24. Jahrgang | Nummer 4 | 15. Februar 2021

700 Jahre „Göttliche Komödie“

von Manfred Orlick

Die „Göttliche Komödie“ von Dante Alighieri (1265–1321) nimmt nicht nur in der italienischen Literatur einen besonderen Platz ein, sie ist zum Inbegriff des italienischen Beitrags zur Weltliteratur geworden. Längst zählt sie zum Grundinventar unseres kulturellen Gedächtnisses. Nächst der Bibel ist die „La Commedia“ das meistkommentierte Buch. Bereits kurz nach Dantes Tod waren zahlreiche Kommentatoren bestrebt, das Verständnis des Werkes zu erleichtern. Auch Dantes Söhne Jacopo und Pietro verfassten Kommentare, die sie wiederholt überarbeiteten. Die Bekanntheit des Werkes ist umso erstaunlicher, da Dante – gerade für heutige Leser – sicher zu den am wenigsten zugänglichen Dichtern der Weltliteratur gehört.

In seinem Werk unternahm der hochgebildete Dante als sündiger Mensch und in Begleitung des römischen Dichters Vergil eine fiktive Reise durch die drei Reiche der jenseitigen Welt – durch die Hölle (Inferno), das Fegefeuer (Purgatorio) und das Paradies (Paradiso). Dantes Versepos mit einer ausgefeilten Symbolik ist in drei Bücher aufgeteilt, wobei jedes aus 33 Gesängen besteht. Diesen 99 Gesängen ist ein Prolog vorangestellt, so dass sich die göttliche Anzahl von 100 Gesängen ergibt.

Dante begann mit der Niederschrift seines epischen Meisterwerkes wahrscheinlich im Jahre 1307 im politischen Exil und beendete es erst kurz vor seinem Tod im Jahre 1321. Der Zusatz „göttlich“ (italienisch „divina“) wurde erst 20 Jahre später „zum Lobe Dantes“ von Giovanni Boccaccio geprägt. „La Commedia“ führte den Zeitgenossen ein plastisches Bild vom Jenseits vor Augen; uns gewährt sie heute einen Einblick in die mittelalterlich-christliche Welt, indem das Werk auch das historische, naturwissenschaftliche und philosophische Wissen der damaligen Zeit einbezieht. Ein Großteil von Dantes Dichtung ist außerdem der Kaufmannstochter Beatrice Portinari, einer unerwiderten Jugendliebe, gewidmet.

Interessant ist die Tatsache, dass es weit mehr Übertragungen der „Commedia“ gibt als der Dramen Shakespeares. Die erste Gesamtübersetzung ins Deutsche ist Lebrecht Bachenschwanz zu danken, der 1767–69 eine Prosaübersetzung vorlegte. Ein halbes Jahrhundert später erschien 1821 eine gereimte Ausgabe in der Übersetzung von Karl Ludwig Kannegießer. Danach entschieden sich die meisten deutschen Übersetzer weiterhin dafür, Dantes kompliziertes Reimschema nachzubilden – auch auf Kosten der Verständlichkeit. Erst ab den 1990er Jahren erschienen wieder vermehrt Prosaübersetzungen, die zum besseren Verständnis völlig auf den Reim verzichteten. Der Grund für dieses Vorgehen war und ist: Mit dem Reimzwang lassen sich Dantes Gedanken und sein dichterisches Weltgebäude nur unzureichend in eine andere Sprache übertragen.

Zum Dante-Jubiläum im September 2021 ist eine Vielzahl von Neuerscheinungen angekündigt. Den Auftakt macht der Reclam Verlag bereits im Februar mit einer zweisprachigen Ausgabe der „Commedia“ in der Prosaübersetzung von Hartmut Köhler, die bereits 2010/12 in Reclams Universal-Bibliothek erschien. Nach eigenen Worten strebte er eine Übersetzung an, „die in Syntax, Wortwahl und Idiomatik unserem heutigen Sprachgebrauch gemäß ist und sich dank ihrer größeren Freiheit auch enger am Original halten kann“. Für seine Neuübersetzung, die sich durch philologische Genauigkeit und profunde Kommentierung auszeichnet, wurde Köhler mit dem deutsch-italienischen Übersetzerpreis geehrt. Die jetzige dreibändige Jubiläumsausgabe im Schuber punktet nicht nur mit einer repräsentativen Neugestaltung, sie bringt auch sämtliche Kommentare und sprachlichen Erläuterungen, die in der RUB-Ausgabe nur in wesentlich gestraffter Form vorhanden waren.

Dante Alighieri: La Commedia / Die Göttliche Komödie. Drei Bände im Schuber. Italienisch/Deutsch, Übersetzt und kommentiert von Hartmut Köhler. Reclam Verlag, Stuttgart 2020, 2082 Seiten, 65,00 Euro.