26. Jahrgang | Nummer 22 | 23. Oktober 2023

Antworten

Klaus Höpcke, Umstrittener – Sie wurden immer wieder mal „Bücherminister“ genannt. Das gefiel Ihnen. Sie selbst sprachen gerne vom „Leseland DDR“. Das hob nicht zuletzt auch die Bedeutung der von Ihnen von 1973 bis 1989 geleiteten Hauptabteilung Verlage und Buchhandel des Ministeriums für Kultur der DDR. Zugleich legten solche Begriffsfindungen einen sanften Schleier des Wohlwollens über einen misslichen Zustand: Ein einigermaßen kritischer gesellschaftlicher Diskurs war in der DDR de facto nur im Bereich von Kunst und Literatur möglich. Dadurch lag Ihr Amt natürlich immer im Fokus der Macht. Offiziell war es „nur“ für die Zuteilung von Papierkontigenten an die Verlage zuständig – und die Genehmigung der Verlagsprogramme. De facto war die „HAV“ aber die oberste Zensurbehörde der DDR, der sich viele Autoren nur mit – freundlich formuliert – gemischten Gefühlen näherten. Sie selbst sprachen nicht von Zensur, die gab es nur beim Fürsten Metternich. Sie sprachen von „Druckgenehmigungsvorgängen“. Bei denen war für Sie durchaus ein Handlungsspielraum, der Ihnen bei Einigen den Ruf eines Buch-Ermöglichers einbrachte: das Ringen um Volker Brauns Hinze-und-Kunze-Roman zum Beispiel. Für etliche Andere waren Sie der Buch-Verhinderer. Erich Loest ist da nur das bekannteste Beispiel. Nichts ging so einfach seinen sozialistischen Gang …

Wie auch immer: Sie gehörten zu den Vielen im Lande, die einen „besseren Sozialismus“ wollten und dafür auch den Unmut noch Mächtigerer in Kauf nahmen. Es gehörte Anfang 1989 schon Mut dazu, sich in der DDR für die Freilassung von Václav Havel einzusetzen. Ab 1990 waren Sie für die PDS aktiv. Zuletzt im Thüringer Landtag. Den Untergang Ihrer Partei müssen Sie nun nicht mehr erleben, am 14. Oktober 2023 verließen Sie das Podium endgültig.

 

Sigmar Gabriel, Hans-Dampf in allen Gassen – Böse Menschen werfen Ihnen eine Verquickung von privaten und öffentlichen Interessen vor. Natürlich ist das der blanke Sozialneid. Die gönnen Ihnen alle den Aufsichtsratsvorsitz der Thyssenkrupp Steel Europe AG nicht. Aber Sie sind nun mal am Gedeihen der deutschen Wirtschaft interessiert! Einseitige Vertretung von Stahlinteressen kann man Ihnen nicht vorwerfen. In den Aufsichtsräten von Deutscher Bank und Siemens Energy sitzen Sie schließlich auch. Und als die Afrikanische Schweinepest an die Tür klopfte, haben Sie auch den Schweinefleischverarbeiter Tönnies eine gewisse Zeit lang beraten.

Was man so alles berät, wenn man denn zusammentrifft, verriet kürzlich die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (Drs. 20/8088): „Allgemeiner Austausch“ und die „Zukunft der Stahlindustrie“ sind immer beliebte Themen. Seit Ihrem Amtsantritt bei Thyssenkrupp am 7. April 2022 wurden bis dato 13 Gesprächskontakte mit der Bundesregierung aufgelistet. „Man soll nicht an Türen klopfen, hinter denen man selbst mal gesessen hat“, zitiert abgeordnetenwatch.de in diesem Zusammenhang gehässigerweise eine Ihrer Äußerungen nach Ihrem Ausscheiden aus der Bundesregierung. Abgeordnetenwatch weiß sehr genau, dass Sie kein Solitär auf den Polit-Plantagen dieser Republik sind. Die Plattform listete kürzlich rund 100 Namen ehemaliger Bundestagsabgeordneter und Amtsträger auf, die im Lobby-Register des Deutschen Bundestages stehen. Nur wer noch an den Weihnachtsmann glaubt, sieht keine Zusammenhänge zwischen den Aktivitäten Dirk Niebels (FDP), der für Rheinmetall arbeitet, und denen einer gewissen Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MdB-FDP), die den Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages leitet. Wer immer noch glaubt, unsere Regierung regiert demokratisch gewählt quasi im Auftrage des Volkes, sollte sich diese Liste anschauen…

Ach so, Ehrenämter haben Sie ja auch noch. Vorsitzender des Atlantik-Brücke e.V. zum Beispiel. Die unverbrüchliche Freundschaft ist schließlich Herzenssache. Sind Sie eigentlich noch Sozialdemokrat? Weshalb, zum Teufel, trauen eigentlich immer weniger Menschen Ihrer Partei noch über den Weg?

 

Manfred Güllner, Forsa-Chef – Als Demoskop sind Sie zumeist mit Vorhersagen sehr vorsichtig. Angesichts der Spekulationen um die eventuellen Parteigründungspläne Sahra Wagenknechts (MdB-Die Linke) äußerten Sie sich Ende vergangener Woche in der Berliner Zeitung überraschend deutlich: „Die Parteigründung ist der Todesstoß für die Linke.“ Der Verzicht auf den Konjunktiv ist in diesem Falle korrekt. Es handelt sich um eine schlichte Tatsachenbeschreibung.

 

Wolfgang Harnischfeger, Deutsch- und Geschichtslehrer a. D. – In einem Beitrag über Ihren „kritischen Blick auf das DDR-Bildungssystem“ in der Berliner Zeitung vom 17. Oktober 2023 gaben Sie zum Besten: „Dank des Einheitssystems waren die Lehrer in viel geringerem Maß als Westlehrkräfte gezwungen, über Noten eine Selektion vorzunehmen, mit deren Hilfe zum Beispiel eine Zuordnung zum Gymnasium erfolgt.“

Selektion bezeichnete im euphemistischen Holocaust-Jargon des Dritten Reiches („Endlösung“ statt „industrieller Massenmord“) jenen Vorgang, mittels dessen der SS-Arzt Josef Mengele und seine Kollegen an der Rampe in Auschwitz-Birkenau den Großteil der wie Vieh herangekarrten Juden sofort ins Gas schickten.

Sollte man als Geschichtslehrer davon nicht Kenntnis haben und den Begriff in späteren Zusammenhängen daher meiden?

Und, geschätzte Redaktion der Berliner Zeitung, wenn’s der Autor aus welchen Gründen auch immer nicht selbst auf die Reihe kriegt, müsste man dann nicht selbst entsprechend …

 

Christian Brückner, The Voice Durch die Synchronisation von Warren Beatty in „Bonnie und Clyde“ von Peter Gilomore (1967) wurde Ihre – was sagt man, wenn der Begriff „markant“ es nicht einmal ansatzweise trifft? – Stimme einem breiteren westdeutschen Publikum bekannt. (In der DDR lief der Streifen nicht.) Seit der „Pate II“ von Francis Ford Coppola (1974) sind Sie die feste deutsche Stimme von Robert de Niro. Als der zwei Jahre später die männliche Hauptrolle in „Taxi Driver“ übernahm, wählte Regisseur Martin Scorsese höchstselbst Sie für die Synchronisation aus. Irgendwer will gezählt haben, dass Sie den US-Star insgesamt in über 80 Produktionen (Stand: 2019) synchronisiert haben. Dazu Größen wie Robert Redford, Gérard Depardieu, Alain Delon, Donald Sutherland, Harvey Keitel und viele andere. Seit Jahrzehnten schon muss in Ihrer unüberschaubaren Fan-Gemeinde Ihr Name gar nicht mehr genannt werden – The Voice genügt völlig …

Legende sind auch Ihre Hörspielproduktionen und Hörbücher. Unter letzteren hervor stechen zwei Mammutprojekte aus jüngerer Zeit: Sie haben sowohl Homers „Illias“ (Hörgenuss über 21 Stunden) als auch dessen „Odyssee“ (über 16 Stunden) komplett und faszinierend – in der kongenial modernen Übersetzung von Kurt Steinmann – eingelesen. Chapeau.

Nun sind Sie 80 geworden. Wir gratulieren sehr herzlich.

Und bitte – bleiben Sie bei Stimme!

 

Philipp Lengsfeld, Glaubender – In einer umfangreichen Besprechung von Ilko-Sascha Kowalczuks jüngst erschienener Ulbricht-Biographie schätzen Sie ein: „Ich habe den Eindruck, dass auch Ilko-Sascha Kowalczuk sich der geschickten Geschichtspropaganda der Kommunisten nicht komplett entziehen kann. Zwar lässt er es nur anklingen, aber es wird deutlich, dass Kowalczuk ‚glaubt‘, dass der Reichstagsbrand von den Nazis geplant und durchgeführt wurde. Da erliegt er dem süßen Gift der Verschwörungstheorie […].“ Denn: „Ich bin überzeugt davon, dass die Einzeltäterhypothese richtig ist und Hitler die Gelegenheit ‚nur‘ beim Schopfe packte.“ Worauf Ihre Überzeugung fußt, teilen Sie zwar nicht mit, aber auch so ist völlig klar, dass Überzeugung allemal der festere Glauben ist.

1944 verstarb im Moskauer Exil Wilhelm Florin, der Konkurrent Ulbrichts um die Führung der KPD. Kowalczuks Recherchen ergaben offensichtlich keine Anhaltspunkte für Stalinsche Machenschaften. Da halten Sie gegen: „Ich lehne mich historisch-wissenschaftlich jetzt weit aus dem Fenster, aber: Ich halte es für sehr viel wahrscheinlicher, dass Stalin seine Entscheidung bewusst zugunsten Ulbrichts traf und mit der üblichen Konsequenz durchzog.“ Für sehr viel wahrscheinlicher halten, das klingt in unseren Ohren fast schon wieder wie Überzeugung. Dies mit dem Begriff wissenschaftlich zu assoziieren erscheint uns, nun ja, zumindest – ambitioniert.

Allerdings, um der Wahrheit die Ehre zu geben, stellten Sie Ihrer Besprechung die Bemerkung voran: „Ich schreibe diesen Text als Fachfremder, aber leidenschaftlich Interessierter.“ Werfe Ihnen also kein Lesender vor, Sie hätten ihn nicht gewarnt!