26. Jahrgang | Nummer 11 | 22. Mai 2023

Bemerkungen

Nur ned hudeln!

 

Warum es sich lohnt, die Wiener Sprachlandschaft genauer zu erkunden? Dieser Frage geht Lisa Krammer kurzweilig, nicht belehrend, aber erhellend nach. Sprachliche Besonderheiten werden von der Autorin mit kulturellen Aspekten verwoben. Natürlich gibt es nicht „das“ Wienerisch oder „den“ Wiener Dialekt. Von den fast zwei Millionen Wienern ist etwas weniger als die Hälfte in Wien geboren, über ein Drittel im Ausland und der Rest in den anderen Bundesländern Österreichs. Wien war in seiner Geschichte schon immer multi – lingual, kulturell und ethnisch. Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive ist Wienerisch ein mittelbairischer Dialekt mit ortstypischen Besonderheiten. Klischees und Stereotype gibt es zuhauf. Mit einigen räumt die Linguistin der Universität Wien auf. Andere beschreibt sie ebenso geistreich wie amüsant.

„A Eitrige mit an Gschissenen“ am Würstelstand statt Käsekrainer zu bestellen, ist nur noch ein Gag aus dem Reiseführer. „Siaß oder schoaf?“ jedoch sollte man schon unterscheiden können, denn Kremser Senf oder Estragonsenf stehen zur Auswahl. Warum isst man in Wien keine Wiener, aber Frankfurter Wüstchen? Warum heißen die Frankfurter in Deutschland jedoch Wiener Würstchen? Die kuriose Namenskreuzung wird liebenswert erklärt.

Am Beispiel des Wiener Opernballs lernen wir „Tschechan wü a jeda, aba Tschecharant wü kana sein“ (Trinken will ein jeder, aber Alkoholiker will keiner sein.) Und: Wein und Wien – die Differenz besteht in nur einem Vokal. Im Wienerischen gehen Kulinarisches und Liebesangelegenheiten Hand in Hand, berichtet die Autorin. Über „Panier“ (Panade), die nicht zu „letschert“ (weich) sein darf, führt sie den Leser zu „Ansapanier“ (Einserpanier, schicke Kleidung), damit der „Aufriss“ eines „Gspusi“ klappt. Bei „letschert“ fällt mir sofort das ungarische Schmorgericht Letscho ein. Die Einflüsse der k.u.k. Länder finden sich auch im Wienerischen.

Häufig nutzt Krammer Liedtexte für ihre Erläuterungen, davon kündet auch der „Soundtrack“ am Ende des Buches. „Der Tod, das muß ein Wiener sein“ von Georg Kreisler darf nicht fehlen, ebenfalls nicht „Es lebe der Zentralfriedhof“ von Wolfgang Ambros. Zu dem größten Friedhof Europas fährt man mit der Straßenbahnlinie 71 – eine morbide Metapher fürs Sterben hat sich so gebildet: „den 71er nehmen“. Hauptsache, „a schene Leich“. „Der Tod ist unvermeidlich – also feiern wir ihn“, ist die Philosophie des Bestattungsmuseums am Wiener Zentralfriedhof. Vielleicht ist diese Lebenshaltung auch ein Grund dafür, dass Wien 2022 wiederholt als lebenswerteste Stadt der Welt gewählt wurde.

Gegenteiliges könnte man denken, wenn man hört, dass Wien im gleichen Jahr auch zur „unfreundlichsten Stadt der Welt“ gekürt wurde. Das ist ein anderes Ranking. Das kreative und bildhafte Schimpfen im Wienerischen könnte ganze Schimpfwörterbücher füllen. Oft ist es skatologisch behaftet – das hat nichts mit dem Kartenspiel zu tun, sondern geht in die olfaktorische Richtung. „Geh scheißen!“ (Nein! Geh weg!) oder „Schleich di, du Oaschloch!“ seien Beispiele.

Gnadenlos grantig soll die Grundhaltung vieler Wiener sein. Thomas Bernhard, der große Schriftsteller, bemerkte: „Die Stadt Wien ist eine einzige stumpfsinnige Niederträchtigkeit.“ Der Seelenzustand der Wiener schwankt zwischen „Schmäh“ und „Grant“. Das sind unübersetzbare Begrifflichkeiten, sie bedingen und ergänzen einander. Sie zu beschreiben bleibt dem ausdrücklich zu empfehlenden Buch vorbehalten.

Zusammenfassend schreibt die Autorin: „Der Wiener Dialekt wird stigmatisiert und idealisiert, verehrt und gehasst. Bei medialen Beliebtheitsumfragen erfreut er sich innerhalb Österreichs keiner allzu großen Beliebtheit. Populärer ist er außerhalb des Landes.“ Das Buch erscheint gerade in der lockeren Reihe des Dudenverlags über Dialekte. Bereits erschienen sind Texte über Hessisch, Ruhrdeutsch, Plattdeutsch und Bairisch.

Wien ist bekanntlich die zweitgrößte Stadt nach Berlin im deutschsprachigen Raum. Als Berliner vermisse ich schmerzlich ein ähnliches Buch über das Berlinerische.

Der Wiener Dramatiker Franz Grillparzer soll formuliert haben: „Es muss was geschehen, aber es darf nix passieren.“ Diese Aussage führt uns zur Auflösung der Überschrift „Nur ned hudeln!“: Nicht so hektisch! Immer mit der Ruhe! Also flanieren wir durch Wien, einfach mal losschlendern.

J. Hauschke

Lisa Krammer: Wienerisch. Zwischen ur leiwand und eh wuascht. Duden Verlag, Berlin 2023, 128 Seiten, 14,00 Euro.

 

“Unsere Elite” – Fragen und Anmerkungen

 

Ich gebe zu, dass ich Schwierigkeiten habe mit dem Begriff „unsere Elite“. Denn, ehrlich gesagt, meine Elite ist das nicht, die in unserem Land das Sagen hat. Vielleicht sollte ich eher von „der Elite in unserem Land“ sprechen. So klingt es angemessen distanziert. Diese Distanz braucht es schon, wenn man sich zu einem solchen Sujet äußern will. Genau das will ich mit den folgenden Zeilen tun.

Erste Frage: Wer stellt in der BRD die Elite?

Ohne allzu ausschweifend zu werden: die Politikerkaste, Mediengiganten wie Bertelsmann und Springer, Thyssen-Krupp, Rheinmetall und die Chemieindustrie, allen voran BASF und Bayer, SAP und Deutsche Bank und natürlich die noch bedeutsame Printpresse wie FAZ, SZ, Spiegel, Zeit, Bild, Focus und Bunte, nicht zu vergessen die Damen und Herren des öffentlich-rechtlichen Informationsangebotes und die Dauerverdummer in den Privatmedien. Soweit die unvollständige, aber durchaus exemplarische Auflistung an „InfluencerInnen“ und „Entscheidenden“ in unserem Staat.

Zweite Frage: Was tun diese mehr oder weniger sichtbaren Elitären, um sich mit diesem Prädikat schmücken zu können?

Sie sagen, sie sorgten sich um unser aller Wohl. Dazu träfen sie Entscheidungen, die uns allen dienlich seien, auch wenn wir das nicht immer verstünden, weil uns der Einblick fehle, so sagen sie oder so denken sie oder so sprechen sie über uns Normalbürger hinter vorgehaltener Hand. Auf Grundlage dieser Prämisse entscheiden sie dann zum Beispiel über Wärmepumpenverpflichtung für alle, Aufrüstung zum Wohl unseres Landes, Elektromobilität für unsere Gesundheit, Kriegsschiffentsendung in Richtung China für unsere zukünftige Sicherheit, „Freie Fahrt für freie BürgerInnen“, „gute Gesetze“ für unseren Nachwuchs, gerechte Gesundheitsvorsorge für alle, menschenwürdige Fürsorge im Alter und Sicherheit um jeden Preis.

Dass trotz dieser emsigen Fürsorgerei manche durchs Netz fallen, muss wohl an denen liegen.

Dritte Frage: Wieso begehren so wenige in unserer Gesellschaft auf gegen die doch in vielerlei Hinsicht äußerst fragwürdigen Entscheidungen und Zumutungen besagter Elite?

Weil sie es auf „wundersam“ abgestimmte Art und Weise schafft, die Mehrheit unserer Gesellschaft zu stillen. Zu stillen mit Ausgleichsboni für Wohlverhalten im Gaskrieg mit Russland, mit Zuschüssen beim hohen Energieverbrauch, mit geballter Medienunterstützung hinsichtlich der Angstmache vor Russland und nicht zuletzt mit der Peitsche des Leistungsterrors, wenn es heißt, Hartz IV und Tafel seien eher auf Eigenverschulden zurückzuführen, zu wenig Rente auf zu geringen Arbeitseinsatz im Leben davor, ohne Fleiß, kein Preis usw. usf.

Wie der derzeit oberste Elitenrepräsentant im Kanzleramt dies alles mit seinem RESPEKTVERSPRECHEN im zurückliegenden Bundestagswahlkampf vereinbart, bleibt sein Geheimnis.

Tatsache ist: Das Gros der Herde kuscht!

Letzte Frage: Wie haben es diese „Schafhirten“ eigentlich erreicht, dass das Gros der Herde nicht aufbegehrt?

Nicht aufbegehrt gegen Kriegsgerassel, gegen Inflationsbedrohung, gegen Bildungsungerechtigkeit, gegen Armutszunahme in einem der reichsten Industrieländer, gegen respektlosen Umgang mit ihren eigentlichen Bedürfnissen.

Im Nachhinein kann man sagen, dass sich das Virus Corona dabei als besonders hilfreich erwiesen hat. In der coronaren Zeit konnte nämlich ganz nebenbei – oder sollte man sagen ab einem bestimmten Zeitpunkt ganz zielgerichtet – gesät werden, was in unseren Tagen nun voll ausgereifte Früchte trägt: Angstkultur, Gehorsamsleistung, Dankbarkeit gegenüber dem fürsorglichen Staat, übersteigertes Sicherheitsdenken bis zum Kotau vor der Bürokratie, Einübung in ein immer mehr sich autoritär gebendes Staatswesen mit seinem wieder geliebten Verfassungsschutz.

Mission accomplished!

Fazit: Eine „Elite“, die sich aufführt wie der Eigentümer eines den Aktionären verpflichteten Kapitalunternehmens, statt sich als gewählte Leitung eines „volkseigenen Betriebes“ mit der Zielsetzung Pflege und Erhaltung von Demokratie, Mitbestimmung und Respekt vor der Menschenwürde aller zu verstehen und entsprechend zu handeln, muss sich das Verdikt „unqualifiziert“ gefallen lassen. Deshalb ist es ja nicht „unsere“!

Jürgen Scherer

Der sprechende Bote in Adlershof

 

Klaus Feldmann, 1936 bei Gera geboren, war gelernter Buchdrucker und wurde bereits mit 21 Jahren Nachrichtensprecher beim Deutschlandsender der DDR. 1961 wechselte er zur „Aktuellen Kamera“ des Deutschen Fernsehfunks, ab 1972 Fernsehen der DDR. Hier in Berlin-Adlershof blieb er als Nachrichtensprecher bis Ende 1989. Die „Aktuelle Kamera“ war die wichtigste tägliche Nachrichtensendung im DDR-Fernsehen, sie begann um 19.30 Uhr und dauerte dreißig Minuten. Für etliche Zuschauer war sie das Vorprogramm zu den West-Nachrichten der „Tagesschau“ um 20.00 Uhr. Die Inhalte der Berichterstattung und der offizielle Sprachstil ihrer Verlautbarungen wurden geprägt durch die Abteilung für Agitation und Propaganda im Zentralkomitee der SED.

Besonders die Aufzählung vieler Titel führender Genossen und lange Schachtelsätze mit Genitivkonstruktionen erforderten gut ausgebildete Sprecher mit exakter Sprechtechnik. Klaus Feldmann war einer der Besten. Davon zeugt auch seine Wahl zum Fernsehliebling in der Kategorie Nachrichtensprecher durch die Leser der Programmzeitschrift FF dabei. Nicht nur einmal, sondern ganze 14 Mal wurde er ausgezeichnet und diesbezüglich nur von dem Sportreporter Heinz-Florian Oertel übertroffen. Auch Oertel ist vor wenigen Tagen gestorben.

Die Zuschauer wussten mehrheitlich zu unterscheiden zwischen Person und Nachricht. Feldmann war Überbringer der Botschaft, nicht deren Urheber, stets ohne Pathos, sachlich und klar gesprochen. Das Bild der Nachrichten bestimmten neben Klaus Feldmann, stets mit markanter Brille, in den letzten Jahren Angelika Unterlauf, Hans-Dieter Lange und Wolfgang Meyer, die ebenfalls als Sprecher in die „Aktuelle Kamera“ schauten.

Feldmann hat, nachdem das Fernsehen der DDR aufgelöst worden war, drei erfolgreiche Bücher über seine berufliche Laufbahn geschrieben. Seine Erinnerungen „Das waren die Nachrichten“ erschienen 2006. Das heitere Buch „Verhörte Hörer. Sprecher und Versprecher aus Funk und Fernsehen“ publizierte der Eulenspiegelverlag 2016.. Im letzteren ist die Rede über „bunte Transparente und Bruchbänder“, das „Pilotbüro“ und eine Verabschiedung zum Sendeschluss, den es damals noch gab: „Gute Nacht und guter Empfang!“

Bis ins hohe Alter war Feldmann medial aktiv. Buchlesungen gab es und waren geplant. Einige seiner Lesungen mit der einprägsamen Stimme sind auf CDs erhältlich, so zum Beispiel: „Wer lernt mir Deutsch?“ mit Texten von Hansgeorg Stengel.

Am vergangenen Montag, dem 15. Mai 2023, starb Klaus Feldmann im Alter von 87 Jahren nach einer Ägyptenreise an den Folgen eines Herzinfarkts in Berlin.

jühau

Endlich tut es wieder weh

 

Der CD-Titel ist beileibe kein masochistisches Lippenbekenntnis. Es ist das vierte Album einer Künstlerin, die als Tochter türkischer Migranten in Berlin-Wedding aufgewachsen ist.

Sie schaffte es vor Jahren, bei der TV-Casting-Show „Popstars“ bis ins Finale zu vorzustoßen. Und nach zwei durchaus gelungenen Deutschpop-Alben mutierte Elif Demirezer, die ihren Vornamen zum Künstlernamen machte, mit der dritten Veröffentlichung „Nacht“ musikalisch zur Rapperin und konnte damit sogar einen Top-10-Hit landen.

Mit ihrem vorangegangenen Album „Doppelleben“ gelang ihr eine musikalische eingängige, aber durchaus inhaltsreiche Ausarbeitung ihres sprachlichen wie kulturellen Hin- und Hergerissenseins.

Mit der neuesten CD geht Elif den beatorientierten Stil weiter und erweist sich als sprachgewandte Darstellerin kleiner wie großer Alltagsdramen. Doch Elifs musikalische Protagonistin verharrt nicht in einem lähmenden Weltschmerz. Elif selbst betont im Booklet, „dass Schmerz etwas Positives sein kann, wenn Du es schaffst, ihn anzunehmen und zu nutzen.“ So singt sie im Titelsong (selbst-)aufmunternd: „Denn irgendwie krieg ich es immer hin, okay, ja / Nach jedem Tiefpunkt fängt etwas Neues an.“

Es sind schmerzvolle Erfahrungen im menschlichen Miteinander, die Elif authentisch und selbstbewusst aufgreift. Lakonisch heißt es im Song „Wenn ich sterbe“: „Ich hab dich geliebt / Und weiß nicht mal warum / Ich hasse alles an dir / Außer dein‘ Hund.“

Es sind viele Verluste, die die sensible Großstädterin zu konstatieren hat. Aber anstatt in der Schmerzensflut zu ertrinken, empfiehlt sie mit ihren Liedern, immer auch eine Überlebensprise Humor an der Hand zu haben.

Thomas Rüger

Elif: Endlich tut es wieder weh, Label: Jive (Sony Music) 2023, CD, ab 16,00 Euro.