24. Jahrgang | Nummer 18 | 30. August 2021

Kennet euch selbst

von Friedrich Gottlieb Klopstock

Frankreich schuf sich frey. Des Jahrhunderts edelste That hub

Da sich zu dem Olympus empor!

Bist du so eng begränzt, dass du sie verkennest, umschwebet

Diese Dämmerung dir noch den Blick,

Diese Nacht: so durchwandre die Weltannalen, und finde

Etwas darin, das ihr ferne nur gleicht,

Wenn du kanst. O Schicksal! das sind sie also, das sind sie

Unsere Brüder die Franken; und wir?

Ach ich frag’ umsonst; ihr verstummet, Deutsche! Was zeiget

Euer Schweigen? bejahrter Geduld

Müden Kummer? oder verkündet es nahe Verwandlung?

Wie die schwüle Stille den Sturm,

Der vor sich her sie wirbelt, die Donnerwolken, bis Glut sie

Werden, und werden Zerschmetterndes Eis!

Nach dem Wetter, athmen sie kaum die Lüfte, die Bäche

Rieseln, vom Laube träufelt es sanft,

Frische labet, Gerüch’ umduften, die bläuliche Heitre

Lächelt, das Himmelsgemählde mit ihr;

Alles ist reg’, und ist Leben, und freut sich! die Nachtigall flötet

Hochzeit! liebender singet die Braut!

Knaben umtanzen den Mann, den kein Despot mehr verachtet!

Mädchen das ruhige, säugende Weib.

(1789)