27. Jahrgang | Nummer 23 | 4. November 2024

Caesars Tod

von Manfred Orlick

Brutus, auch du? – So falle, Cäsar!“ Wer kennt ihn nicht, den letzten, verzweifelten Ausruf, den William Shakespeare in seinem Drama „Julius Cäsar“ (1599) dem römischen Imperator in den Mund legte (in der bekannten Schlegel-Tieck-Übersetzung). Unter den Dolchstößen von dreiundzwanzig Verschwörern brach der Herrscher zusammen. Historisch nicht gesichert, sollten die Worte verdeutlichen, dass Caesar gerade vom 15 Jahre jüngeren Marcus Junius Brutus Loyalität erwartet hatte

Der Althistoriker Michael Sommer, der schon zahlreiche Veröffentlichungen zur römischen Geschichte vorgelegt hat, untersucht in „Mordsache Caesar“ nicht nur, ob Caesar tatsächlich mit den Worten starb, die in die Weltgeschichte eingingen. Er geht vor allem den Fragen nach: Wie konnte es so weit kommen? Wer waren die Täter? Und welche Motive trieben sie an? Mit der Ermordung Julius Caesars am 15. März 44 v. Chr. nimmt der Autor eines der bekanntesten Ereignisse der Antike in den Blick. Der Untertitel des Buches lautet zwar „Die letzten Tage des Diktators“, doch das Attentat wird vor dem Hintergrund der römischen Geschichte betrachtet. Dazu geht Sommer weit zurück bis zur Gründung der Römischen Republik, dem Mythos von der Freiheit. 400 Jahre vor Caesars Geburt hatten die Römer ihren letzten König, Tarquinius Superbus, gestürzt und aus Rom vertrieben.

Diese Selbstbehauptung gegenüber Tyrannen war über die Jahrhunderte im historischen Gedächtnis präsent geblieben. Deshalb haben Caesars letzte Tage eine lange Vorgeschichte. Doch der Kampf um die Vorherrschaft im Staat in den Jahrzehnten vor dem Attentat hatte bereits zu einem Verfall der republikanischen Idee geführt. Diese Periode war geprägt von territorialer Expansion, sozialen Unruhen, militärischen Reformen und politischen Machtkämpfen, die in mehreren Bürgerkriegen gipfelten. Als am 10. Januar 49 v. Chr. Caesar den Grenzfluss Rubikon gen Italien überschritt, stürzte er damit die Republik in eine tiefe Krise, die vier Jahre später in Caesars Alleinherrschaft mündete. Durch seine alleinige Macht im Staat und die Vereinigung wichtiger Ämter in einer Person wurde die Republik von innen ausgehöhlt. Eine Gruppe von Senatoren und führende Persönlichkeiten aus den Provinzen des Imperiums empfanden Caesars Machtstreben als eine Demütigung; sie sahen ihren Einfluss und die Republik von einer Königsherrschaft bedroht.

Wie ein Ermittler versucht Sommer, ein Bild von Caesars Persönlichkeit und dem Handeln seiner Gegner zu gewinnen. In einzelnen Kapiteln werden die Biografien von Caesars wichtigsten Anhängern und den führenden Attentätern näher beleuchtet – von Cato über Pompeius, Cassius und Brutus bis zu Octavius. Obwohl die Drahtzieher der Verschwörung seit über 2000 Jahren bekannt sind, stützt sich die Quellenlage nicht auf viele Indizien: ein paar Briefe der Caesarmörder, in denen natürlich aus Vorsicht die Pläne nur vage angedeutet wurden, oder Schilderungen von Zeitgenossen, die aber weder an der Tat noch an ihrer Vorbereitung beteiligt oder zu der fraglichen Zeit gar nicht in Rom waren.

Bereits nach Caesars vollständigem Sieg über Pompeius in der Schlacht von Pharsalos findet Sommer erste Indizien für eine Konspiration, ehe sie Ende des Jahres 45 v. Chr. endgültige Gestalt annahm. Er legt die Motive der Mörder und ihr Handeln frei; wobei der Begriff „Mörder“ eigentlich fehl am Platze ist, denn die Täter handelten in aller Öffentlichkeit während einer Sitzung des Senats. Der Autor unternimmt den Versuch, die Geschehnisse des schicksalhaften Datums zu rekapitulieren – bis Caesar „zu Füßen der Pompei-Statue verblutet“.

Doch war mit seinem Tod die Freiheit zurückgekehrt? Die Verschwörer hatten zwar einen Plan nach dem Attentat, doch es folgten weitere innere Wirren und Bürgerkriege. Den Kampf um die Nachfolge gewann schließlich Caesars Adoptivsohn Gaius Octavius, der seine Widersacher Antonius und Lepidus aus dem Weg geräumt hatte. Der „junge Caesar“ war aber nicht nur skrupellos, sondern auch ein „gelehriger Schüler“, denn er hatte begriffen, dass er neben seinen Legionen auch die Senatoren als Partner brauchte. Caesars monarchische Herrschaft hatte ihm das Vorbild gegeben und die Weichen für die nun beginnende Kaiserzeit gestellt. Von 31 v. Chr. bis zu seinem Tode 14 n. Chr. war Octavius als Kaiser Augustus Alleinherrscher des Römischen Reiches.

Sommer liefert eine dicht erzählte Geschichte der letzten 100 Jahre der Römischen Republik, die sich wie ein Kriminalroman liest, in dem der Autor als Ermittler in einem Mordfall auftritt. Illustriert wird die Neuerscheinung, die sich an ein breites Publikum wendet, durch einige Abbildungen von römischen Büsten und Münzen. Der umfangreiche Anhang bietet neben Anmerkungen, Bibliografie sowie Personen- und Ortsregister auch zwei Stammbäume und eine Zeittafel der römischen Geschichte von der Geburt Caesars (100 v. Chr.) bis zu seiner Ermordung.

Michael Sommer: Mordsache Caesar – Die letzten Tage des Diktators. Verlag C.H. Beck, München 2024, 316 Seiten, 26,00 Euro.