25. Jahrgang | Nummer 23 | 7. November 2022

Antworten

Luisa Neubauer, traurige Aktivistin aus Hamburg – Nachdem aufgrund einer Straßenblockade in Berlin der Rettungsdienst nur unter extremen Schwierigkeiten einer verunfallten schwerverletzten Radfahrerin zu Hilfe kommen konnte, drückten Sie ihr „Bedauern“ aus. In der Sprache der Politik steht das für „is eben so“. Der dpa verkündeten Sie, Sie stünden für einen Klimaaktivismus, der Menschen nicht gefährde. Gleichzeitig geißelten Sie den Bundeskanzler als „zynisch“, weil der an alle Klimademonstrierer appellierte, keine Menschen zu gefährden.

Erinnern wir uns richtig, dass Sie immer noch Mitglied der Partei Bündnis 90 / Die Grünen sind und dort einen nicht unbeträchtlichen Einfluss ausüben? Gehen wir fehl in der Annahme, dass Ihre Partei Bestandteil der aktuellen Regierungskoalition ist?

Dann gibt es in der deutschen Sprache eigentlich nur einen einzigen Begriff für Ihren jüngsten Kommentar über den „Vorfall in Berlin“, wie Sie sich ausdrückten: Krokodilstränen.

Es war übrigens der 18. „Vorfall“ dieser Art in der Stadt.

Wolf Biermann, ewig Selbstverliebter – Sie können’s nicht lassen. Sie müssen mal wieder draufhauen. Diesmal auf Menschen, die am Kriege verzweifeln: „Secondhand-Kriegsverbrecher“ pöbelten Sie jetzt in DIE ZEIT gegen Leute, die vom Glauben nicht abfallen wollen, man könne Frieden mit Verhandlungen erreichen. Das muss nun keinen mehr erschüttern, in die Riege der Dunkelmänner haben Sie sich schon lange eingereiht. Von Ihnen kommt nichts anderes.

Dass Sie aber gleich noch den armen Heinrich Heine zur Hure aktueller Politik herunterdrücken, das ist allerdings unerhört: „Dieser Krieg gegen Putin ist ein Freiheitskrieg auch für unsere Freiheit.  […] Das Wort Freiheitskrieg hat übrigens Heinrich Heine erfunden. Darum liebe ich sein Gedicht Enfant perdu. Heine lebte in der Zeit der Freiheitskriege gegen Napoleon.“ Sie mögen sich ja selbst als „verlorner Posten“ vorkommen – Heine verstanden haben Sie nicht. So sehr „freiheitlich“ war dem beim Nachdenken über den „tieferen Sinn“ („Doktrin“) dieser Kriege nicht zumute. Er wusste genau, dass das ein Krieg der großen gegen die kleinen Leute war. Ein wenig Verständnis für Sie haben wir aber: „Wer nie sein Brot mit Tränen aß …“ Das ist jetzt Goethe. Auch der vermisste am von Ihnen zitierten Freiheitskrieg „das Bedeutende“.

Sie sollten bei der Wahl Ihrer poetischen Gewährsmänner vorsichtiger sein. Wie wäre es mit Heinrich Lersch: „Ich hör das Friedenslied die Kugeln singen“? Vom „Sieg-Frieden“ träumte schon Erich Ludendorff.

Judy Dench, Oscar-Preisträgerin für eine beste Nebenrolle („Shakespeare in Love“, 1998) – „The Crown“, die Serie über das Königinnenleben von Elisabeth II, läuft seit 2016 und gehört zu den erfolgreichsten Produktionen des Streamingkonzerns Netflix. Und zwar nicht in der Sparte historische Dokumentation, sondern in der Abteilung Spielfilm, vulgo Fiktion. Wenn auch mit Bezügen zur Realität.

Ihnen geht das zu weit. Royalistin, die Sie sind, werfen Sie den Filmemachern vor, die Serie sei „auf grausame Art ungerecht“ in ihrer Darstellung der Königsfamilie. Und „je näher das Drama der Gegenwart kommt, umso mehr scheinen die Macher gewillt zu sein, die Trennlinie zwischen historischer Korrektheit und simpler Sensationsgier zu verwischen“. Ihre Forderung: Netflix solle vor jeder Episode von „The Crown“ eine Erklärung einblenden, dass es sich um eine Fiktionalisierung handele. In der seit 5. November laufenden fünften Staffel hat Netflix Ihnen diesen Gefallen nun getan.

Da könnten Sie sich doch jetzt eigentlich weiteren vergleichbaren Fragen widmen. Müsste nicht, um nur ein Beispiel zu nennen, am Beginn jeder Veröffentlichung von „Richard III.“ der Hinweis stehen, dass es sich bei diesem Shakespeare-Thriller nicht um eine vom Monarchen autorisierte Biographie handelt?

Grigori Alexandrowitsch Potjomkin, schon lange verblichener Fürst – Selbst Ihren Knochen lässt man keine Ruhe: Zar Paul I. wollte Sie schon 1798 verschwinden lassen, Ihre Neider – wenn man in der russischen Geschichte von „blühenden Landschaften“ reden möchte, dann sind das wohl zuvörderst die von Ihnen gegründeten und besiedelten Provinzen und Städte – hingen Ihnen die Sache mit den Dörfern an und selbst unter Stalin wurde versucht, Ihr Andenken zu demontieren.

Dummerweise ließen Sie sich 1791 in Cherson, die Stadt wurde 1778 von Ihnen gegründet, beisetzen. Wie die New York Times jetzt berichtete, haben die russischen Truppen beim Rückzug Ihre Gebeine mitgehen lassen.Wir finden das unerhört! Auch wir haben ein Anrecht auf Sie. Schließlich waren Sie seit 1776 Fürst des Heiligen Römischen Reiches! Und die Bundesrepublik Deutschland betrachtet sich irgendwie immer noch als dessen Rechtsnachfolger. Zumindest in Fragen der Kirchensteuererhebung. Sollte es irgendwann einmal zu Friedensverhandlungen kommen, wollen wir doch hoffen, dass bei der dann anstehenden Reliquienverteilung auch ein paar Knöchelchen mindestens nach Wien gelangen. Auch der Heilige Adalbert nutzt Ruhestätten in Gniezno, Prag, Aachen und Rom.

Alexander Grau, Philosoph und Publizist – In einem bemerkenswerten Essay im SPIEGEL 37/2022 fordern Sie „das Grundrecht auf eine analoge Existenz“ und meinen damit „das Recht […], digitale Techniken aus seinem Leben fernzuhalten und dennoch am Gesundheitssystem, am Konsum oder am öffentlichen und politischen Leben vollwertig teilzuhaben“.

In Ihrer Begründung führen Sie unter anderem aus: „Die Digitalisierung, sie ist inzwischen weniger eine Technologie, sie ist vor allem eine Ideologie. In den öffentlichen Debatten, in den Stellungnahmen der Politik und erst recht in der Selbstdarstellung der IT-Konzerne erscheint sie geradezu als Apotheose der Aufklärung und die endgültige Einlösung des Versprechens auf Selbstverwirklichung, Freiheit, Demokratie, Teilhabe und Emanzipation.“ Doch Emanzipation, „die einer Technologie bedarf, ist keine, sondern allenfalls eine Abhängigkeit, die sich gut anfühlt.“ Tatsächlich nehme die „Abhängigkeit von Software, Apps, Netzwerken und Onlinediensten aller Art […] immer umfassendere Ausmaße an. […] Die Autonomie, die die Digitalisierung verspricht, erweist sich als Schimäre.“ Mehr noch – die Digitaltechnik drohe „geradezu zur Bedingung des Lebens zu werden, das Smartphone zu einem unverzichtbaren Teil der eigenen Existenz. […] Einmal in die menschliche Gesellschaft implantiert, frisst sie sich wie ein Krebsgeschwür in alle Bereiche individueller und gesellschaftlicher Wirklichkeit.“

Sie halten dieser Entwicklung entgegen, dass „Freiheit und Autonomie in Zeiten der globalen Digitalisierung […] zunächst und vor allem Freiheit von der Digitalisierung [bedeuten]. Nur der Mensch, der die Möglichkeit hat, ein analoges Leben zu führen, ist im eigentlichen Sinne frei. Diese Freiheit zu schützen wäre die wichtigste und dringlichste Aufgabe des Staates.“

Chapeau!

Aber da die maßgeblichen politischen Akteure des Staates sich längst komplett auf die Seite der Verkünder des digitalen Heils geschlagen haben und dieses ebenfalls propagieren, wird, so befürchten wir, Ihr Ruf unerhört verhallen und das Unheil weiter ungebremst seinen Lauf nehmen. Angesichts dieses grundlegenden Dilemmas kann man sich nur noch damit trösten, dass sich die digitale Entmündigung für die Betroffenen wenigstens „gut anfühlt“.

Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, gekränkter Außenminister Katars – Sie sind verstimmt, weil die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Kritik an der Vergabe der Fußball-WM an Ihr Land geäußert hat. Angeblich wegen der Menschenrechte. Das müssen Sie verstehen, unser Land betreibt schließlich eine werteorientierte Außen-, Innen- und neuerdings auch Sportpolitik. Dass sich Frau Faesers Ministerkollege Robert Habeck im März dieses Jahres noch tief vor Ihrem Kollegen Saad Scharida al-Kaabi verneigte, ist etwas ganz anderes. Scheich al-Kaabi ist Energieminister, und unsere Energiepolitik ist eben noch nicht ganz wertebasiert. Unklar ist zudem, ob Habeck überhaupt weiß, was ein Ball ist. Ihre deutsche Amtskollegin meinte ja einmal, der käme von der Landwirtschaft.

Ansonsten können Sie mit Sicherheit davon ausgehen, dass nicht die deutschen Sportpolitiker die Ansagen bestimmen, ob und wie irgendwelche Menschenrechte von wem auch immer verletzt werden. Das machen noch immer die FIFA und die Inhaber der Übertragungsrechte. Goal, Frau Faeser! Auch ein Eigentor ist ein Tor.