27. Jahrgang | Nummer 2 | 15. Januar 2024

Schreiben – wo, wie und warum?

von Uli Jeschke

Ich sitze schon wieder auf meiner Bettkante und hacke in die Tasten, der Laptop vor mir auf dem kleinen runden Tischchen. Nicht wirklich bequem, aber irgendwie tue ich das seit vielen Jahren. Dabei habe ich mir das Schreiben immer so schön vorgestellt. Kräftig gesponsort von englischen Filmen sah ich mich im Geiste an einem dieser großartigen, hölzernen Schreibtische auf einem kapitonierten, lederbezogenen Schreibtischsessel in einem holzgetäfelten großzügigen Raum sitzend und schreiben. Neben mir wahlweise ein Glas Rotwein oder Weinbrand, um den Ganglien bei Bedarf aufzuhelfen, und im Aschenbecher ein qualmendes Pfeifchen.

Dabei hatte ich schon einmal so einen wunderbaren, zu großen Schreibtisch aus der Gründerzeit – von meiner Tante Emmi geerbt, nebst einer Kommode, einem halben Sekretär und zwei wunderbaren tiefen Sesseln. Das war die Grundausstattung meiner Studentenbude in der Hufelandstraße in Berlin.

Geschrieben habe ich allerdings meist auf dem Sessel lümmelnd, um mich herum die Bücher verstreut. Der tolle Schreibtisch wurde dann nur für die Diplomarbeit gebraucht, weil meine uralte Ideal-Schreibmaschine aus den 1930er Jahren fast 20 kg wog. Aber 1982 verlangte die Uni von der Diplomarbeit ein Original und fünf Durchschläge. Die Maschine konnte das. Und wir wollten keinen anderen mit der Schreibarbeit beauftragen, wir hatten wenig Geld und waren auch eitel. Man weiß ja, dass einem die besten Ideen beim Schreiben kommen. Allerdings musste man so kräftig auf die Typen schlagen, dass ich nach ein paar Stunden regelmäßig Muskelkater in den Fingern bekam.

In der Redaktion der Zeitschrift Militärwesen schrieb ich mit der Hand; wir hatten ja fleißige Schreibkräfte, die dann nebenbei auch noch die Unsicherheiten in der Interpunktion ausglichen. Heute macht das das Rechtschreibprogramm, aber nach gefühlt einem Dutzend Rechtschreibreformen sieht eh keiner mehr durch.

Ich habe immer Hegel vors Loch geschoben. Der soll Kommata nur nach den Sprechpausen in seinen Vorlesungsmanuskripten verwendet haben. Beim Schreiben, das ja noch mit Federkiel und Tinte aus dem Fass erfolgte, ließ er sich von Nichts und Niemandem ablenken. War der Gedanke einmal im Kopf, galt es ihm bis zum Ende zu folgen. Allerdings soll das bei seinen Vorlesungen ebenso gewesen sein. Dann stand er minutenlang denkend am Pult und sagte – nichts.

Ein Anderer seiner Zunft, der in Königsberg lehrte, hatte auch so seine Eigenheiten. Immanuel Kant war, so berichten Zeitgenossen, als Mensch eher schwierig. Er war ein Korinthenkacker, beim Schreiben und im Leben. Anders als Hegel war er von kleiner, schwächlicher Gestalt und ewig ein wenig kränklich. Außerdem war er geizig. Deswegen stand sein Schreibtisch unmittelbar am Fenster, um nicht so viel Öl für Licht zu verschwenden. Allerdings war er sich auch einiger seiner Macken bewusst. So wird berichtet, dass er, der ewig schniefende, sein Schnupftuch extra in der dem Schreibtisch am weitesten entfernte Ecke seines Zimmer deponiert hatte, um immer wieder aufzustehen und sich Nase putzend Bewegung zu verschaffen.

Wieder andere Philosophen schrieben gar nichts. Sokrates, der einst über den Markt von Athen schlenderte und dabei einen berühmten Satzeinfall hatte (Wieviel Dinge sehe ich, die ich nicht brauche), hat keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen. Daran war sicher nicht seine Frau, die nicht weniger bekannte Xantippe, Schuld. Alles was wir von und über ihn wissen, ist uns aus den Schriften seiner Schüler überliefert. Offensichtlich begnügten sich die antiken Follower nicht damit, irgendwelche Haken zu machen.

Herrmann Ley, Zahnarzt und Philosoph, dem das Verdienst gebührt, den Lehrstuhl Philosophische Probleme der Naturwissenschaften an der Humboldt-Universität Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts zu großer Blüte gebracht zu haben, hat zwar ganz „normal“ geschrieben, soll allerdings zum Denken öfter in einem Waschkorb voller Bücher gesessen haben. Ob das allerdings nur fake news sind oder Wahrheit ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden

Überhaupt gehört die Zuneigung zu den Sinnesfreuden, zu den Springquellen ergiebigen Schreibens. Siehe Karl Marx, von dem ich sicher das Bild vom rotweintrinkenden Schreibenden im Kopf geerbt habe. Der musste schon als Studiosus in den Karzer, weil er zu viel des roten Rebensaftes intus hatte. Später in London lebte er mit seiner immer größer werdenden Familie oft in beengten Verhältnissen. Deswegen und wegen des überwältigenden Bücherbestandes ging er häufig in den Lesesaal des British Museum. Hier fand er, ungewöhnlich für die Mitte des 19. Jahrhunderts, einen Arbeitsplatz mit Heizung und Tinte zum Schreiben vor. So verfasste er große Teile des ersten Bandes des „Kapitals“ in diesem Lesesaal, der auch ein paar Jahre später von Lenin genutzt wurde.

Ein anderer sinnesfreudiger Schreiber war der rasende Reporter Egon Erwin Kisch. Er, der schon mal zu Beginn seiner Karriere eine völlig erfundene, aber brillant geschriebene Geschichte in der Redaktion ablieferte, erwies sich im Laufe seines Lebens als kluger, mitfühlender, manchmal auch zorniger Schilderer der Wirklichkeit. Dabei tauchte er weltweit in die Umgebung jener Menschen ein, die er so treffend beschrieb. Und wenn es sich ergab, legte er seine Notizen kurz zur Seite, um deftig zu essen und zu trinken.

Ein anderer den Sinnenfreuden sehr zugewandter schreibender Mensch war Ernest Hemingway, den das Trauma des Ersten Weltkrieges geformt hatte. Das Leben in vollen Zügen in sich aufsaugen, nichts auslassen, immer ruhelos. Trotz enormer Mengen von Alkohol und ewiger Frauengeschichten war er ein disziplinierter Schreiber. Vier bis fünf Seiten am Tag, jeden Tag, das war die Norm. Die kleine Schreibmaschine befand sich dabei auf einer Art erhöhtem Pult, denn Hemingway machte es im Stehen, das Schreiben.

Ein anderer, dessen Texte sich immer wieder mit Genuss lesen lassen und der leider etwas in Vergessenheit geraten ist, war der in Großbritannien als Verräter geschmähte Alan Winnington. Von ihm sind ein paar Bilder bekannt, die ihn beim Schreiben zeigen, irgendwo im Nirgendwo hockend, die Reiseschreibmaschine zwischen den Knien. Er berichtete Ende der 1940er Jahre vom Kampf des chinesischen Volkes gegen die Truppen Chiang Kai-scheks, später vom Kampf der Volksrepublik Korea gegen den Süden, vor allem aber gegen die US-Amerikaner und ihre Verbündeten, unter ihnen Großbritannien, und danach vom Kampf des vietnamesischen Volkes.

Zum vorläufigen Abschluss noch jemand, die sich oft nicht aussuchen konnte, wo sie gegen die Ungerechtigkeit, Dummheit und für eine bessere Welt schreiben konnte. Rosa Luxemburg saß während des Ersten Weltkrieges ziemlich lange in des Kaisers Knästen. Die Vermutung der kaiserlichen Behörden, dass es wohl nicht schaden könne, einer Frau Schreibwerkzeuge zu gestatten, sollte sich als folgenschwerer Irrtum herausstellen. Etliche der damals mit Bleistift auf schlechtem Papier verfassten Manuskripte tragen noch heute das Zeug zum Aufruhr in sich.

Wir sehen, neben einer ausufernden Neugier ist der Wille zur Aufklärung, um zum Besseren der Menschheit beizutragen, wohl ein nicht geringer Antrieb zu schreiben. Letzteres scheint heute nur noch im Verborgenen zu wirken, zu groß ist die kulturelle und intellektuelle Verwahrlosung der letzten dreiunddreißig Jahre. Insofern hier ein kleiner Aufruf. Menschen, lest!

Uli Jeschke ist Philosoph und arbeitete bis zur Verrentung als Redakteur und Verlagslektor. Er lebt in Chorin.