Von deutschen Medien weitgehend unbeachtet, fanden am 22. Dezember 2019 Wahlen in Usbekistan statt. Und doch sollte man ihre Bedeutung nicht unterschätzen. Es waren die ersten Parlamentswahlen nach der Machtübernahme von Shavkat Mirziyoyev, der nach dem Tod von Islam Karimov, welcher das Land 25 Jahre reagiert hatte, 2016 zum neuen Präsidenten gewählt worden war. Der ehemalige Ministerpräsident des 1991 entstandenen unabhängigen zentralasiatischen Staates leitete weitreichende sozialökonomische und gesellschaftliche Reformen ein und begann, auch die Außenpolitik auf die Erfordernisse der gegenwärtigen Lage einzustellen, insbesondere im Hinblick auf die internationale Öffnung des Landes und die Zusammenarbeit in Zentralasien. Nicht umsonst stand der Wahlprozess unter der Devise „Neues Usbekistan – neue Wahlen“.
Verlauf und Ergebnisse machten deutlich, dass der von Präsident Mirziyoyev eingeschlagene Kurs der Modernisierung und Demokratisierung irreversibel ist. Zugleich erscheinen zwei Aspekte von besonderer Bedeutung: Zum einen waren es die ersten freien Wahlen seit der Unabhängigkeit des Landes und zweitens wurden sie neben vielen einheimischen auch von einer außerordentlich hohen Anzahl internationaler Beobachter verfolgt.
Rechtliche Basis für die Wahlen zur gesetzgebenden Versammlung (Oliy Majlis) wie auch zu den regionalen und lokalen Vertretungen war das im vergangenen Jahr verabschiedete neue Wahlgesetz. Organisiert wurden die Wahlen von der Zentralen Wahlkommission, 150 Distriktkommissionen und etwa 10.300 lokalen Wahlkommissionen. Zur Wahl aufgerufen waren 20,6 Millionen Bürger; die Wahlbeteiligung betrug 71 Prozent.
Für die 150 Parlamentssitze bewarben sich 750 Kandidaten von fünf Parteien. Mit 43 Parlamentssitzen und 34 Prozent der Stimmen wurde die Liberaldemokratische Partei Usbekistans erneut Wahlsieger, sie stellte auch bisher den Ministerpräsidenten. Ihr folgten die Demokratische Partei (27 Prozent), die Sozialdemokraten (21 Prozent), die linke Volksdemokratischen Partei (14 Prozent) und die Ökologische Partei (11 Prozent), die als neue Partei auf Anhieb beträchtlichen Zulauf erhielt. In 22 der 150 Wahlkreise erlangte kein Kandidat die Mehrheit, weshalb zwei Wochen später dort Stichwahlen stattfanden.
Beteiligt waren mehr als 800 internationale Beobachter, darunter Missionen der OSZE, der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Die Missionen von GUS und SOZ bezeichneten die Wahlen als frei, transparent und demokratisch. Die OSZE begrüßte die verbesserte Wahlgesetzgebung und -vorbereitung. Sie lobte insbesondere die Einheitliche Elektronische Wählerliste, die mittels der in den Wahllokalen installierten Computer erlaubt, die abstimmenden Wähler sofort zu registrieren und damit eine doppelte Stimmabgabe zu verhindern. Allerdings, so die OSZE-Mission, hätte es an Wettbewerb zwischen den Parteien gefehlt und wäre es am Wahltag zu Verfahrensmängeln wie Abstimmung im Auftrag anderer Wähler gekommen.
Dem Parlament wird nun neben der starken Rolle des Präsidenten eine größere Bedeutung bei der Fortführung der Reformen zukommen. Nachdem bereits 2014 die stärkste Parlamentsfraktion das Recht erhalten hatte, den Ministerpräsidenten zu nominieren, befindet das Parlament seit 2019 auch über die von ihm vorgeschlagenen Minister, die anschließend vom Präsidenten bestätigt werden.
Kennzeichnend für die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen war ein bisher in Usbekistan ungekannter Grad von Transparenz. Das betrifft sowohl öffentliche Diskussionen als auch die Tätigkeit der Medien. Letztere soll auch durch die 2018 gegründete Universität für Journalismus und Medien weiter gefördert werden.
Insgesamt wurde deutlich, dass man dabei ist, alle Lebensbereiche neu zu strukturieren und damit das bisherige System zu ändern, das bis vor drei Jahren die Entwicklung des Landes behinderte.
Das gilt auch für die Außenpolitik. Nach wie vor will Taschkent zwar an einer multivektoralen Politik festhalten, das heißt an freundschaftlichen und kooperativen bilateralen Beziehungen mit allen Ländern, insbesondere den Weltmächten. Zunehmend wird aber die wichtige Rolle der GUS-Länder, in erster Linie Russlands, betont. Sein erster Auslandsbesuch führte Präsident Mirziyoyev schon 2017 nach Russland, wo mehr als zwei Millionen Usbeken arbeiten und das unter anderem auch ein Kernkraftwerk in Usbekistan baut.
Was die multilaterale Kooperation anbetrifft, so beschränkte sich Taschkent bisher im postsowjetischen Raum vor allem auf die GUS und in Eurasien auf die SOZ, in der seit Anfang 2019 der ehemalige usbekische Außenminister Vladimir Norov als Generalsekretär amtiert. Nun wird eine engere Zusammenarbeit mit der von Moskau dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) geprüft, bis hin zum Beitritt. Dem dürften vor allem zwei Faktoren zugrunde liegen: der für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Usbekistans wichtige große Markt und die Tatsache, dass mit Kasachstan und Kirgistan bereits zwei zentralasiatische Nachbarländer dem Integrationsprojekt angehören. Die Frage spielte auch im Wahlkampf eine gewisse Rolle. So sprachen sich in einer Fernsehdiskussion mehrere Parteienvertreter für einen Beitritt zur EAWU aus.
Vor Russland ist China größter Investor in Usbekistan. Allerdings ist Taschkent bestrebt, dadurch nicht in politische Abhängigkeit zur Volksrepublik zu geraten.
Usbekistan ist das Kernland Zentralasiens, hat Grenzen mit allen anderen vier postsowjetischen Staaten der Region und ist mit 33 Millionen Menschen auch das bevölkerungsreichste Land. Bereits unter Präsident Karimov hatte sich Taschkent für eine engere Zusammenarbeit in der Region ausgesprochen und initiierte den Vertrag über eine kernwaffenfreie Zone in Zentralasien. Der neue Präsident gab hier neue Anstöße – in jüngster Zeit führte seine Initiative bereits zu mehreren regionalen Gipfeltreffen, Grenzfragen wurden gelöst und Fortschritte bei der Lösung des Wasserproblems erzielt.
Als Nachbarland nimmt Afghanistan einen besonderen Stellenwert für Usbekistan ein. Im März 2018 fand eine internationale Afghanistan-Konferenz in Taschkent statt, deren Erklärung auf ein Friedensprogramm und den wirtschaftlichen Aufbau des Landes orientierte.
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