Es gab bis vor kurzem einen Ostbeauftragten, der hieß Wanderwitz und hat sich mit der Bemerkung verabschiedet, dass wir („Ossis“) diktaturgeschädigt seien, womit er nicht die massenhafte Übernahme ostdeutschen Besitzes – von Betrieben, Instituten, Häusern – 1990 meinte. Der neue, „Schneider“, so liest man im SPIEGEL, erklärt nun, uns sei „die demokratische Praxis des Aushandelns von Kompromissen […] fremd geblieben“. Ist das so?
Ich erinnere mich an sehr viele Situationen, da ich oder andere persönlich Kompromisse aushandeln mussten, unser Leben in der DDR war eine einzige Schule des Kompromisses. Oft jenseits persönlicher Erfahrung sah man, dass die Kirchen in der DDR ohne Kompromisse nicht auskamen, Manfred Stolpe war eine Inkarnation des Kompromisses; die Blockparteien hätten ohne Kompromisse nicht existiert; jedes demokratisch gesinnte SED Mitglied wusste um die Kunst, Kompromisse zu machen. Ein ganzes Land schloss Kompromisse, als um 1989/90 die runden Tische der einzige Weg waren, Perspektiven zu eröffnen oder auch zu erhalten, eine Form des Aushandelns von Kompromissen, die anderen fremd blieb. Das Ost-Volk als Ganzes sammelte Erfahrungen, sehr verschiedene, nicht nur schöne, aber welches Volk denn nicht?
Die Ausübung der Macht war, wenn man sie hatte, in den beiden deutschen Systemen der Neuzeit eher absolut, man denke an Kohl, man denke an Ulbricht. Als wir integriert wurden, brachte man uns bei, neue Kompromisse zu schließen, die jenen davor nicht unähnlich waren, etwa auch zu folgen, in der Wissenschaft jenen Größen, die nun die Posten besetzten, die auf austarierte Weise verteilt wurden.
Es ist gewiss richtig, dass man im Westen, im neuen alten Deutschland, die Macht auf demokratische Weise leichter verlieren kann. Umso subtiler die Methoden, sich dagegen zu wehren, Methoden, die auch früher nicht anziehend waren, denkt man daran, wie vor nun 40 Jahren Genscher die Macht behielt, als die FDP von Schmidt zu Kohl wechselte, warum sollte das anziehend gewirkt haben. Unfreundlich, um es gelinde auszudrücken, wie Ulbrichts Macht endete. Jeder konnte sehen, was da geschah, ob im Osten oder Westen, nichts war unbekannt für jene, die hinsahen, gleich wo wir wohnten. Im Notfall log man gern. Boris Johnson erklärte gerade, er habe eine Party für ein Arbeitstreffen gehalten.
Kurz gesagt, glaubt Herr Schneider, dass wir naiv waren oder sind, und warum überhaupt meint er, und wem, erklären zu müssen, was „die Menschen in Ostdeutschland“ ausmacht? Ich erinnere an Angela Merkels Rede im Oktober 2021 in Halle. Wo hat sie denn gelernt, was viele so erstaunte? Ja, Herr Max Otte, Bewahrer der Werte der Union gestern und nun AfD Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, hat es eben erklärt, in einem wohlfeil erscheinenden Moment, da sie die Macht auf stille Weise übergeben hatte – ein Apparatschik sei sie gewesen, die doch Quantenphysik betrieb.
Man wird „uns“, die wir verschieden sind und denken, nur begreifen, wenn man uns so nimmt, wie wir sind und wenn man die Wertung des Ostens mit einer ähnlichen Betrachtung des Westens verbindet, zu der wir, aus der Anschauung zweier Welten, einiges beitragen könnten. Es geht um den inneren Frieden, gerade da der äußere bedroht ist, um Ausgleich und nicht Verdikt.
Nun ja, old news. Doch wozu gibt es diese Ostkümmerer eigentlich? Sollten sie nicht wenigstens den Landesteil verstehen, wenn sie ihm denn partout helfen wollen?
Könnten sie nicht auch schweigen, in einer Zeit, die nicht lustig ist und solche Kommentare nun aber überhaupt nicht braucht, ob wir nun quer oder längs denken, oder diagonal.
Vielleicht wäre es an der Zeit, jene Methode der Runden Tische wieder aufzunehmen in dem Land, das zunehmend gespalten und zu irritiert ist, um Kompromisse auszuhandeln und eine gemeinsame Sprache wiederzufinden, woran der demokratische Virus-Diskurs zu scheitern droht.
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