In der Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen vom 13. Mai 2016 hieß es, Anfang der 1920er Jahre wären im Berliner Zoo zwei Eisbären besonders beliebt gewesen. Angeblich sei man irgendwann auf die Idee gekommen, zwei Leute im Eisbärenkostüm vor den Eingang zu stellen, die sich gegen Geld mit den Wartenden fotografieren ließen. Das sei so erfolgreich gewesen, dass sich die „Eisbären“ bald vermehrten und landesweit zunächst auf Volksfesten zu finden waren.
Wahrheit oder eine der vielen Legenden? Kulturhistoriker Michael Schimek („Der Foto-Eisbär – ein ungewöhnlicher Erinnerungsträger an schöne Augenblicke“, in: „Die Macht der Dinge […]“, Münster 2011) zufolge begann die Eisbären-Manie Anfang der 1930er Jahre in deutschen Bade- und Kurorten. Ein Foto mit dem coolen Pelztier als skurriles, nicht ganz billiges Urlaubssouvenir (drei bis fünf Mark pro Abzug) musste sein, egal, ob am Strand, im Fotoatelier oder bei einer Festivität. Sammlungen im Internet oder in Buchform, etwa die mehr als 300 „Bären“-Fotos des Franzosen Jean-Marie Donat, von denen mehr als 200 im Bildband „TeddyBär“ seines Kunstverlags „Innocences“ veröffentlicht sind, oder das 2019 bei „Hatje Cantz“ erschienene Buch „Eisbären“ von Jochen Raiß zeigen Aufnahmen mit als Eisbären verkleideten Personen bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten. Selbst vor kriegszerstörten Gebäuden, mit Eva Braun, mit Wehrmachtssoldaten, nach dem Krieg mit US-Soldaten sind die „Eisbären“ zu sehen. Eine Erklärung für den plötzlichen Boom konnte Michael Schimek nicht geben.
Auch die Rügener Fotografen mussten sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen, um Kunden im Badeort, am Strand oder im Atelier vor die Linse zu bekommen, und griffen die Idee mit den „Bären“ gern auf. Das erste auf Rügen zum Einsatz gekommene Eisbären-Kostüm könnte vom Fell-Lieferanten Wilhelm Heino, Lünzmühlen bei Schneverdingen (Lüneburger Heide), gestammt haben. Zumindest wurde in einem alten Katalog (um 1931) unter der Position 10 auf Eisbärenkostüme verwiesen, die der Firmeninhaber „vornehmlich für Fotografen und Schausteller aus weißen Pelzfellen“ anfertigte. Bei Anfrage machte Heino auch gern Sonderangebote. 1886 gegründet und heute noch aktiv, war die Firma „früherer Hoflieferant und Lieferant vieler Fürstlichkeiten“.
Die Selliner Fotografen Knospe und Schröter verfügten jeweils über einen eigenen „Eisbären“. Bei sommerlichen Temperaturen konnte es schon vorkommen, dass deren menschliche Darsteller sofortige Gehalts- und vor allem Getränkezulagen einforderten. Besonders der Knospebär soll häufig stark beschäftigt gewesen sein, trat vormittags am Strand und nachmittags am Selliner See beim Wasserflugzeuglandeplatz in Erscheinung. Auf Mönchgut konnte man sich durch „Susi“, „den lachenden Bären“ des Fotografen Horneburg, belustigen lassen, vermerkte der Reiseführer von Schuster für 1913 – 1914. Später soll der Sohn des Göhrener Fotografen Bitterling, Horst, im „Susi“-Fell gesteckt haben.
Bis in die 1950er Jahre kamen die Bären zum Einsatz, dann waren die Fellkostüme verschlissen. Inzwischen war der einstige Boom auch abgeflaut, möglicherweise, weil sich viele Urlauber nun selbst einen eigenen Fotoapparat leisten konnten und auf die vergleichsweise teuren Angebote der Strand- und anderen professionellen Fotografen verzichteten.
In jüngster Zeit stand am Selliner Strand und auf der Seebrücke wieder ein „Eisbär“ in Form eines Kunstpelzkostüms aus einer Kölner Werkstatt für Fotomotive zur Verfügung, allerdings wohl nur mit bescheidenem Erfolg.
Während historische Ansichtskarten mit Eisbären häufiger zu finden sind, muss man Karten mit der Micky-Maus eher suchen. Die Maus war als Fotomotiv weitaus weniger beliebt. Eine vom Göhrener Photohaus Carl Bitterling angefertigte Aufnahme eines Paares am Badestrand mit einem als Micky-Maus verkleideten Darsteller in der Mitte stammt aus dem Jahr 1936. Eine ebenfalls 1936 von der Photo-Zentrale H. Nicolai entwickelte Kleinbildfotografie zeigt die Micky-Maus zwischen einer Dame und zwei Herren am Strand von Baabe. Aber durfte eine amerikanische Werbefigur 1936 an einem reichsdeutschen Strand gezeigt werden?! Mitte und Ende1930 sowie Anfang 1931 waren Micky-Maus-Comics auch in deutschen Zeitungen erschienen. Bereits am 1. Januar 1930 gab es die Zensurfreigabe für den ersten Micky-Maus-Film in Deutschland, „The Barn Dance“ („Tanz in der Scheune“). Der siebenminütige Film wurde im Vorprogramm zum Ufa-Spielfilm „Wenn Du einmal Dein Herz verschenkst“ im Berliner Kino „Universum“ gezeigt. Der Film-Kurier vom 18. Januar lobte nach der Aufführung: „Der Tonfilm-Mäuserich tanzte sich schnell in alle Herzen […]. Die Geräusch- und Musikillustration ist witzig genug, so daß das Publikum über das Schnarchen, Heulen und Krächzen hell auflacht.“ In einer ganzseitigen Anzeige der Südfilm A.-G. im Film-Kurier vom Februar 1930 wurde die Maus sogar mit den Worten vorgestellt, „An mein Volk! Heil sei dem Tag, an dem ich euch erschienen! Es war ein Sieg auf der ganzen Linie!“
Im April 1930 erwirkte eine Fürther Firma Patentschutz für „Mickey“ beim Reichspatentamt. Fortan konnte Disney auch in Deutschland gegen Hersteller von Micky-Maus-Produkten ohne Lizenz vorgehen.
In mehreren Ausgaben des Stralsunder Tageblatts inserierte das 1928 durch Umbau des Tanzsaals der „Hansa-Halle“ errichtete Stralsunder Filmtheater „Scala“ mit Micky-Maus-Filmen im „tönenden Beiprogramm“. Angekündigt wurden unter anderem die Filme „Micky-Maus als Pampasreiter“, „Micky-Maus bei der Feuerwehr“, „Das Dampfroß steigt“, „Ein Schiff streicht durch die Wellen“ und etliche andere mehr. Am 16. August 1930 richtete sich eine Anzeige unmittelbar an die Kinder unter den Kinobesuchern: „Grüß Gott! Ich bin die Micky-Maus! Ach Kinder – seht ihr traurig aus! Kommt morgen in die SCALA und lacht mit mir. – Und lacht mich aus!“ Angekündigt wurde eine sonntagnachmittägliche Jugend- und Familien-Vorstellung mit großem Tonprogramm, unter anderem mit dem Micky-Maus-Film „Der Scheunentanz“. Die Preise betrugen für Kinder 30 und 50 Pfennige, für Erwachsene 90 Pfennige und 1,20 Mark.
Bereits während der Weimarer Republik hatten manche Nazi-Zeitungen gegen die Micky-Maus-Figur des „Finanzjuden“ Walt Disney gehetzt. Hitler störte das wenig: Als ihm sein Propagandaminister 1937 18 Micky-Maus-Filme schenkte, war er „ganz glücklich über diesen Schatz“, notierte Joseph Goebbels in sein Tagebuch. Fortan wurden diese und andere vorwiegend Unterhaltungsfilme auf dem „Berghof“ bei Berchtesgaden, in der Berliner Reichskanzlei oder im Braunen Haus in München gezeigt, oft mehrere hintereinander, wie Hitlers Umgebung klagte. In deutschen Kinos wurde die Aufführung von Filmen der Disney-Studios wegen „Deutschlandfeindlichkeit“ erst ab Mitte 1941 verboten. Ab dann dürfte es auch mit den Micky-Maus-Motiven der Rügener Strandfotografen vorbei gewesen sein.
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