie den Mördern auslieferte. Er ist mitschuldig am Tode von Tausenden Antifaschisten, auch am Tode von Carl v. Ossietzky. Der Mann, von dem die Rede ist, heißt Hans Mittelbach, Doktor der Rechte.
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Am 7. April 1933 meldete der „Sonnenburger Anzeiger“, daß Schutzhäftlinge „mit dem Gesang der Nationalhymne … vom Bahnhof nach dem ehemaligen Zuchthaus“ marschieren mußten. Die „Gummiknüppel der Berliner Hilfspolizei“ hätten dabei vielfach nachgeholfen.
Die Häftlinge, die da ins alte Sonnenburger Zuchthaus geprügelt wurden, gehörten zu den Tausenden, die in der Nacht des Reichstagsbrandes nach vorbereiteten Listen und vorbereiteten Haftbefehlen festgenommen worden waren und in SA-Kasernen, Haftanstalten und im Berliner Polizeipräsidium „Vernehmungen“ erdulden mußten, unter ihnen Ernst Schneller, Walter Stoecker, Erich Mühsam, der Rechtsanwalt Hans Litten und auch Carl v. Ossietzky. Was die Häftlinge auf dem Wege vom Bahnhof bis zum Zuchthaus wirklich erdulden mußten, ist durch Zeugenaussagen belegt: Schon am Bahnhof wurden sie von SA-Leuten mit Knüppelhieben empfangen. Als die Häftlinge sich weigerten, das Horst-Wessel-Lied, das „Zuhälterlied“, wie die Arbeiter sagten, zu singen, fielen die braunen Schläger mit unbeschreiblicher Brutalität über den Zug her, schlugen nieder, trampelten mit Nagelstiefeln auf einigen Gefangenen herum. Litten, Mühsam, Ossietzky und der kommunistische Landtagsabgeordnete Kasper wurden am schwersten mißhandelt.
Aber das war erst der Anfang. Sonnenburg wurde in den folgenden Wochen und Monaten im „Reich“ und im Ausland zum Synonym für Folterkammer, überall sprach man von der „Hölle Sonnenburg“.
Wer hatte die ungesetzlichen Festnahmen, wer die Einweisung in die Hölle veranlaßt? In bekannten und in jetzt erst aufgefundenen Dokumenten stößt man immer wieder auf Dr. Hans Mittelbach, damals Staatsanwaltschaftsrat, erst im Berliner Polizeipräsidium, dann bei der Gestapo. Im „Verzeichnis der mit der Bearbeitung der politischen Angelegenheiten betrauten Dezernenten“ vom März 1933 wird als Leiter der Abteilung I, d. h. der politischen Polizei, Oberregierungsrat Diels und im Dezernat 2 a dieser Abteilung Staatsanwaltschaftsrat Mittelbach aufgeführt.
Mittelbach war nach diesem Geschäftsverteilungsplan für „Sonderaufträge“ zuständig. In der Klammer standen sie fein säuberlich aufgeführt: „Brandstiftung im Reichstag, Schließung des Karl Liebknecht-Hauses, Schließung der KPD-Lokale und … Polizeihaftsachen.“ Der Herr Staatsanwaltschaftsrat hat seine Sonderaufträge exakt durchgeführt. Er war es, der die Haftbefehle schreiben ließ und der sie auch unterschrieb: „… ordne ich hiermit an, da Sie bis auf weiteres im Interesse der öffentlichen Sicherheit in polizeiliche Haft zu nehmen sind.“[1]
Bei der Gründung des „Geheimen Staatspolizeiamtes“ unter der Leitung von Diels war Mittelbach selbstverständlich wieder mit von der Partie. Unter dem Datum des 22. 5. 1933 wurde im „Verzeichnis der Beamten, die mit der Bearbeitung der politischen Sachen betraut sind“ beim Dezernat 2 a wieder Dr. Mittelbach aufgeführt. Diesmal lautete sein Aufgabengebiet so: „Schutzhaft für Groß-Berlin (einschließlich der Beschwerden), Sonnenburg und die Brandstiftung im Reichstag.“
Für Sonnenburg war er offensichtlich deshalb zuständig gemacht worden, weil er es als Konzentrationslager für Schutzhäftlinge empfohlen hatte. Aus einer Aktennotiz vom 25. 3. 1933 geht hervor: „Als Sachbearbeiter des Polizeipräsidiums Berlin hat Staatsanwaltschaftsrat Mittelbach die Bearbeitung der Verwendung und Einrichtung der früheren Strafanstalt in Sonnenburg/Nm als Polizeigefängnis zur Unterbringung von Schutzgefangenen geführt“ — obwohl diese „frühere Strafanstalt“ 1931 wegen baulichem Verfall und katastrophaler hygienischer Zustände geschlossen worden war.
Aber das Schlimmste war nicht der Zustand dieses ehemaligen Zuchthauses. Was sich hinter seinen Mauern abspielte, ist kaum faßbar. Das Wachpersonal bestand aus den SA-Leuten des „Mordsturms 33“, und die taten alles, um ihren „Ruf“ zu rechtfertigen.
In einem Bericht über Ossietzky heißt es: „Carl v. O. wurde im Laufschritt herumgejagt, mußte sich hinwerfen, aufstehen, wieder hinwerfen, wieder aufstehen. Betrunkene SA-Leute ließen sich das Vergnügen nicht nehmen, hinter ihm herzulaufen und Ungeschicklichkeiten Ossietzkys durch Fußtritte und Schläge zu bestrafen. Oft vermochte sich Ossietzky kaum noch zu erheben, stumm lag er da, ohne Protest, ohne seinen Schmerz zu äußern. Solche Augenblicke benutzte der Sturmführer Bahr, ihn mit Füßen zu stoßen und zu brüllen: ,Du polnische Sau, verrecke endlich.‘„
In Erich Mühsams „KZ-Notizen 1933“ ist festgehalten: „Donnerstag, den 6. April: Abtransport über Schlesischen Bahnhof nach Sonnenburg. Ankunft usw. Nacht mit Ossietzky und Litten.
Sonnabend, den 8. April: Umzug in Einzelhaft (Keller) … Erdarbeit mit Ossietzky.“ Erdarbeit? Beide, Mühsam und Ossietzky, werden gezwungen, ihr eigenes Grab zu schaufeln. Die SA simuliert Hinrichtungen an ihnen.
Einmal tauchte auch Mittelbach im Lager auf. Das „Braunbuch“ zitiert den Bericht eines Gefangenen: „Ob Litten mit dem Leben davonkommen wird, weiß ich nicht. Er selbst hat den Staatsanwaltschaftsrat Mittelbach … gebeten, man möge ihm doch eine Kugel durch den Kopf jagen, weil er diese viehischen Mißhandlungen nicht ertragen könne.“
Es sprach sich sehr schnell ‚rum, was sich in Sonnenburg abhielte, dafür sorgten auch die Frauen und Verwandten der „Schutzhäftfinge“. Die Mutter des Rechtsanwaltes Hans Litten, die später ihre Aktionen zur Rettung ihres Sohnes in dem erschütternden Bericht „Eine Mutter kämpft gegen Hitler“[2] schildert, drang bis zu Mittelbach vor. „Vor seiner Tür haben sich etwa dreißig Angehörige von Schutzhäftlingen angesammelt, um gegen die Sonnenburger Ereignisse zu protestieren“, schreibt sie. „Dr. Mittelbach kommt gerade zur Tür heraus und erklärt, er empfange niemand, im Lager wäre alles in Ordnung.“ Ihr gelang es trotzdem, zu einem Gespräch beim Herrn Staatsanwaltschaftsrat vorgelassen zu werden. Hier ein Stück aus dem Dialog: „Ich: ,Ihnen untersteht das Lager, Sie können den Befehl geben, daß die Mißhandlungen zu unterbleiben haben. Sie werden doch wahrhaftig noch in der Lage sein, im Lager für Ordnung zu sorgen.‘ Dr. Mittelbach antwortet: ,Ihr Sohn ist eben so verhaßt bei der SA, daß man ihn beim besten Willen nicht schützen kann.’„
Als das Ausland immer häufiger von der „Hölle Sonnenburg“ sprach, kam es zu einem Theaterstück, wie es widerlicher nicht sein konnte. „Der Reichsbote“ vom 27. Mai 1933 teilte mit, daß die „Strafanstalt Sonnenburg“ von ausländischen Pressevertretern besichtigt worden sei. Die ausländischen Journalisten hätten sich „unter der Leitung von Staatsanwaltschaftsrat Dr. Mittelbach vom Geheimen Staatspolizeiamt in mehrstündiger Besichtigung von dem gesamten Anstaltsbetrieb, von der Sauberkeit der Anlagen und der beinahe mehr als humanen Behandlung der Häftlinge überzeugen können, die ganz im Sinne des dort zu leistenden Erziehungswerkes liegt. Die Befragung der Insassen ergab dann auch in nicht einem Falle irgendwelche Klagen über ungerechte Behandlung, schlechte Beköstigung oder gar Mißhandlung.“ Unter den ausländischen Journalisten befand sich auch der Amerikaner Hubert Knickerbocker, der ein Gespräch mit Carl v. Ossietzky erzwang. Es war jenes berühmte Gespräch, bei dem Ossietzky auf die Frage, ob er denn besondere Bücherwünsche habe, antwortete: „Jawohl, deutsches Mittelalter!“
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Von den Sonnenburger Häftlingen hat kaum einer überlebt, die Schicksale von Ossietzky, Mühsam, Litten, Schneller, Stoecker und vielen anderen sind bekannt. Was aber wurde aus dem Staatsanwaltschaftsrat Mittelbach, dem Haftbefehlausschreiber, dem eigentlichen Kommandanten von Sonnenburg? Er ging den Weg des Schreibtischmörders weiter: Er wurde Ankläger am faschistischen Sondergericht Berlin. Er lieferte vor allem die ans Messer, die sich Vergehen gegen die „Kriegswirtschaftsverordnung“ erlaubten, und er schrieb in den „Fachzeitschriften“ die entsprechenden scharfen Kommentare dazu.
Dr. Mittelbach wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Seine „Bestrafung“ nach 1945 war die Ernennung zum Oberlandesgerichtsrat am Kölner Oberlandesgericht. 1970 erhielt er seinen Abschied, in allen Ehren selbstverständlich, wie es sich für einen richtigen „Rechtswahrer“ gehört. Und nun verzehrt er seine Pension, möchte nicht mehr an die Jahre 1933 bis 1945 erinnert werden. Wir können seinem Wunsche leider nicht nachkommen.
[1] – Siehe Wb 32/1984, Kurt Rückmann: „Die schwarze Kette“, über die Verhaftungen von Thälmann und Dimitroff.
[2] – Erschienen 1947 und 1984 im Greifenverlag zu Rudolstadt.
Schlagwörter: Carl v. Ossietzky, Kurt Rückmann, Mittelbach


