Das hier zu besprechende Buch widmet sich einer der derzeit konfliktreichsten Regionen – dem Persischen Golf, in der arabischen Welt auch Arabischer Golf genannt. Mit Saudi-Arabien und Iran stehen sich dort zwei Erzgegner gegenüber. Während der Irak nach dem Krieg mit Iran (Erster Golfkrieg, 1980–1988), dem Zweiten Golfkrieg (1990/91), der US-Invasion (Dritter Golfkrieg, 2003) und den folgenden inneren Auseinandersetzungen am Boden liegt, sind öl- und gasreiche Kleinstaaten wie Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) im Aufstieg begriffen. Globale Mächte wie die USA – als Schutzmacht Saudi-Arabiens und Gegner von Iran – und zunehmend auch Russland wirken von außen in die Region. Auch China baut seinen Einfluss aus, zunächst vor allem über seine Neue-Seidenstraßen-Initiative. Israel und die Türkei spielen eine wachsende Rolle. Nicht zu unterschätzen ist die wirtschaftliche Seite: die Öl- und Gasressourcen der Anliegerstaaten wie auch der Golf als wichtiger Transportweg für diese Bodenschätze.
Die beiden Herausgeber und ihre Autoren aus Österreich, Deutschland, Algerien, Afghanistan, Irak, Iran und Russland haben sich die schwierige Aufgabe gestellt, die aktuelle Lage in den Golfstaaten zu analysieren und gleichzeitig ihre historischen Grundlagen in Erinnerung zu rufen, letztlich also Licht in das Geflecht von politischen und wirtschaftlichen Interessen wie auch von Krisen, Konflikten und Kooperationen zu bringen. Die Einzelbeiträge bieten ein facettenreiches Mosaik und helfen damit, den Blick des interessierten Lesers für die komplizierte Lage am Golf zu schärfen.
Ein Schwerpunkt ist der Golfkooperationsrat (Gulf Cooperation Council – GCC), eine in Deutschland bisher relativ wenig bekannte Organisation. In letzter Zeit hat sich deren interner Konflikt, vor allem zwischen Saudi-Arabien und den VAE auf der einen Seite und Katar auf der anderen, weiter verschärft und scheint, einen dauerhaften Charakter anzunehmen.
Im Vorwort verweist Fritz Edlinger dabei auf zwei fundamentale Differenzen: Erstens schrecken Saudi-Arabien und die VAE nicht vor militärischen Interventionen (Jemen, Libyen) zurück, während Oman, Katar und Kuwait eher zur diplomatischen, nicht-militärischen Lösung von Konflikten neigen. Zweitens geht es um unterschiedliche Interpretationen des Islam. Wie Ägypten verfolgen Saudi-Arabien und die VAE Parteien und Organisationen der gesamtarabischen Bewegung der Moslembrüder, die wiederum – neben der Türkei – von Katar unterstützt werden.
Andreas Krieg verweist auf die Spaltung des GCC in Sicherheitsfragen. Die Isolierung Katars werde damit begründet, dass es sich nicht der konterrevolutionären Allianz anschließen wolle. Der GCC habe als kollektive Sicherheitsstruktur ausgedient, womit die wichtigste Säule regionaler Integration wegbreche. Pragmatischer Multilateralismus wiche einem ideologisierten Bilateralismus, der speziell vom saudisch-emiratischen Koordinationsrat verkörpert werde. Kriegs Schlussfolgerung: „Der GCC wird wahrscheinlich als Fassade bestehen bleiben, auch um Washington eine Illusion von Kooperation vorzugaukeln, die in der Vergangenheit die Grundlage amerikanischer Aufrüstung der Golfmonarchien gewesen ist. In der Realität haben alle sechs Staaten, vielleicht mit Ausnahme Bahrains, bereits vor Jahren begonnen, ihre Außen- und Sicherheitspolitik zu diversifizieren. “
Trotz allem dürfe jedoch die nach wie vor beträchtliche Präsenz der USA in den GCC-Staaten nicht übersehen werden, betont Edlinger. Die meisten dortigen Anlagen des US-Militärs hätten einen Aktionsradius bis nach China und Russland. Die Al-Udeid-Air-Basis in Katar sei eine der größten einschlägigen Anlagen weltweit und Hauptquartier des U.S. Central Command, das neben dem Nahen Osten auch für Zentralasien und Ostafrika zuständig sei. Auch die Basis der fünften US-Flotte in Bahrain decke mehr als den Golf-Raum ab.
Im Hinblick auf die Jemenpolitik Saudi-Arabiens verweist Werner Ruf auf den Konflikt mit den VAE. Hinter den Rivalitäten sieht er „unterschiedliche Visionen bezüglich der Ausgestaltung der regionalen Machtverhältnisse. Während die Saudis im Konflikt in Syrien konsequent die These vom schiitischen Halbmond vertreten und Assad als zentrales Glied dieser ‚Achse‘ stürzen wollen, scheinen die VAE eine andere Perspektive zu verfolgen, wie es etwa die Wiedereröffnung ihrer Botschaft in Damaskus zeigt oder auch ihr Agieren für die Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga.“ Zugleich scheinen die VAE mit ihrem relativen Rückzug aus dem Jemen-Krieg eine direkte Konfrontation mit Iran vermeiden zu wollen.
Detailliert untersucht Markus Schmidt in seinem Beitrag Aspekte der Großmachtpolitik Saudi-Arabiens im Hinblick auf das iranische Atomprogramm, den Katar-Konflikt und Afrika. Er beobachtet ein Aufbrechen alter Ordnungen, wie sie sich im schrittweisen Rückzug der USA aus dem Nahen Osten und der stärkeren Rolle Russlands abzeichnen.
Die derzeitige Situation im Nahen Osten schätzt der junge Moskauer Politologe Pjotr Kortunow als günstig für die Politik Moskaus in der Region ein. Diese laufe darauf hinaus, „eine solche Lage im Nahen Osten zu fördern, bei der jeder größere Staat der Region veranlasst wäre, sich an Russland um Unterstützung zu wenden“. Wesentliche Aufgaben dieser Politik seien, die militärische und politische Balance zwischen den Schlüsselstaaten im Nahen Osten zu erhalten, den Einfluss äußerer Kräfte zu verringern und den Zustand der Konkurrenz in der Region zu erhalten. Hauptziel der russischen Nahostpolitik sei, die Rolle eines „ehrlichen Vermittlers“ einzunehmen, der freundschaftliche Beziehungen mit allen wichtigen Staaten der Region unterhalte. Russland unternehme große Anstrengungen, um einen bewaffneten Konfliktzwischen den regionalen Konkurrenten zu verhindern. So halte die Tatsache partnerschaftlicher Beziehungen zwischen Russland und Iran Teheran vor unüberlegten Aktivitäten ab. Auch als Verkäufer von Waffen und Atomkraftwerken spiele Russland eine wachsende Rolle.
Der Schutz der Öl- und Gas-Lieferrouten sei für China außerordentlich wichtig, so Robert Fitzthum. Neben Saudi-Arabien sei Iran ein wesentliches geopolitisches Schlüsselglied entlang der „neuen Seidenstraße“. Es gehe Peking um eine iranisch-irakisch-syrisch-libanesische Handelszone.
Auch zu den Hintergründen des Drohnenmords am iranischen General Soleimani, zu Israels Rolle im aktuellen Golfkonflikt oder zur Bedeutung des Syrienkonfliktes für die Golfregion liefern die Buchautoren interessante Aufschlüsse. Tyma Kraitt (Irak) analysiert Entwicklung und Bedeutung des iranischen Atomprogramms wie auch das Zustandekommen des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) von 2015. In seiner Bewertung dieses Dokuments schießt Heinz Gärtner aber wohl über das Ziel hinaus, wenn er den JCPOA als „das am besten ausgehandelte Rüstungskontrollabkommen der Geschichte“ bezeichnet. Übrigens hatte Iran bereits mit der Ratifizierung des Kernwaffensperrvertrags 1970 auf die Atombombe verzichtet, während der JCPOA darüber hinausgehende Beschränkungen und Inspektionen festlegt.
Insgesamt ist das Buch jedem zu empfehlen, der sich ein umfassendes Bild über die gegenwärtige Lage in der Golfregion machen möchte.
Matin Baraki / Fritz Edlinger (Hrsg.): Krise am Golf. Hintergründe, Analysen, Berichte, Promedia, Wien 2020, 248 Seiten, 19,90 Euro.
Schlagwörter: Hubert Thielicke, Persischer Golf