28. Jahrgang | Nummer 13 | 28. Juli 2025

Sandmeer, Waldmeer, nichts mehr?

von Barbara Bernd

Die Häuserzeile an der Uecker heißt Neues Bollwerk. An der Pier schaukeln die Segelboote, der Blick der Flaneure geht natürlich aufs Wasser, sofern er nicht gerade auf irgendwelche Bronzen fällt. Davon gibt es einige in der historischen Altstadt, die mit Millionen der Städtebauförderung aufwendig restauriert wurde. Nichts gegen diese Aufhübschung ostdeutscher Kommunen mit Westgeld. Die einstige Kreisstadt ging schließlich durch die Einheit ihres Titels verlustig, ihrer Betriebe und auch ihrer Einwohner (ein Viertel der einst etwa zwölftausend Bewohner gibt es nicht mehr), da kam das bunte Pflaster für die geschundene Seele recht. Der geschrumpften Kleinstadt gab man 2013 ersatzweise den Titel „Seebad Stadt Ueckermünde“. Das klingt wie der ganze Kapitalismus: hochstapelnd, aber gut. Ueckermünde liegt nämlich am Haff, kurz vor der polnischen Grenze. Nicht am Meer. Um zur Ostsee zu gelangen, müsste man erst die Peene oder die Swina hinaufschippern.

Die A 20 geht fernab vorbei, es führen lediglich Landstraßen nach Ueckermünde, und mit der Bahn reist man nur sehr beschwerlich. In Jatznick, so der Zug von Berlin nach Stralsund überhaupt dort stoppt, kann man umsteigen. Die zwanzig Kilometer lange Bahnstrecke von hier bis ans Haff, so weiß Wikipedia, war zu DDR-Zeiten gut ausgelastet. Doch danach „schlossen zahlreiche Betriebe entlang der Strecke. Der Personenverkehr nahm ebenfalls sehr stark ab, was auch auf die Schließung bzw. Umstrukturierung zahlreicher NVA-Standorte (in diesem Fall Torgelow und Eggesin) zurückzuführen war.“ Die Volksarmisten, die das Schicksal in die abgelegenste Ecke des Landes getrieben hatte, höhnten damals trefflich wie sarkastisch: Sandmeer, Waldmeer, nichts mehr. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Nur ist eben alles anders.

In diesen Teil seines kleinen Vaterlandes zog zu Beginn der achtziger Jahre der Leipziger Maler und Grafiker Klaus Parche. Freiwillig. Dort verstarb er auch im Juli vergangenen Jahres, wenige Tage vor Vollendung seines 85. Lebensjahres. Der gebürtige Messestädter war gelernter Maschinenschlosser und Teilnehmer der Abendakademie der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Dann studierte er an der Fachschule für angewandte Kunst in Leipzig, um anschließend bei der DEWAG als angestellter Gebrauchsgrafiker zu arbeiten. Er wurde schließlich Mitglied des Verbandes Bildender Künstler der DDR und machte sich selbstständig. Für freischaffende Künstler in der DDR war die Kunst keineswegs brotlos. Selbst in jenem abgeschiedenen Winkel nicht. Und alles ohne Internet, Autobahn und Schnellzugverbindung.

Klaus Parche war vermutlich zu DDR-Zeiten kein sonderlich politischer Mensch. Die Umstände nach 1990 machten ihn dazu. Erst der Sozialabbau, der Niedergang der Wirtschaft in seiner Heimat, dann die Aufrüstung. Kriege wie der im Kosovo unter Beteiligung der Bundeswehr, die Gemetzel im Irak, Afghanistan, im Nahen Osten ließen ihn im Wortsinne Partei ergreifen. Es entstanden grafische Blätter und Bilder, die er vermutlich zu DDR-Zeiten nie geschaffen hätte. Zu politisch, zu propagandistisch, hätte er vielleicht gesagt und den Auftrag abgelehnt. Nun, plakativ sind die meisten seiner im Selbstauftrag entstandenen Arbeiten, der Schöpfer konnte seine berufliche Herkunft nicht verbergen. Offenkundig war das selbst dem Begründer und Herausgeber des RotFuchs, der „Tribüne für Kommunisten, Sozialisten und andere Linke“, zu aufdringlich, weshalb Parche die Zusammenarbeit beendete. Es hatte Streit um eine Karikatur zur katholischen Kirche gegeben. Die solle ihm vom Halse bleiben mit ihrem heuchlerischen Gerede vom Schutz des ungeborenen Lebens: wer sich an kleinen Jungs vergreift, habe nicht einmal Respekt vor dem geborenen Leben. Ob das wirklich die Bruchstelle war, kann nicht mehr geklärt werden: Die beiden Beteiligten sind tot. Aber für Parche blieb es dabei: In Zeiten der Täuschung und Verschleierung ist eine klare Ansage nötig!

Parches Lebensgefährtin Marika Hanske hat den Nachlass dem Haffmuseum übergeben. Die Einrichtung befindet sich in einem kolossalen Turm, dem Rest des Schlosses, in welchem einst die Pommernherzöge residierten. Museumschef und einziger Mitarbeiter ist ein Maschinenbauer, ein Seiteneinsteiger. Dieser Michael Baudner ist ein engagierter Zeitgenosse, ein Enthusiast voller Leidenschaft für seine aufklärende Mission und für diese Region. Auch wenn sich ins Haffmuseum übers Jahr keine siebentausend Besucher verirren, ist es eine wichtige kulturpolitische Institution. Die jetzt dabei ist, die vorhandenen Werke von Parche zu archivieren, zu katalogisieren und auch zu ermitteln, wohin die verkauften oder verschenkten Arbeiten gegangen sind. Bedrückt von der Sorge um die Zukunft der Einrichtung, denn auch über dieser schwebt wie ein Damoklesschwert der Rotstift.

Aber jetzt macht Baudner erst einmal in einer Sonderausstellung einen Teil der Bilder und Grafiken Parches öffentlich. (Der Mann war Jahrgang 1939 …) Eines seiner wuchtigen Antikriegs-Gemälde hatte er dem Greifen-Gymnasium geschenkt, als dort ein Philipp Amthor Schüler war. Das konnte er ja nicht wissen, er hoffte allgemein, dass sein Bild etwas bewirke.

Am Haus Nr. 6 am Neuen Bollwerk steht in einer Nische der Alte Fritz. Vorm Ersten Weltkrieg erwarb ein Verehrer des Preußenkönigs das Haus und ließ den Mann mit Dreispitz in Beton gießen, um ihn dort zu platzieren. Die DDR mochte den Hohenzollern nicht, weil er für den preußischen Militarismus stand. Erst als DDR-Historiker – allen voran Ingrid Mittenzwei – das grobschlächtige Preußenbild korrigierte und Honecker Rauchs Reiterstandbild vom Potsdamer Exil wieder zurück an seinen angestammten Platz in Berlin beorderte, waren auch die Bemühungen des Kulturbundes in Ueckermünde erfolgreich: Die Mauer fiel, mit der Fritz verborgen worden war. Allerdings gefiel das offenkundig einigen in der SED-Kreisleitung nicht, weshalb die Betonfigur in der Nische schon wenige Tage später wieder hinter einer Platte versteckt wurde. 2005 (!) wurde dann mit Hilfe der schon erwähnten Städtebaufördermitteln der alte Alte Fritz wieder freigelegt und das ihn umgebende Gebäude saniert. Das trägt nunmehr die Nr. 1 – es ist die erste Station des Ueckermünder Rundgangs „Historische Gebäude“.

Man könnte aber auch dem „Marsch des Lebens“ folgen – entlang der Route der vierzehn Stolpersteine, die es ebenfalls gibt. Die ersten drei übrigens wurden vor 15 Jahren auf Initiative von Schülern des Greifen-Gymnasiums verlegt. Vielleicht hatte Parches verschenktes Antikriegs-Bild ja doch etwas bewirkt.

 

Klaus Parche: Malerei und Druckgrafik, Sonderausstellung im Haffmuseum in Ueckermünde, Am Rathaus 3, geöffnet täglich (außer montags) von 10:00 bis 17:00 Uhr; noch bis 7. September 2025.