23. Jahrgang | Nummer 7 | 30. März 2020

Henny Porten, eine Frau mit Prinzipien

von Frank Burkhard

Hier ist eine Gestalt, die in Deutschland volkstümlicher ist als der alte Fritz, als der olympische Goethe es je waren und sein konnten. Hier ist eine Gestalt, die bei den Angehörigen aller Parteien, bei jung und alt, in allen Ständen und Schichten, gleicherweise bekannt und beliebt ist. Hier ist eine Gestalt, deren bewegtes Bild alltäglich, allabendlich Hunderttausenden von Deutschen in vorbildlichen Handlungen, in den Erlebnissen und Trachten aller Berufe und Klassen vor Augen geführt wird. […] Hier ist eine schöne Frau, die einem niedergedrückten, zukunftshungrigen Volke von siebzig Millionen als Symbol der Tugendsamkeit, der gefühlsstarken und doch heiter-lebensfrohen Frau erscheint. Hier ist eine schöne Frau, die als Vereinigung von Gretchen und Germania von diesem Volke selbst als Idealbild eben dieses Volkes aufgerichtet wurde. Man mache Henny Porten zum Reichspräsidenten!

Kurt Pinthus, 1921

Warum denkt niemand daran, dass wir uns 2020 in einem Henny-Porten-Jahr befinden? Im Januar war der 130. Geburtstag der Schauspielerin und zeitweiligen Filmproduzentin, und im Oktober jährt sich ihr Todestag zum 60. Mal. Bis zum Beginn der Nazi-Zeit gab es im 20. Jahrhundert in Deutschland keine andere Schauspielerin (mit Ausnahme ihrer ewigen Rivalin Asta Nielsen), die so abgöttisch geliebt und verehrt worden war, wie die Porten. Obwohl sie fast ausschließlich in deutschen Filmen auftrat, kannte man sie auf allen Kontinenten, was die Waschkörbe voller Zuschauerbriefe bewiesen. Ursprünglich war sie ein unpolitischer Mensch, wurde aber in die Katastrophen und Verhängnisse der Zeit hineingezogen und reagierte mit reinem Gefühl und tiefem Anstand.

Seit den 1920er Jahren hat es mehrfach Bücher über Henny Porten gegeben, das wohl am besten recherchierte begleitend zur Berlinale-Retrospektive 1986 von Helga Belach. Weil es gegenwärtig sonst niemand tut, hat der Möllner Autor Detlef Romey, der sich schon lange intensiv mit Henny Porten beschäftigt hat, über sie das Buch „Der gefallene Engel“ geschrieben. „Wozu eine weitere Biografie?“, fragt der Autor im Vorwort und gibt gleich die Antwort: „Es geht um ihre Liebe im Dritten Reich!“

Der Titel ist nicht neu und trifft das Leben der Porten nicht ganz, denn in der Bibel fallen Engel, die den himmlischen Prinzipien untreu wurden. Henny Porten aber fiel, weil sie standhaft zu ihren Prinzipen hielt. Moralisch stand sie haushoch über ihren Gegnern.

Lebendig schildert der Autor, wie Henny Porten beim Spartakusaufstand durch ihre besonnene Art einen gewalttätigen Ausbruch verhindert, oder wie sie wenig später bei den Dreharbeiten zum Lubitsch-Film „Anna Boleyn“ tausende Arbeitslose bewegt, sich nicht an Reichspräsident Ebert zu vergreifen. Sie hatte im Krieg ihren Mann, den Regisseur Curt A. Stark, verloren und in den zwanziger Jahren mit dem Arzt Wilhelm von Kaufmann eine neue Ehe geschlossen. Doch Kaufmann war sogenannter „Halbjude“, und Henny Porten weigerte sich ab 1933 in mehreren Gesprächen gegenüber Propagandaminister Goebbels strikt, sich scheiden zu lassen. Eine Trennung war für sie undenkbar und schäbig. Ihre Popularität schützte sie vor dem Schlimmsten, aber sie wurde kaltgestellt und das Ehepaar war schweren Repressionen unterworfen. Von Goebbels wurde die Porten gehasst, von Göring mitunter beschützt, und Hitler verehrte sie als seine Lieblingsschauspielerin aus der Jugend. Doch erst im Krieg erhielt sie wieder größere Filmrollen („Familie Buchholz“, 1943/44), sicherlich um das Durchhaltevermögen ihrer vielen verbliebenen Anhänger zu stärken. Romey hat zahlreiche bisher unbekannte Zeitzeugnisse in Archiven entdeckt, die er hier erstmals präsentieren kann, und mit Portens Freunden und Kollegen gesprochen.

Für den Nachkriegsfilm der BRD war die Porten uninteressant. Dafür fuhr sie an jenem geschichtsträchtigen 17. Juni 1953 von einer Pension am Kurfürstendamm in die Ostberliner Jägerstraße, um mit der DEFA einen Filmvertrag abzuschließen. Nach zwei Hauptrollen („Carola Lamberti“, 1954, „Das Fräulein von Scuderi“, 1955) konnten sie und ihr Mann sich doch nicht entschließen, in die DDR zu ziehen, so dass beide unter eher unwürdigen Bedingungen im Westen starben.

Dieses Leben hätte einen wunderbaren Filmstoff über die Zeitläufte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgegeben, aber nicht einmal Henny Portens Erinnerungen fanden einen Verlag. Sie wurden auszugsweise in einer Illustrierten veröffentlicht. 

Detlef Romey war das Potential dieser Biografie bewusst, und ihm mag mit seinem Buch so etwas wie Hildegard Knefs Bucherfolg „Der geschenkte Gaul“ vorgeschwebt haben. In den besten Passagen ist es auch gelungen. Dabei kommt ihm zugute, dass er aus dem Buch „Das gab ́s nur einmal“ von Curt Riess zitiert, der die deutsche Filmgeschichte so erzählt, als hätte er immer dabeigestanden, und auch auf Henny Portens auf Tonband gesprochene Erinnerungen greift er zurück. Sie hatte ein Talent, so dramatisch wie pointiert zu erzählen. Bemerkenswert, dass er immer wieder Parallelen zur heutigen Zeit zieht, gerade was Antisemitismus und Neofaschismus betrifft.

Dem gegenüber stehen Redundanzen, ausführliche Inhaltswiedergaben einzelner Filme und nicht enden wollende Kritikerzitate. So anerkennenswert es auch ist, wenn Zeitkolorit durch Zitate von Schaubühnen-Autor Kurt Pinthus oder Weltbühnen-Autor Kurt Tucholsky anklingt, so fehlerhaft sind die Zitate wiedergegeben, wenn nicht klar wird, wo sie enden und wo die Interpretation des Autors beginnt. Dabei unterlaufen Romey Flüchtigkeitsfehler, die ärgerlich sind. So zitiert er Henny Portens erste Begegnung mit Hitler in ihren Worten so, als hätte sie es im Interview einer zeitgenössischen Illustrierten wiedergegeben. Die Wortwahl lässt aber vermuten, dass die Schilderung aus ihren Tonbandaufzeichnungen der fünfziger Jahre stammt. Mitunter zitiert er auch Blättchen-Autor F.-B. Habel, nennt aber nie seinen Namen, sondern nur das Buch „Verrückt vor Begehren“, in dem Habel der Diva ein Kapitel widmete.

Ein gründlicheres Lektorat hätte dem Werk gutgetan, auch ein Korrektor, der die zahlreichen Namensfalschschreibungen bereinigt hätte. Romey würdigt Antifaschisten wie Beate und Serge „Klasfeld“ (Klarsfeld) und Esther „Beajarano“ (Bejarano), schreibt Marika Rökk stets „Röck“, den international bekannten Regisseur G.W. Pabst „Papst“ und Hauptmann wahlweise Gerhardt oder Gerhart (richtig). Weltbühnen-Autor Hans Reimann wird zum „Heinz“, und aus dem thüringischen Rudolstadt wird „Rudolfstadt“ – nur eine kleine Auswahl der Schreibfehler.

So bedauerlich diese Einschränkungen auch sind – wer darüber hinwegzusehen vermag, kann doch mit Gewinn in eine Biografie eintauchen, die überraschend eng mit den Erfahrungen zweier Weltkriege, den gar nicht so goldenen zwanziger Jahren und der Zeit des Kalten Krieges verwoben ist.

Detlef Romey: Der gefallene Engel, Verlag Neopubli GmbH, Berlin 2020, 408 Seiten, 14,99 Euro.