Das nunmehr zum 20. Mal unter Selbstausbeutung freiwilliger Filmenthusiasten abgehaltene Neiße-Filmfestival (NFF) hat eine besondere Bedeutung als Flächenfestival. Es findet mit seiner Keimzelle im zwischen Zittau und Görlitz gelegenen Großhennersdorf im Dreiländereck in Deutschland (mit den meisten Veranstaltungsorten in der Oberlausitz), Tschechien und Polen statt. In letzterem finden sich die wenigsten Spielstätten. Ob das mit der nationalistischen Politik der Regierungspartei PiS zusammenhängt, kann nur gemutmaßt werden.
Auch wenn sich das Festival inzwischen nicht mehr nur auf in- und ausländische Sponsoren stützen kann und seit einigen Jahren institutionell gefördert wird – Ministerpräsident Kretzschmer bekundete persönlich die Solidarität der sächsischen Landesregierung auf der Abschlussveranstaltung –, reicht die Förderung für die umfangreichen Aktivitäten (und zurückzulegenden Kilometer) nicht mehr aus. In diesem Jahr musste auf den Ehrenpreis – der Agnieszka Holland gebührt hätte – verzichtet werden, und der Katalog fiel kleiner aus als bisher.
Wenn auch die meisten Preise in diesem Jahr an deutsche Produktionen gingen, zeigten doch die polnischen Filmemacher, dass mit ihnen zu rechnen ist. Der sehr dicht inszenierte Spielfilm „Brot und Salz“ (Chleb i sól) von Damian Kocur erhielt fürs Drehbuch immerhin eine besondere Erwähnung. Die Brüder Tymoteusz und Jacek Bies spielen Klavier und sind talentierte Laien, wie die anderen Mitwirkenden auch. Erzählt wird von einer jugendlichen Clique in Oppeln, die letztlich tödliche Auseinandersetzungen mit muslimischen Döner-Betreibern provoziert.
Wichtiges Thema ist in Polen die (nicht nur) politische Ablehnung alternativer Lebensweisen. So erzählt Dokumentarfilmregisseur Marek Kozakiewicz in „Silent Love“ von einer jungen Frau, die nach dem Tod der Mutter das Sorgerecht für den kleinen Bruder übernimmt. Dazu muss sie sich im Amt verstellen, denn dass sie eine Lebensgefährtin hat, darf nicht ruchbar werden.
Im Spielfilm „Elefant“ (Slon) von Regisseur Kamil Krawczicki geht es um die Liebe zweier junger Männer auf dem Dorf. Die Anfeindungen, die sie erleben, kann man sich aber ebenfalls in tschechischen und deutschen Dörfern vorstellen, wie in einer der Filmdiskussionen zum Ausdruck kam.
Ungewöhnliche Paarbeziehungen zeigte auch der tschechische Spielfilm „Grenzen der Liebe“ (Hranice Lásky) von Regisseur Tomasz Winski. Matyás Reznícek und Hana Vagnerová sind Stars des jungen tschechischen Films und spielen ein Paar, das über sexuelles Verlangen und Abkehr von Monogamie nicht nur spricht, sondern das auch auslebt. Bei aller Unterhaltsamkeit hatte der Film nicht die Brisanz, die ihm einen Preis eingebracht hätte.
Eine kleine Herausforderung war „Alaska“ von Max Gleschinski, der den Hauptpreis im Spielfilmwettbewerb gewann. Der junge Regisseur, der an der Berliner DFFB studiert hat, setzte auf ein Publikum, das den Nerv zu intensiver Beobachtung aufbrachte, denn die Geschichte um eine Frau in mittleren Jahren auf Sinnsuche bei einer Kanutour auf der Mecklenburger Seenplatte, eindrucksvoll von Christina Große gespielt, wurde sehr entschleunigt erzählt. Nach Preisen in Saarbrücken und Schwerin gab es nun den Neiße-Fisch in Görlitz.
Das NFF veranstaltete auch einen Kurzfilmwettbewerb und zeigte osteuropäische Filme in Informationsreihen, und im tschechischen Varnsdorf gab es am 70mm-Wochenende gar einen Hauch Hollywood. Die vielen Zuschauer aus dem ländlichen Raum (und die zugereisten Gäste) hoffen, dass sich das Niveau halten lässt, wenn das Festival nicht zu knapp gehalten wird.
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