26. Jahrgang | Nummer 7 | 27. März 2023

Drei Schnellschüsse in der Kriminalpolitik

von Lorenz Bode

Der Wind weht rau in der kriminalpolitischen Debatte. Das betrifft nicht nur den Tonfall, sondern vor allem die geäußerten Forderungen. Klar ist: Als Politikerin oder Politiker muss sich in Szene setzen, wer gehört werden will. Das gilt insbesondere für die Kriminalpolitik. Meinungsstarkes Auftreten ist hier gefragt. Viele Menschen stellen in dieser Diskussion Behauptungen auf, ohne diese zu begründen oder gar wissenschaftlich zu untermauern. So kommt es immer wieder vor, dass bei besonders medienwirksamen Vorfällen reflexartig bestimmte Forderungen gestellt und der Bevölkerung als Lösungsweg verkauft werden. Meistens handelt es sich dabei jedoch nicht um Lösungen, sondern vielmehr um „Law and Order“-Rufe, die in ihrer Schlichtheit für jedes Problem zu passen scheinen. Opfern und Gesellschaft vermitteln diese Forderungen ein Gefühl der Sicherheit. Der Sache werden diese angeblichen Lösungen jedoch nur selten gerecht. Die folgenden drei Beispiele aus jüngerer Zeit belegen eindrücklich, dass kriminalpolitische Schnellschüsse oft danebengehen.

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Die geforderte Offenlegung von Vornamen: Die als Skandalnacht bekannt gewordene Berliner Silvesternacht 2022/23 erhitzte die Gemüter gleich zum Jahresbeginn. Schnell wurden politische Forderungen laut, man müsse die Täterinnen und Täter alsbald zur Rechenschaft ziehen. Auch die altbekannten Rufe nach der vollen Härte des Gesetzes und dem unnachgiebigen Rechtsstaat gab es. Doch damit nicht genug. Einige Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses gingen im Rahmen ihrer Spekulationen um mögliche Ausländerkriminalität sogar so weit, von der Berliner Innenverwaltung die Vornamen der Tatverdächtigen zu fordern. Kriminalpolitisch betrachtet ist das ein echter Fehlschuss. Schlimmer noch: Es ist stigmatisierend. Schon die Grundannahme, dass Staatsangehörigkeit etwas über Kriminalität aussagt, schürt Vorurteile. Tatsache ist vielmehr: Das Alter und vor allem das Geschlecht spielen im Hinblick auf Kriminalität eine Rolle. Es lässt sich belegen (etwa anhand des „Dritten Periodischen Sicherheitsberichts 2021“), dass häufig junge Männer strafrechtlich in Erscheinung treten. Das gilt insbesondere für Gewaltdelikte. Es liegt also auf der Hand, dass die Forderung nach der Nennung von Vornamen nicht zielführend ist.

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Eine Herabsetzung der Altersgrenze: Im nordrhein-westfälischen Freudenberg wurde im März 2023 ein Mädchen erstochen. Tatverdächtig sind zwei Mitschülerinnen im Alter von 12 und 13 Jahren. Der Vorfall hat gerade im Hinblick auf das Alter der Tatverdächtigen überregional für großes Aufsehen gesorgt. Auch kriminalpolitisch wurde der Fall aufgegriffen, und zwar als Anlass für die Forderung nach einer Absenkung des Strafmündigkeitsalters, das seit 1923 bei 14 Jahren liegt. Begründet wird diese Forderung vor allem mit einem unerträglichen Gerechtigkeitsdefizit, wie es durch die Tat von Freudenberg offenbar geworden sei, aber auch damit, dass sich die Reife von jungen Menschen verändert haben soll.

Erneut ein kriminalpolitischer Schnellschuss ins Leere. Denn die Forderung nach einer Absenkung der Altersgrenze lässt sich weder empirisch unterlegen noch besteht – auf Begründungsebene betrachtet – tatsächlich ein Gerechtigkeits- oder gar Sicherheitsdefizit. Auch auf nicht strafmündige Menschen kann der Staat einwirken (etwa die psychiatrische Unterbringung anordnen). Bekannt ist zudem, dass im Jugendstrafrecht der Erziehungsgedanke gilt. Und selbst eine Gefängnisstrafe bewirkt bei jungen Menschen oft das Gegenteil: Statt zur Besserung erzogen zu werden, wird die Rückfallquote gesteigert. Von den Belastungen der Haft für einen jungen Menschen ganz zu schweigen.

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Verhinderung von Gefängnisflucht: Am 27. August 2022 kehrte ein Gefangener im Berliner Strafvollzug nicht vom Ausgang zurück. Ihm war als Lockerungsmaßnahme an diesem Tag unbegleiteter Ausgang gewährt worden. Gerade im Strafvollzug ist die Empörung groß, wenn es zu Fehlern, gar zur Flucht von Gefangenen kommt. Schnell echauffierte sich die Politik darüber, dass man dem Gefangenen überhaupt Lockerungen gewährt hatte. Immerhin sei dieser ja wegen Gewalttaten verurteilt worden und ihm würden Verbindungen zur organisierten Kriminalität nachgesagt.

Derartige Kritik stellt jedoch nicht nur Einzelfallentscheidungen, sondern das Strafvollzugssystem insgesamt infrage. Das geht kriminalpolitisch in die falsche Richtung. Denn der Strafvollzug hat die Resozialisierung der Gefangenen zum Ziel. Das besagt auch das Lebach-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 35, 202). Natürlich soll auch die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet sein. Sühne und Vergeltung spielen im Strafvollzug jedoch keine entscheidende Rolle. Vielmehr sollen die Gefangenen schon während der Inhaftierung bestmöglich auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden. Damit das gelingt, müssen gewisse Risiken eingegangen werden. Zu diesen Risiken gehört der unbegleitete Ausgang.

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Ein Fazit: Kriminalpolitik ist ein weites, vor allem aber dynamisches Feld. Sie lebt vom Diskurs. Dieser Diskurs sollte jedoch stets rational geführt werden. Reflexhaft geäußerte Forderungen und Polemisierungen sind keinesfalls zielführend. Das gilt auch und gerade für die flankierende Kriminalpolitik mancher Medien – denn nur zu gerne holt auch der BILD-Reporter zum kriminalpolitischen Schlag aus.

Lorenz Bode, Jahrgang 1989, promovierter Jurist, Proberichter, lebt in Magdeburg.