Es war einmal ein Juliabend bei Östersund am See, als wir eine winzige Hütte bezogen und nachdem wir uns eingerichtet hatten gleich in das Ruderboot setzten, das am Steg schaukelte und das wir selbstverständlich benutzen durften. Ein gewaltiger eiserner Anker stand als Monument maritimer Würde und Kraft in der Wiese vor dem Steg.
Wir wollten für eine Nacht pausieren. Wir waren auf dem Weg nach Kvikkjokk, wohin der Reisende über Jokkmokk gelangt, nachdem er Avidsjaur passiert hat; allein der Namen wegen lieben wir diese Orte, die Fahrt zu ihnen und das Wandern von ihnen fort in die Weite Lapplands. Hätte ich gewusst, was auf uns zukommt …
Ich ruderte los in eine der Buchten des Storsjön-Sees. Hin und wieder reichte mir die Liebste die Flasche Weißwein (gut gekühlt), aus der wir abwechselnd tranken. Glücklich, selig, da gab’s ein Abendlicht, das uns überfloss. Auch wenn es da oben im Norden im Sommer nicht richtig dunkel wird. Einen Abend gibt es trotzdem, jeden Tag. Ja, so war das, liebe Kinder, nehmt’s hin oder lacht über die Alten: Das Glück kann ein Abendlicht sein, das flutet das Herz, die Seele, das Hirn.
Wir näherten uns dem anderen Ufer, das ja immer das nämliche Ufer ist, wenn Land-Sand-Strand einen See umrandet, und ich steuerte den Kahn in Richtung des offenen Sees, der übrigens der fünftgrößte Schwedens ist. Ins Offene also! Bis mich eine Unruhe beschlich. (Okay, das ist wieder eine altmodische Formulierung, „mich beschlich eine Unruhe“, aber schließt nur eure Augen und stellt euch schwankenden Boden unter den Füßen – etwa ein fernes Erdbeben? – vor oder eine fette, plötzliche Spinne an der Wand oder ein rätselhaftes, lauter werdendes, auf euch zukommendes Summen im Zimmer, so! Und nun?)
Meine Unruhe kam von der Unruhe unter dem Boot. Das Wasser kräuselte sich. Kurze, schnelle, wirbelnde Wellenkämme. Schläge der Natur gegen die menschliche Konstruktion Kahn. Kabbeliges Wasser, wie wir es vom Darßer Bodden her kannten. Nicht ungefährlich. Wir hatten einen Sommer erlebt, in dem der Sohn unserer Ferienwohnungsvermieterin über Bord ging und ertrank. Dass er betrunken war, ist eine Erklärung; nur wem galt sie irgendwas, wen tröstete sie, wem konnte man sie vortragen? Der Mutter nicht und nicht dem Wasser.
Plötzlich tauchte es auf! Im Rücken meiner Liebsten, die auf der Rückbank saß, ihr Gesicht in den Sonnen-Rest hielt, die Augen geschlossen, mögen die Sommersprossen blühen, dem Abend ergeben und alldem. ES! Musste! ES! Sein! Störsjöodjuret! Nessie auf Schwedisch! Das Monster des Sees, von dem seit Jahrhunderten gesprochen wird, das aber noch nie jemand sah, das jeder beschreibt, das noch nie jemand gefangen hat!
Grün. Gelb. Lange Wimpern. Augen wie die Bullaugen eines U-Boots (haben die Bullaugen? Ich glaube, in Trickfilmen schon, oder bei Kapitän Nemo?). Keine Tentakeln, aber einen Körper mit Schuppen, groß wie Spatenblätter. Zähne sah ich nicht, und nachdem mein erster Schreck verflogen war (hatte mich beschlichen und war verzischt), dachte ich: Das Vieh sieht aus wie ein Viehchen. Lieb irgendwie. Als sei es aus Neugier aufgetaucht: Wer da mal wieder als Schatten über ihm schwebte, eines dieser Boote, die Störsjöodjuret zum Fressen gern hatte, wenn er denn jemals Holz und Menschen verschlungen hätte! Mag er nicht. Ist ihm, was mir Rote Grütze ist. So ein Monster ist wählerisch, jemand, der nicht sofort alles runterschlingt, was er zwischen die Kiefern kriegt.
Ich hielt inne. Ich zog die Ruderblätter ein. Sicherheitshalber; ich dachte, vielleicht nimmt ES sie mir weg, und dann müsste ich zusehen, wie ich mit den Armen paddelnd den Kahn zurückbrächte an den Steg. Und dann nahm ich einen Schluck aus der Weinflasche; es war noch was übrig. Und Störsjöodjuret tauchte ab und verschwand. Ich meine, er winkte mit einer Flosse oder Hand oder mit einem Bein.
„Was ist dir?“, fragte die Liebste. Sie war aufgeschreckt. Vielleicht hatte sie das Monster hinter sich gespürt. „Ist noch Wein da?“
„Nichts“, sagte ich. „Ja“, sagte ich. Und dann sagte ich: „Ich rudere jetzt zurück. Es ist etwas unheimlich hier. Das Wasser … Auf den See hinaus, lieber nicht.“
„Es ist schön hier“, sagte sie. Ich nickte. Es ist hier überall schön. Sjön sozusagen. Wenn auch gelegentlich etwas kabbelig.
Und als wir den Kahn am Steg angebunden hatten und an dem Anker vorbeigingen – blieb ich kurz stehen und schlug ihm auf die Schulter. „Alter Schwede!“, flüsterte ich. „Alter Schwede!“
Schlagwörter: Eckhard Mieder, Schweden, Seeungeheuer