24. Jahrgang | Nummer 7 | 29. März 2021

Die Stasi als Vorbild für Hollywood?

von Ulrich van der Heyden

Im Politthriller „Der Manchurian Kandidat“ aus dem Jahre 2004 mit Denzel Washington in der Hauptrolle wird eine zugegebenermaßen recht spannende Story um eine Gehirnwäsche von US-Soldaten im Irakkrieg erzählt. Die US-Marines töteten nach dem Einsetzen eines Implantats unter der Haut als Feinde bezeichnete Araber, ja selbst Kameraden. Sie wurden mit medizinischer Hilfe zu Killermaschinen.

Also eine Story, die zur Zufriedenheit der Zuschauer ein positives Ende nimmt. Teile sollen auf wahren Begebenheiten in der US-Army beruhen. Dies ist so unglaublich, dass man sich unwillkürlich fragt, warum kommt nicht die Stasi in der Handlung vor. Zumindest stellt sich die Frage, ob da nicht in der Vergangenheit etwas war. Denn es gibt doch kaum ein Verbrechen, was man dem ostdeutschen Geheimdienst nicht zutraut.

Die Spur führt zu Dr. Wouter Basson, geboren 1950, einem südafrikanischen Kardiologen und vormaligen Waffenforscher. Seit 1975 gehörte er der South African Defence Force an. Spätestens ab jenem Jahr beteiligte er sich an herausgehobener Position an dem „Project Coast“, einem Tötungsprogramm der südafrikanischen Regierung, in dem die „Ausschaltung“ von als Feinde des rassistischen Regimes angesehenen Anti-Apartheidaktivisten mithilfe bakteriologischer Waffen erprobt werden sollte.

Dr. Basson, der Leibarzt des Apartheid-Präsidenten Pieter Willem Botha, forschte unter anderem an Krankheitserregern, die als „ethnische Waffen“ nur Schwarzafrikaner töten sollten. Auch mit der Entwicklung von aus Hollywood-Filmen bekannten Mordinstrumenten soll er betraut gewesen sein; so mit Giftkugeln verschießenden Regenschirmen, Fingerringe mit Fächern für Gift, vergiftete Vitaminkapseln. Bei dem prominentesten Gefangenen des Regimes, dem späteren ersten schwarzen Präsidenten des Landes, Nelson Mandela, sollte per Injektion ein Gehirnschaden ausgelöst werden. Zudem wurde ein sehr starkes Tränengas zur Kontrolle von Massenveranstaltungen entwickelt, welches noch in den 1980er Jahren zur Anwendung kam. Zu den unter Wouter Basson, der nicht ohne Grund den Spitznamen „Dr. Death“ erhielt, erforschten Waffensystemen zählen Chemikalien, die zur Bekämpfung von Unruhen, die damals im Apartheidstaat zunahmen, vorgesehen waren. Auch wurde ein Pyridin-Mittel erzeugt, welches nach Einsätzen in den Wohngebieten der schwarzen Bevölkerung die dort lebenden Männer unfruchtbar machen sollte. Ein anderes Mittel zum gleichen Zweck wurde entwickelt, welches man Trinkwasser beimischen konnte. Erprobt wurden solche Mittel seit 1982 an Menschen, was etwa 200 Todesopfer kostete.

Für alle die verschiedenen Forschungen wurden Firmen gegründet. Diese benötigten Labore.

Für die Beschaffung der Labore taucht nun bei einigen Journalisten die Stasi auf. Zu naheliegend wäre es doch gewesen, zwischen Wouter Basson und der DDR eine Verbindung herzustellen. Der Journalist und Afrika-Korrespondent von DIE ZEIT und DER SPIEGEL, Bartholomäus Grill, der es zwischen 2005 und 2009 sogar zum Mitglied des Afrika-Beraterkreises von Bundespräsident Horst Köhler brachte, meinte in einem Artikel über Wouter Basson herausgefunden zu haben, dass der Chef des geheimen Chemie- und Biowaffenprogramms des Apartheidregimes, von dem bekannt wäre, dass er „inkognito in etlichen Ländern unterwegs“ war, mit der DDR gekungelt habe. Wenn man so etwas behaupten würde, wären die breite Solidaritätseinstellung der DDR-Bevölkerung nichts mehr wert, denn nun könnte gesagt werden, die SED und die Stasi hätten mit den Feinden der Befreiungsbewegungen zusammengearbeitet. Das Suchen etwa nach Laborausrüstungen auf dem internationalen Markt durch verdeckt auftretende Apartheidvertreter war schon lange bekannt, dennoch wusste Bartholomäus Grill, ohne dafür Belege anführen zu können, über den „Giftmischer der Apartheid“ von dessen „mutmaßlichen Auftraggebern aus Libyen, Rußland und der DDR“. In einem persönlichen Gespräch von mir auf seine Quelle angesprochen, zuckte der Afrika-Kenner nur mit der Schulter. Wer sollte widersprechen, wenn man die Unterstützung der DDR-Bürger für den Kampf zur Beseitigung der Apartheid einfach umdrehte?

Lediglich in Neues Deutschland kommentierte einige Zeit später die inzwischen verstorbene Journalistin, Autorin und Übersetzerin Hanna Ndlovu, die als gute Kennerin der politischen Verhältnisse im Süden Afrikas bekannt war, die von dem ZEIT-Korrespondenten ins Leben gesetzten Fake News. Sie schrieb, dass in der Tat Wouter Basson unter Pseudonym sein Labor in Leipzig gekauft hätte. Er hatte freimütig später vor Gericht ausgesagt, dass er zu den ahnungslosen Außenhändlern aus der DDR gute Beziehungen gepflegt hat. Niemand sei stutzig geworden. Sie schrieb: „Auch nach Großbritannien in das von ihm zur Tarnung der schmutzigen Apartheidgeschäfte angemietete Haus nahe dem Windsor Castle seien die Herren aus dem Osten gern gekommen. Hier habe man unter Umgehung der Sanktionen den Handel perfekt gemacht … Überhaupt sei er bei seinen vielen Besuchen im Ostblock immer gut aufgenommen und mit allem, was er wollte, bedient worden. Das Apartheidregime habe ihm beim Aufbau und der Organisation seiner Arbeit freie Hand gelassen. Einzige Bedingung war vollkommene Geheimhaltung. Daran habe er sich gehalten.“ Grill war vermutlich der letzte, der auf diese Geheimhaltungs-Manier hereinfiel.

Wouter Basson stand schon als junger Mann im Spionagedienst der USA auf dem Feld der chemischen Kriegsführung. Aufgrund der Auswertung der Akten von einem Prozess, dem sich der angeklagte Mörder nach Beseitigung der Apartheid stellen musste, konnte Hanna Ndlovu festhalten: „Er unterwanderte während dieser Zeit auch die rechte und linke amerikanische politische Szene, was ihm später in Apartheiddiensten sicher sehr nützlich war. Auch im ANC selbst konnte er so viel Vertrauen aufbauen, dass er und ein anderer südafrikanischer Geheimdienstler bei einem Besuch 1991 in Libyen von Staatschef Gaddafi einen Koffer mit Geld für den ANC mitnehmen durfte … Wie die Fäden gesponnen wurden, damit Basson während seines USA-Studienaufenthalts plötzlich nach Hause zum zweijährigen Pflicht-Militärdienst gerufen werden konnte, ließ er allerdings auch während zweier Kreuzverhöre im Dunkeln.“

Seltsam ist, dass die ANC-Regierung unter Nelson Mandela von Anfang an über die dunklen Machenschaften von Dr. Basson Bescheid wusste, der sich aufgrund der geänderten politischen Situation im Land am Kap verpflichtet hatte, gegen die Zusicherung weiteren Verbleibs als Arzt im Armeeapparat über seine frühere Tätigkeit zu schweigen.

Belege dafür, dass neben dem eigenen auch fremde Staaten seine menschenrechtswidrigen Forschungen in Auftrag gegeben hätten oder dass er sie zumindest mit deren Unterstützung durchgeführt hatte, liegen bis heute nicht vor. Das hinderte indes einige Journalisten nicht, die unbewiesene Behauptung einer DDR-Beteiligung weiterhin vorzutragen. Jene nahmen vermutlich an, dass sie sich auf die Aussage des Afrika-Kenners Grill verlassen könnten, der in seiner Stasi-Hysterie auch bis heute einen angeblich zu beobachtenden Einfluss des MfS in Äthiopien festgestellt haben will.

Erst im Jahre 1993 wurde „Dr. Death“ aus dem Militärdienst entlassen und arbeitete danach einige Zeit in Libyen. Auf Wunsch der USA und Großbritanniens wurde er wieder in den Staatsdienst Südafrikas zurückgeholt. So könne er angeblich besser unter Kontrolle sein. Er sollte nunmehr ausschließlich als Kardiologe für Militärangehörige arbeiten.

Als die Verbrechen der Apartheid auch in der Wahrheits- und Versöhnungskommission, die ab 1996 politisch motivierte Verbrechen während der Jahre der staatlich sanktionierten Rassenpolitik in Südafrika aufarbeiten sollte, zur Sprache kamen, musste sich Basson dort verteidigen, bat jedoch nicht um Amnestie. Er fühlte sich unschuldig. Dennoch stand er 1999 wegen vielfachen Mordes und anderer im Zusammenhang mit dem „Project Coast“ stehenden Verbrechen vor dem High Court in Pretoria. Zum Teil sagten einige seiner ehemaligen Mitarbeiter gegen ihn aus, wodurch er schwer belastet wurde.

Interessant ist die dort zur Sprache gekommene Tatsache, dass nicht nur der britische und der US-amerikanische Geheimdienst über seine verbrecherischen Tätigkeiten gut informiert waren, sondern auch der schweizerische Geheimdienst. Dieser soll sogar bei der Produktion und Beschaffung von B- und C-Waffen behilflich gewesen sein. Basson besuchte gar ein Labor der Schweizer Armee.

Nach mehr als zwei Jahren Verhandlungen wurde er in allen 67 Anklagepunkten, die von Diebstahl, Verschwörung und Drogenhandel bis zum Mord reichten, mit der Begründung freigesprochen, er hätte nur auf militärischen Befehl gehandelt. Im Jahre 2005 beschloss die Staatsanwaltschaft, keine Wiederaufnahme des Verfahrens anzustreben. Noch bis 2011 arbeitete der überzeugte Rassist in einer kardiologischen Praxis in Kapstadt.

Allerdings: Eine kleine Strafe gab es für den Verantwortlichen für durchgeführte und vorbereitete Morde dann doch noch. Im Dezember 2013 wurde „Dr. Tod“ von der südafrikanischen Ärztekammer wegen standeswidrigen Verhaltens in vier Anklagepunkten schuldig gesprochen. Ein US-amerikanischer Gutachter hatte nachweisen können, dass Bassons Tätigkeiten den Tod vieler Menschen, akute Todesgefahr und Gehirnwäschen verursacht hatten – alles Handlungen, die der medizinischen Ethik widersprechen. Er verlor seine Approbation. Jedoch erklärte im März 2019 ein anderes Gericht die Anordnung für ungültig. Nun arbeitet der bis heute keine Reue zeigende Mediziner in einem Krankenhaus als Herzspezialist, wie AFP kürzlich berichtete.

Der wohl mit aller Befugnis als Verbrecher zu bezeichnende südafrikanische Rassist konnte mit Unterstützung, zumindest mit Wissen verschiedener westlicher Geheimdienste seine inhumanen Versuche durchführen. Weder Herr Grill noch andere solche Gräuelstorys verbreitende Journalisten haben sich bisher für ihre Fake News entschuldigt.