27. Jahrgang | Nummer 2 | 15. Januar 2024

Der Star – nicht nur rückwärts betrachtet

von Robert Trieten

Begriffsarbeit ist wichtig in schwierigen Zeiten. Deshalb wollen wir uns das auf dem ersten Blick reichlich unverfängliche Wort Star zunächst „von rückwärts anschauen“, wie es Novalis einmal formuliert hat.

„Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar.“ Ja, dieses Kinder- und Frühlingslied kennt man hierzulande. Fast vergessen ist aber, dass dieser schwarzgefiederte Singvogel früher gern in Käfigen zu Hause gehalten wurde, wodurch viele Menschen eine besondere Beziehung zu ihm aufbauten. Einige Redewendungen kommen aus dieser Zeit, zum Beispiel „singen können wie ein Star“. Den Star kennen wir auch bei den Augenkrankheiten, der bei der Trübung der Augenlinse grau und durch einen erhöhten Augeninnendruck grün sein kann. Dieser Star ist gefährlich, kommt etymologisch aber, also rückwärts betrachtet, aus einer anderen Gegend angeflogen, denn ab dem 16. Jahrhundert wurde eine „krankhafte Starrheit der Augen“ so bezeichnet.

Aber unser eigentliches Thema ist etwas jünger. Ein anderer Star bevölkert seit dem 19. Jahrhundert in großen Schwärmen unseren Sprachraum. Ursprünglich als Film- und Theatergröße definiert, flog er von ganz weit oben zu uns. Denn im Englischen ist der Star einfach ein Stern, den wir von den Star-Wars-Filmen kennen.

Die aktuelle und hochansteckende Star-Epidemie ist offenbar nicht mehr aufzuhalten. Nicht nur in Theater und Film gibt es jetzt Stars, sondern auch in anderen Bereichen (Staranwalt, Starreporter usw.). Vor allem im Fußball wimmelt es nur so von diesen Vögeln. Es existieren (einfache) Stars, Topstars, Stars der Spitzenklasse, Superstars, Starspieler und Stars des Deutschen Fußball-Bundes (sog. DFB-Stars), der sich wider Erwarten gemeinnütziger Verein nennt.

„Spaniens Jungstar Gavi fällt lange aus“, hieß es Ende November 2023 in einer Zeitung. Die jungen Stars wollen natürlich mit aller Macht richtige Superstars werden. Zu diesem Zwecke kaufen sich in ihrer Gefallsucht junge Fußballer wie Ermedin Demirovic, als er noch beim SC Freiburg kickte, für 176.000 Euro ein 600 PS-Auto; als dies 2020 in der Presse vermeldet wurde, hatte er gerade einmal sechs Bundesliga-Minuten absolviert, d. h. für jede Minute 100 PS.

Als Altstars werden dagegen nur die bezeichnet, die bei einer Welt- oder Europameisterschaft grandios versagten, womit klar ist, dass Deutschland die größte Altstar-Dichte der Welt hat. Damit ist schon sinnfällig, dass sich diese Stars / Promis selbst im Fall von sportlichen Dauerniederlagen als Vorbilder für die gesamte Menschheit gerieren. Da kann man durchaus anderer Meinung sein. „Denken Sie an all die wertlosen Leute, die uns Tag für Tag als bewundernswerte Vorbilder vorgehalten werden: Filmstars, Politiker, Sportler“, lesen wir in der Erzählung „Der Ghost Writer“ von Philip Roth. Und der Politiker Heiner Geißler wusste zu berichten, dass die Berühmtheit mancher Zeitgenossen „mit der Blödheit der Bewunderer“ zusammenhängt. Deshalb werden die Prominenten von einigen Soziologen auch „Die Überflüssigen“ genannt.

Die Promistars, die ja angeblich so viel Gutes für die Menschheit leisten, reden ununterbrochen von Bescheidenheit, Bodenständigkeit, Ehre, Treue und Liebe. Nach Zeitungsberichten hatte Pietro Lombardi, einst ein Deutschland-sucht-den-Superstar-Sänger, 12.000 Euro Bargeld auf der Straße verloren; er wollte sich eine Uhr kaufen. Er sei als Familienvater eigentlich sparsam und gebe nicht mit so viel Geld aus dem Haus, aber ab und zu wolle man sich eben auch mal etwas gönnen.

Ja, die wirklichen Prominenten gönnen sich in der Tat sehr viel und werden dadurch zu einer globalen Umweltkatastrophe. Die US-amerikanische Sängerin Taylor Swift zum Beispiel hatte in den ersten sieben Monaten des vorigen Jahres mit ihrem Privatjet, einer dreistrahligen Dassault Falcon 7X, 170 Flüge absolviert. Die britische Marketing-Agentur Yard, die sich mit den Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz beschäftigt, berechnete ihre Flugemissionen: 8293,54 Tonnen CO2 oder 1184,8-mal mehr als die jährlichen Gesamtemissionen eines Durchschnittsbürgers!

Doch zurück zu den Kickern. Der Autor und Fußballexperte Frank Willmann hat vor einigen Jahren die kriminellen Machenschaften mancher Fußballhelden seziert und ihnen ungezügelte Gier und Scheinheiligkeit attestiert. Luka Modrić ist beispielweise ein in Spanien „arbeitender“ Steuerbetrüger, der in den vergangenen Jahren durch Football-Leaks-Enthüllungen enttarnt wurde. Trotz seines Millionenbetrugs erhielt er 2018 die Auszeichnung zum „Weltfußballer“. Der Fußball-Autor Christian Spiller (Zeit Online) brachte die Erfolgsgarantie des Spitzenfußballs auf eine Formel: „Luka Modrić wurde also wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Das war der letzte nötige Schritt, um endlich auch Weltfußballer zu werden.“

In kriminelle Machenschaften waren ebenso Fußballgrößen wie Christiano Ronaldo und Lionel Messi verwickelt. Sie kamen in Spanien mit Geldstrafen davon, „die sie locker aus einer Keksdose schüttelten“. Dagegen schickte man den Whistleblower John, der alles aufgedeckt hatte, ins Gefängnis. „Die Fußballmafia ist gnadenlos, wenn man ihrem Geschäftsmodell gefährlich wird“, so Willmann.

Fußballer können durchaus Opfer von Kriminellen werden. In das Haus des bekannten britischen Spielers David Beckham war an einem kalten Februartag des Jahres 2022 eingebrochen worden. Ein maskierter Einbrecher schlich sich trotz Bewachung durch Personenschützer und Kameras in Beckhams 48-Millionen-Dollar-Residenz im Westen Londons; die Familie Beckham schlief schon. Der Schaden hielt sich allerdings in Grenzen. Der Dieb nahm Designer-Ware und Elektronikgeräte im Wert von mehreren Tausend Dollar mit.

Zu den Themen Eitelkeit, Gier und Selbstüberschätzung findet man im Alten Testament („Der Prediger Salomo“ 1.14. und 10.1.) einige aktuelle Aussagen, obwohl es damals noch gar keine Fußballer gab: „Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht; und siehe, es war alles eitel und Haschen nach Wind.“ Und: „Schädliche Fliegen verderben gute Salben; also wiegt ein wenig Torheit schwerer denn Weisheit und Ehre.“

Die Stars sind, dies zum Endspiel, nichts anderes als Produkte dieser egoistischen Gesellschaft, in der nur Geld und Macht zählen. Und wenn man die Chance hat, Millionen zu verdienen und sich Luxusautos zu leisten, dann macht man es halt. Wie schrieb der wirkliche Fußballfachmann Christoph Ruf einmal? „Die Aufregung über teure Spielzeuge einzelner Stars lenkt vom eigentlichen Problem einer völlig abgehobenen Branche ab.“