Wer eifriger Sollorz-Leser ist, kennt den Paul schon. Einen Paul. Denn die Geschichten aus´m Osten um „Paul und andere“ erschienen nach einem munteren Kolumnen-Leben schon vor über dreißig Jahren und machten dem gleichgeschlechtlich liebenden Publikum viel Vergnügen. Hoher Wiedererkennungswert! Doch der Paul von heute ist 22, ein Dachdecker wie der Autor es auch war. Ihn verschlägt es nach Friedrichshain, wo sich Sollorz gut auskennt. Der verließ Berlin inzwischen, nicht unbedingt wegen der modischen Großstadtflucht, sondern weil die Mieten kaum noch zu bezahlen sind, Gentrifizierung eben. Paul wird Auseinandersetzungen um Häuserkampf hineingezogen.
„Rigaer, Ecke Liebig, noch keine dreiundzwanzig, mittelgroß, dunkelblond, ein junger Dachdecker, der jeden Werbeauftritt seiner Innung schmücken könnte.“ So beschreibt der Autor seinen Helden, der prompt von der Frauenwelt vereinnahmt wird. Mit Marie, einer zehn Jahre älteren Doktorandin, zieht er durch Berlins Klubs, findet neue Bekannte in Swinger-Clubs, Drogen geht er nicht wirklich aus dem Weg. Hat er ein Ziel? Lässt er sich ewig treiben?
Michael Sollorz erzählt diese Beziehungen in einem lakonischen Stil, selbst in den erotischen Szenen. Als besonderen Kniff hat er sich einen Untersuchungshäftling gewählt, der Pauls Geschichten wiedergibt, und den eine besondere Beziehung mit dem Gefängnisarzt verbindet. In welcher Beziehung dieser Mann zu Paul steht, kann geraten werden, macht einen Teil der Spannung aus. Vielleicht gerät dem Autor dabei der soziale Aspekt in seinem dem Leben abgelauschten Roman etwas zu kurz.
Michael Sollorz: Zeit der Kräne, Quintus-Verlag, Berlin 2023, 248 Seiten, 22,00 Euro.
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Eins kann man Margarethe von Trotta nicht vorwerfen: dass sie Anlass-Filme dreht. Auch, wenn ihr neuer Film „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ zum 50. Todestag der mittlerweile legendären Schriftstellerin in den Kinos gestartet wurde, hat sie mit Filmen über Gudrun Ensslin (1981), Rosa Luxemburg (1986), Hildegard von Bingen (2009) und Hannah Arendt (2012) bewiesen, dass sie vor allem die Stellung bedeutender Frauen in der Geschichte interessiert. Beim Bachmann-Film ist es anders und auch nicht.
Trotta erzählt Bachmann zwischen zwei unterschiedlichen Männern. Der prominentere ist Max Frisch, der hier als „Chauvi“ dargestellt wird, der seine eigene Arbeit über die der Partnerin stellt. Parallel erzählt wird die Geschichte einer Reise der Bachmann mit dem bisexuellen Autor und Filmemacher Adolf Opel in die Wunderwelt der nordafrikanischen Wüste, die für sie Befreiung bedeutet.
Der biografisch interessierte Zuschauer kann auch dem Komponisten Hans Werner Henze und dem Dramatiker Tankred Dorst begegnen, aber das Zentrum der Handlung liegt bei dem Dualismus zwischen Bachmann und Frisch. Letzterer kommt im Film schlechter, will sagen unsympathischer und selbstsüchtiger, weg als wohl im Leben. Das Drehbuch schrieb Trotta, bevor ihr der Briefwechsel zwischen Bachmann und Frisch, der vor genau einem Jahr erschien, zugänglich war. Er dürfte einiges in neues Licht rücken.
Darstellerisch ist der Film auf gutem Niveau. Vicky Krieps, die wir vor einigen Jahren als Jenny Marx und kürzlich als Elisabeth „Sisi“ von Österreich sehen konnten, ist Luxemburgerin. Als Frisch agiert der Berliner Ronald Zehrfeld, der figürlich Heinrich George nacheifert. Aber es geht viel von der Atmosphäre zwischen den beiden aus Klagenfurt und Zürich verloren, wenn sie ganz hochdeutsch miteinander umgehen. Löbliche Ausnahme ist Tobias Resch, der die Wiener Sprachfärbung des Adolf Opel mitspielen lässt.
Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste, Regie Margarethe von Trotta, derzeit in zahlreichen Kinos; Ingeborg Bachmann / Max Frisch: „Wir haben es nicht gut gemacht“ – Der Briefwechsel, Suhrkamp, Berlin 2022, 1039 Seiten, 40,00 Euro.
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Möchte jemand die Phantasie junger Schulkinder testen? Kleineren darf auch gern vorgelesen werden. Die Grafikerin Juliane Pieper hat ein herrlich buntes „großes wildes Buch der Entscheidungen“ gezeichnet und geschrieben. In „Such aus!“ gibt sie die komischsten Wahlmöglichkeiten auf Fragen wie „Was möchtest du essen“, „Wo möchtest du Urlaub machen“, „Welches Haustier möchtest du“, „Was ist am peinlichsten“, „Welchen Po möchtest du“ oder „Was findest du katastrophal“. Nicht nur die kuriosen Tiere und Monster, die an Gedichte von Morgenstern und Ringelnatz erinnern, machen Vergnügen, auch Wortspielereien wie das Schleimparadies „Las Spaßhabas“ und „Oberschweineöde“, das jedem Ostberliner vertraut ist. Juliane Piepers Buch schafft überbordenden Frohsinn!
Juliane Pieper: Such aus!, Klett Kinderbuch, Leipzig 2022, 32 Seiten (ab 4 Jahren empfohlen), 14,00 Euro.
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