Der Zeitgeist, wenn er baden geht, tut dies
mit viel délicatesse. Er zupft am Haar sich und an
der Badehose vorn (er ist ein Mann, cis), tunkt seine Zehen
in den See, prüfend, ob die Temperatur ein Eintauchen
erheischt, dann lugt er unter der Achsel (unrasiert) zum Ufer: zum
Publikum, ob es ihm applaudiert, goutiert, ihm
nacheifern will: aufm Sprung und eingecremt die Leute.
Dann wagt er zierlich einen ersten Schritt. Ein
Tänzer im lauen Wind, der aus dem Wald am Ufer
übers Wasser streicht und säuselnd feine Wellen
pustet, mit einem zweiten, dritten Schritt, bis er
zum Bauche drinnen steht: in der warmen Jauche,
in der sein Glied schrumpft, seine Haut schrumpelt;
aber aufrecht lächelnd dreht er sich um und winkt.
Ob sie ihm folgen sollen? Ob er sie nur grüßen will?
Das Publikum steht da und fragt sich was.
Bis der eine sich löst und an das Wasser tritt,
wo‘s Nasse grad die Fußspur des Vorgängers löschte.
Noch zögert er, noch zieht es ihn nach vorne nicht
und nicht nach hinten. Er prüft mit seinen Zehen, ein
Imitator desjenigen, der vor ihm längst abgetaucht ist, den See.
Doch niemand sieht es. Das Publikum hat sich
abgewandt, einem Wesen zu, das aus dem Wald tritt,
die Hände erhoben, den Kopf gen Himmel, wie ein
Wanderprediger vielleicht, und es singt: „Ich bin
Der Zeitgeist! Ich bin der Neue!“ Und siehe,
er ähnelt den Untergegangenen aufs Haar, was aber
niemand bemerkt, weil jeder das Andere sehen will,
das hinter dem Neuen im Gebüsch hockt und sich nun
aufrichtet, um abzuwarten, bis der vor ihm übern Strand
ans Ufer tritt, die Zehen prüfend ins Wasser tunkt
wie einen Keks in den Tee gegen fünf Uhr nachmittags,
obwohl es frischer Morgen ist, noch unentschieden
das Wetter – aber wir liegen im Gras und freuen uns
über den Wechsel der Geister; sie bringen immer was mit
für uns, diese Weihnachtsmänner der Geschichte, denen wir
folgen wie die Kinder dem Rattenfänger von H (cis?).
Schlagwörter: Eckhard Mieder, Zeitgeist