Sind wir denn alle meschugge?
Ein Land in Trance? Die Angst vor den Folgen steigender Energiepreise sei allgegenwärtig. Das Gas wird knapp und knapper. Wer jetzt kein Elektroheizgerät hat, kriegt auch keines mehr. (Und ich bin ein Depp, weil ich mein letztes, geripptes Ölheizgerät vor 20 Jahren als unzeitgemäß entsorgte.) Die Preise steigen, und die Regierung schickt Hilfspakete – wann starten die Rosinenbomber und bombardieren uns mit Nudeln, Schokolade, vollen Benzinkanistern, Propangasflaschen, Zelten und Schlafsäcken, in denen der Mensch es bis 20 Grad Minus aushält.
Sind wir denn alle meschugge?
Ein Trommeln und Beben ist’s seit Wochen. Mal wird vorausgesagt, es läuft kein Gas mehr von Ost nach West. Dann läuft es wieder, vertragsgemäß, doch nur ein bisschen. Die Speicher werden gefüllt sein, höre ich; Terminals für das aus der Erde gesprengte Gas werden gebaut (oder auch nicht, nicht richtig, oder doch genehmigt?); eine Turbine reist durch die Welt und ruht sich in irgendeiner Werkhalle Deutschlands aus. Und die Speicher sind doch nicht voll, dann, im Herbst und im Winter, weil ja die Inder und die Araber (oder die Amerikaner? Immer gut, ja die Amerikaner sind’s!) coole Geschäfte mit den Russen und Chinesen machen, während wir hinterherharbecken? Knifflig das Ganze.
Und, ganz wichtig und obendran, natürlich liefert der Russe zu wenig. Putin, der Werkhallenmeister mit dem ölglänzenden, riesigen Eisen-Schlüssel zum Glück (oder Unglück) in den Händen. Wie der faule, aber schlaue Semeljuschka im Märchen: Er liegt auf dem warmen Ofen, bekommt Pelmeni und saure Sahne gereicht und schaut sich das Gewimmel in der Stube von oben an?
Und die Preise – nun, sie steigen und steigen. Und ich, der Depp, frage mich, wieso steigen die? Hat nicht zufällig jemand was davon, üblicherweise, kapitalistischerweise? Wer ist es, der die Preise treibt? Der Öl und Gas besitzt? Der Öl und Gas kauft und weiterverkauft? Der Staat und die Kreditbank für Wiederaufbau, die bei Uniper, dem größten Gasimporteur Deutschlands, reinschießen und über Mehrwertsteuern einen Milliardenbrocken zurückholen; was ich ein ordentliches Geschäft nennte, wenn es denn so ist und die Milliarden, die der Staat gewinnt, für Bildung, Straßen, Gesundheitswesen, Kinder ausgegeben werden? Ist das so?
Hallo, spricht da jemand mit mir, von da draußen auf dem wildbewegten Meer der Unkereien, Spekulationen, düsteren Vorausschau? Spricht da mal jemand ruhig, verständlich, in einfachen Sätzen mit mir und nicht – immerzu nur mit Wir-müssen-den-Gürtel-enger-schnallen-Akklamationen, mit Sind-die-Deutschen-noch-bereit-zum-Verzichten-Pathos, mit Auweia-auweia-auweia-Geplärr? Kann mir mal einer erklären, warum bei diesem ganzen Geschäfte-Geschwurbel – der Endverbraucher, etwa ich, die Zeche bezahlen muss? So heißt es, leider, leider, wird es wohl enden? Oder wäre es tatsächlich schon ein revolutionärer Streich – uhu! uhu! –, nähme die gewählte Volksvertretung (Parlament, Regierung) die Fürsorgepflicht und die Daseinsfürsorge für ihr Volk ernst und die Energieversorgung in ihre Hände?
Aber wir werden durchhalten. Wir werden uns unterhaken. Wir werden eine Gemeinschaft der Ertragenden des Unerträglichen bilden. Um des sozialen Friedens willen …
Sind wir denn alle meschugge?
Nö, denke ich mal hin, nö. Ich bin nun mal nicht der König von Deutschland (ein Glück für das Land), aber ich bin auch nicht ein Lego-Stein im bunten Gelege und Gehege der Politik. Obwohl ich genau der bin, aber ich darf mich aufstellen (in gewisser Weise quer?) und fragen, was das Gerassel von einer unsäglich düster dräuenden, nahen Zukunft – naja, Jahreszeiten – soll? Kann sein, es ist eines jener uralten herostratischen Tricks der Politik. Nämlich Feurio, Feurio! zu rufen, um mit der hinter der Ecke bereit gehaltenen Feuerwehr auf die Bühne zu rasen und sirenenhaft zu rufen: Hui, wir sind da! Wir löschen! Wir retten euch! Und wir sind durchaus so meschugge, mal wieder den einen oder anderen Politiker zu herzen und Helden-Geschichten zu erfinden. Obwohl die uns ja dann wieder erzählt werden von denen, die uns jetzt mit dem Feurio, Feurio! ins Verzagte treiben; knifflig, knifflig.
Ein Land in Trance: Die Dürre der Felder und Flussbetten konkurriert mit der Dürre in den Köpfen? Und aus der Dürre ist immerzu und jederzeit der Funke zu schlagen, der das Feuer der Panik, der Verunsicherung, der Verzagtheit auflodern lässt? Sind wir wirklich so meschugge?
Schlagwörter: Eckhard Mieder, Energiepreise, Regierung