Er gilt wohl als der beste Kabarettautor der DDR, so sagen es zumindest die Eingeweihten. Und nur die kannten und kennen ihn. Hans Rascher teilt das Los nahezu aller Kabarettautoren – stehen sie nicht selbst auf der Bühne, werden sie von der breiten Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Umso bekannter wurden die Interpreten seiner Texte: Ingrid Ohlenschläger, Hanna Donner, Ellen Tiedtke sowie Gustav Müller, Gerd E. Schäfer, Otto Stark, um die bekanntesten zu nennen. Sie waren die Stars auf der Distelbühne und in den Unterhaltungssendungen des Fernsehens. Hans Rascher wurde lediglich von den Rezensenten gefeiert. Aber wer las damals schon Kabarettkritiken.
Und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass über diesen Vollblut-Satiriker bislang nur kurz und auszugsweise berichtet wurde, zumal er außer seinen Texten kaum Schriftliches hinterlassen hat.
Rascher war eigentlich, wenn es nicht um Kabaretttexte ging, ziemlich faul. Und auch wenn man ihm fragend gegenübersaß, musste dem äußerlich scheinbar in sich Ruhenden jede Aussage buchstäblich aus der Nase gezogen werden. Zum Glück finden sich in diversen Archiven neben seinen Texten zahlreiche Hinweise auf das Wirken des Autors. Aber all diese Geschichten ranken sich stets um Satire, seien es Conférencen, Operettenparodien, Fernsehschwänke und eben Kabaretttexte. Über den Privatmann ist wenig bekannt.
Hans Rascher wurde am 27. August 1922 als Helmut Schneller im erzgebirgischen Schwarzenberg als drittes Kind des Lehrers Ernst Schneller und seiner Frau Hilde geboren. Sein politisch engagierter Vater war zu diesem Zeitpunkt bereits als Abgeordneter der KPD im sächsischen Landtag aktiv. Zwei Jahre später wurde Ernst Schneller in den Deutschen Reichstag gewählt. Die Familie zog nach Berlin. Sohn Helmut besuchte dort die Volksschule und das Gymnasium. Letzteres musste der 10-jährige im März 1933 fluchtartig verlassen. Sein Vater war noch in der Nacht des Reichstagsbrandes am 27. Februar 1933 verhaftet worden. In der Folgezeit durchlief der KPD-Funktionär mehrere Konzentrationslager. Im Oktober 1944 wurde er im KZ Sachsenhausen von der SS ermordet.
Unmittelbar nach der Verhaftung seines Vaters verbrachte die „Rote Hilfe Deutschlands“, eine der KPD nahestehende, international agierende politische Hilfsorganisation, den Jungen illegal nach Paris. Bei kommunistischen Familien, die ihn behandelten wie ihre eigenen Kinder, verlebte Helmut Schneller eine unbeschwerte Jugend. Französische Küche, französischer Wein, französische Leichtigkeit und sicher auch junge Französinnen prägten ihn fürs Leben. Er durchlebte nach eigener Aussage eine „berauschende Pubertät“. Er lernte zu genießen und kosmopolitisch zu denken, wie er es später einmal nannte.
Doch kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, noch vor der deutschen Besetzung Frankreichs, begann für den 17-jährigen eine Odyssee. Sie führte ihn durch mehrere Internierungslager, bis er schließlich 1940 nördlich der Pyrenäen im Camp de Gurs landete, dem größten der französischen Lager. Wegen der dort herrschenden katastrophalen Bedingungen empfahl ihm die Kaderleitung der KPD dringend die Rückreise nach Deutschland. Auf dem Rückweg und auch nach seiner Ankunft in Berlin wurde er mehrfach von der Gestapo verhört, aber anschließend in Ruhe gelassen.
Nachdem Schneller 1941 sein Abitur abgelegt hatte, wurde er kurz darauf zur Wehrmacht eingezogen. Sein Einsatz erfolgte an der Ostfront im Wolchow-Abschnitt. In dem von ihm später verfassten Lebenslauf schreibt er über seine Erlebnisse in der Schlacht am Wolchow im Januar 1942: „Da dort ein Überlaufen sinnlos gewesen wäre, denn die Sowjet-Truppen waren eingekesselt, ließ ich nach fünf Tagen meine Füße erfrieren, um erst einmal von der Front wegzukommen. Die Erfrierungen erwiesen sich als derart ernsthaft, dass mir beide Vorfüße amputiert werden mussten. Daraufhin wurde ich 1943 aus der Wehrmacht entlassen.“
Noch im selben Jahr begann Schneller ein Studium an der Ingenieurschule Gauß in Berlin-Moabit, welches er vier Jahre später als Ingenieur für Hochfrequenztechnik abschloss. Anschließend arbeitete er als Toningenieur beim Berliner Rundfunk in Berlin-Charlottenburg. Dieser Sender unterstand nach Kriegsende der sowjetischen Militärverwaltung. Die übergab bereits 1947 dessen Leitung den in Ost-Berlin herrschenden Funktionären der SED.
Als junges KPD-Mitglied engagierte sich Helmut Schneller gleich nach Kriegsende in seinem Heimatbezirk Zehlendorf beim Aufbau der Jugendausschüsse, in der Antifa-Jugend und der neugegründeten FDJ. In diese Zeit fallen seine ersten Kabarettversuche. Einige seiner Texte, so erwähnte er in Gesprächen, seien im Berliner Rundfunk gelaufen. Dennoch wurde die in den Redaktionsstuben herrschende politische Atmosphäre für ihn zunehmend unerträglich. Nach Gründung der DDR dominierte der Personenkult um Stalin das gesamte öffentliche Leben. Auch in den Büros und auf den Fluren des weiterhin in Charlottenburg beheimateten Berliner Rundfunks hingen die Bilder des „Großen Generalissimus“.
Der kosmopolitisch denkende Schneller haderte mit dem in seiner Partei herrschenden Dogmatismus. In einer Mischung aus Aufruhr und Verzweiflung drehte er Ende des Jahres 1950 – vielleicht war es sogar am 21. Dezember, an Stalins 71. Geburtstag – einige Stalin-Bilder im Sender zur Wand. Kurz darauf wurde er fristlos entlassen. Wenige Tage später, am 3. März 1951, erklärte er seinen Parteiaustritt. In seinem mehrseitigen Schreiben an die SEW-Kreisleitung Zehlendorf bekannte er: „Ich mache nicht mehr mit. Ich will mich nicht auf Gedeih und Verderb Stalin ausliefern. Ich habe mich zeitlebens geweigert, an den anderen Gott zu glauben. Dabei ist das sogar ein richtiger Gott. Und Stalin nur ein Mensch.“ Und am Schluss seines Bekenntnisses nahm er Bezug auf seinen von ihm zeitlebens bewunderten, vor sechs Jahren von den Nazis ermordeten Vater. „So, jetzt habe ich den Namen meines Vaters endgültig mit Schande bedeckt, werdet Ihr sagen. Aber ich kann meine Überzeugung nicht der Liebe zu meinem Vater opfern. Ich weiß nicht, wie er heute denken würde, ich weiß nur, auch wenn er meinen Schritt mißbilligen würde, er würde ihn verstehen.“
Nach zweijähriger Arbeitslosigkeit vermittelte ihn ein ehemaliger Kollege vom Rundfunk, der Redakteur Werner Wüste, an das gerade im Ost-Sektor Berlins in Gründung befindliche Kabarett Die Distel. Wüste, ein Bekannter von Distel-Direktor Erich Brehm, wusste von dessen Suche nach Autoren. Für die erste Distel-Premiere am 2. Oktober 1953 kamen Schnellers Texte wohl zu spät. Vielleicht auch genügten sie den Anforderungen des Direktors noch nicht. Doch bereits im zweiten Distel-Programm, Premiere am 19. Februar 1954, findet sich neben den Autoren Kuhnert, Kusche, Stengel und vor allem Brehm auch der Name Hans Rascher mit zwei Texten. Einer davon, „Dienst am Kunden“, wurde ein Distel-Klassiker, den bis weit in die 1960er Jahre Kabaretts von Rostock bis Suhl nachspielten.
Damit begann die bis zum Ende der DDR währende, überaus erfolgreiche und von zahlreichen Zensureingriffen begleitete Satiretätigkeit Helmut Schnellers, der seine Texte fortan unter dem Pseudonym Hans Rascher schrieb. Doch nicht der Name seines berühmten Vaters war der Grund dafür, sondern schlicht die Tatsache, dass der arbeitslose Toningenieur in seinem Wohnbezirk Zehlendorf Arbeitslosengeld bezog, was mit einer freien Autorentätigkeit bei einem Ost-Berliner Kabarett nicht so recht zu vereinbaren war. Es war der gewiefte Erich Brehm, auf dessen Vorschlag aus Schneller Rascher wurde. Den Hans ergänzte Helmut selbst.
Der ehemalige Mathematiklehrer Brehm war ein guter Pädagoge. Er förderte das satirische Talent des jungen Westberliners. Ständig schickte er ihn, aber auch die anderen jungen Autoren mit Strichen und Hinweisen auf den Textentwürfen zur Überarbeitung nach Hause. Überliefert ist Brehms Satz: „Findst’de det jut?“ Damit verunsicherte er seine Autoren. „Ich verfluchte Brehm, weil er mir meine Texte auseinandernahm“, so Rascher in einem 2005 geführten Gespräch, „setzte mich aber wieder hin und schrieb eine neue Version. Einmal habe ich Jahre später in meinen Unterlagen ein Manuskript gefunden. Es war der Text zu ‚Lied eines amerikanischen Negers‘. Auf dem Manuskript steht unter dem Titel: 11. Fassung. So war Brehm. So triezte er uns. Aber es hat was gebracht. Wir lernten, ohne dass wir es merkten. Eine gute Schule.“
In den folgenden 35 Jahren hat Hans Rascher mit seinen mehr als fünfhundert Texten Kabarett-Geschichte geschrieben. Die damit verbundenen Kabarett-Geschichten sind einen eigenen Beitrag wert. Einige von ihnen können im Distel-Buch „Beim Barte des Proleten“ nachgelesen werden.
Nach dem Fall der Mauer war für Hans Rascher Schluss mit Kabarett. Seinen Rückzug vom Schreiben begründete der Autor unter anderem folgendermaßen: „Das, worüber ich mich seit Jahren aufgeregt hatte, war auf einmal weg. Ich hatte keine Motivation mehr. Meine Motivation war immer das Spiel mit der Zensur, was streichen sie dir, was kriegste durch. 1990 war die Zensur weg und damit auch meine Motivation. Ich wollte mich nicht mehr umstellen beim Schreiben. Aber vielleicht war es auch die Faulheit, die mich vom Schreiben abhielt. Irgendwann muss ja auch mal Schluss sein, oder?“
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