Der Parador von Jaen ist hoch über der Stadt gelegen, auf einem Berg, wo einst erst die Mauren und dann die spanischen Rückeroberer Burganlagen errichteten. Strategisch doppelt günstig positionierrt – zum Schutz vor fremdem Militär ebenso geeignet wie zur Beherrschung des Ortes. Das spanische Kastell kann heute gut erhalten besichtigt werden, und von einem davor liegenden Aussichtspunkt hat man einen im Wortsinne weit schweifenden Blick auf Jaen und die umgebende gebirgige Landschaft.
Die Überreste von zwei maurischen Burgen hingegen fielen in den Frühzeiten der Parador-Entstehung der Errichtung der Hotelanlage zum Opfer. Ein denkmalschützerisches Sakrileg, zweifelsohne. Und wenn es in der Werbung heute heißt, der „Parador de Jaen ist eine großartige arabische Festung aus dem 13. Jahrhundert“, dann liegt ein Fall von Fake News vor. Doch aller Ambivalenz zum Trotz nimmt dies dem Aufenthalt im sehr gepflegten Parador nichts von seinem Reiz.
Das touristische Highlight von Jaen ist die Kathedrale, die den Besucher bereits durch ihre schiere Größe beeindruckt. Ihr Bau begann um 1540 und zog sich hin bis ins 18. Jahrhundert. Sie gilt als einer der bedeutendsten Sakralbauten der andalusischen Renaissance und wurde zum Vorbild für zahlreiche Bischofskirchen in ganz Spanien, aber auch in den südamerikanischen Kolonien.
Die Einzelheiten kann man sich bei einer Besichtigung vom Audioguide so ausführlich erläutern lassen, dass man sich hernach kaum noch an konkrete Einzelheiten erinnern kann. Zum Schluss unbedingt eine der gleich links neben dem Eingang bereitliegenden 3-D-Brillen ausprobieren. Zwar wird der Bildlauf nur spanisch kommentiert, doch darauf achtet man eh nicht, weil die Kamerafahrt einen sofort auf die schwindelnde Dachhöhe der Kathedrale beamt, von der der Blick hinab auf den Kirchenvorplatz fällt. Jetzt bloß keinen unbedachten Schritt nach vorn machen … Der virtuelle Trip hat zeitweise die Rasanz einer Achterbahn und ist nichts für empfindliche Mägen. Deshalb soll man sich für dieses Erlebnis auch hinsetzen, welchselber Hinweis dem Autor leider erst im Nachhinein auffiel. Da war ihm dann doch schon etwas übel …
Darüber hinaus hat die Altstadt von Jaen – abgesehen von immer wieder begrünten lauschigen Ecken und Mini-Parks mit Bänken und kleinen Brunnen zum Verschnaufen – an sich kaum Interessantes zu bieten. Langweilig muss es natürlich trotzdem nicht werden. Man setzt sich einfach in ein Straßenkaffee und klappt, während man auf seinen Cappuccino oder etwas erfrischendes Kühles wartet, sein Smartphone auf. Schon erfährt man völlig ungefragt, dass es zu Hause offenbar irgendeinen Knatsch wegen eines neuen Pfandprojektes von Kaufland gibt, und man weiß sofort wieder, warum ohne dieses Gadget das Leben früher eigentlich keines war …
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Von Jaen nach Granada gelangt man über die Autobahn in reichlich einer Stunde. Doch man kann auch stundenlang über Land fahren und merkt dann gegebenenfalls zu spät, dass man sich unter anderem 40 Kilometer Serpentinen eingehandelt hat. Zwar bieten die zu überwindenden Berge ein abwechslungsreiches Panorama, doch im Übrigen besteht die gesamte Landschaft von den Tälern bis zur Vegetationsgrenze praktisch ausschließlich aus – Olivenbäumen. Erst in der direkten Anfahrt auf Granada ein wirklich grandioses Naturschauspiel: Hinter der Stadt erhebt sich das Band der bis knapp 3500 Meter hohen Sierra Nevada, deren Gipfel zu dieser Jahreszeit noch schneebedeckt sind.
Der Parador von Granada liegt direkt neben dem Areal der weltberühmten Alhambra und gilt als Geheimtipp sowie romantisches Kleinod unter seinesgleichen. Er ist in einem ehemaligen Kloster untergebracht, das die sogenannten Reyes Católicos (Katholischen Könige) Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon, die mit der ausgehandelten friedlichen Übergabe Granadas durch Boabdil, den letzten maurischen Nasriden-Herrscher, am 4. Januar 1492 die Reconquista zum Abschluss gebracht hatten, anstelle eines nasridischen Palastes errichten ließen. Heute empfängt der Parador seine Gäste mit zauberhaften Gartenanlagen und erfrischenden Brunnen. Von der übergrünten Cafeteria aus blickt man auf den der Alhambra gegenüberliegenden Hügel mit dem Albaicín, dem alten maurischen Viertel Granadas.
Einen Besuch der höchst sehenswerten Alhambra, die täglich von Touristenströmen – bis zu drei Millionen jährlich sollen es sein – geflutet wird, haben wir, da bei früherer Gelegenheit bereits absolviert, nicht auf dem Programm. Dafür einen ausgiebigen Bummel durch die Stadt, den wir am frühen Vormittag, bei noch angenehmer Kühle – die Nachmittagsstunden des Vortages brachten es auf 34 Grad Celsius –, starten. Das bringt überdies den Vorteil, dass man sich in der zweiten Hauptsehenswürdigkeit der Stadt, der Capilla Real, noch völlig ohne Gedränge umschauen kann.
Dieses Bauwerk haben sich die Reyes Católicos als gemeinsame Grablege errichten lassen. Isabella und Ferdinand ruhen als marmorne Skulpturen im Schiff der Capilla, während ihre schlichten Metallsarkophage eine Etage tiefer zu besichtigen sind.
Im Mittelteil des riesigen Altars der Capilla stehen in Lebensgröße beieinander, barock gewandet und offenbar im angeregten Gedankenaustausch, Johannes der Täufer, unschwer an seinem Lämmchen zu erkennen, und Johannes, der Evangelist, den die christliche Tradition mit dem Apostel Johannes, dem Lieblingsjünger Jesu, gleichsetzt. Die links und rechts anschließenden Altarbereiche zeigen – mit viel Liebe zum Detail – die Martyrien der beiden Heiligen. Links hält eine hochgeschlossen gekleidete Salome die noch leere Schale in Händen, in der der Henker gleich das Haupt Johannes’ des Täufers platzieren wird, während der Betrachter in die anatomisch korrekt dargestellte Gurgel (der Skulptur) des Geköpften blicken kann. Rechts hockt der andere Johannes, die Augen entrückt gen Himmel gerichtet, über munteren Flammen in einem Siedekessel, während ein Scherge sich anschickt, ihm flüssiges Blei aufs Haupt zu gießen. Kein Anblick für Minderjährige.
In der Sakristei der Capilla eine Sammlung sakraler Gemälde mit gleich mehreren von Hans Memling und immerhin je einem von Botticelli, Rogier van der Weyden und El Perugino.
Welch angenehmen sanguinischen Kontrast zu dem schweren katholischen Tobak bildet der anschließende Streifzug durch den Albaicín mit seinen verwinkelten weißen Gässchen, steil ansteigend, wie auch ebenso abfallend, seinen bepflanzten Balkonen, mit kleinen Geschäften, Cafés, Restaurants, seinem Gemüsemarkt mittendrin und seinen Miradores (Aussichtspunkten), von denen aus sich die Alhambra in ihrer ganzen ruhenden Größe betrachten lässt.
Zu einem einfachen Mittagessen im Straßenrestaurant – Salmorecho, kalte Tomatencremesuppe, die cordobeser Schwester des viel bekannteren Gazpachos, nur, da ohne Sellerie und Zwiebeln, viel bekömmlicher, sowie Jambon y Melon (Schinken und Melone) – unterhält ein argentinischer Straßensänger zur Gitarre, der, wie er erzählt, es auch schon in den Niederlanden versucht hat. Aber das Wetter – zu viel Regen und vor allem – zu kalt …
Im Übrigen ist man in Granada augenscheinlich ziemlich unfortschrittlich. Da ruft doch der Kellner aus dem Restaurant einer jungen Frau einfach ein „Chica“ („Mädel“) hinterher, als sie vergessen hat, sich das Wechselgeld aushändigen zu lassen. Und nicht nur nimmt niemand öffentlich Anstoß an dieser sexistischen Entgleisung, auch die derart Verunglimpfte selbst lächelt den Macho nur an und greift nach den Münzen, statt den Übergriffling unangespitzt in den Boden zu rammen. Unglaublich …
Wird fortgesetzt.
Die erste Folge ist in Ausgabe 11/2022 erschienen.
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