22. Jahrgang | Nummer 25 | 9. Dezember 2019

Sudans Frauen im Aufbruch

von Arndt Peltner, aus Khartum

Ich besuche die sudanesische Hauptstadt ein gutes halbes Jahr nach dem Sturz des Diktators Omar al-Bashir und nur wenige Wochen nach dem Ende der friedlichen Revolution, die vor allem von Frauen und jungen Leuten getragen wurde.
Wie Alaa Salah, eine Studentin Anfang 20, deren Bild um die Welt ging. Sie wurde als „Lady Liberty of Sudan“, als die „Frau in Weiß“, als „Nubian Queen“ gefeiert. Berühmt wurde sie, als sie auf einem Autodach stand und sang, sie die begeisterte Menschenmenge mitnahm. Salah ist Mitglied von MANSAM, einem Frauen-Netzwerk, das lautstark und geeint die Proteste gegen Präsident Bashir mitorganisierte. Sie steht nun auch für eine erstarkte Frauenrechtsbewegung im Sudan.
Ende Oktober sprach die junge Aktivistin in New York vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen: „Nach Jahrzehnten des Kampfes und nach allem, was wir mit friedlichen Mitteln riskierten, um Bashirs Diktatur zu beenden, ist die Ungleichheit der Geschlechter nicht länger und wird nie mehr von den Frauen und Mädchen im Sudan akzeptiert. Ich hoffe, dass das auch unannehmbar für die Mitglieder dieser Kammer ist.“
Noch liegt dieses Ziel der Gleichberechtigung in weiter Ferne. Auch der Übergangsregierung, die aus Vertretern des Militärs und der Protestbewegung besteht, gehören nur wenige Frauen an, die Regierung wurde wie immer mit Männern besetzt. Doch die Frauen im Sudan gingen auf die Barrikaden. Die Sudanese Women’s Union forderte Gleichberechtigung auf allen Regierungsebenen. Die lautstarken Proteste führten schließlich dazu, dass in der Verfassungskommission die Forderung nach einer 40:60 Sitzvergabe angenommen wurde. In Zukunft sollen die Frauen mit in der Regierung sitzen.
In Khartum deutet in diesen Tagen wenig auf die monatelangen, teils brutal unterdrückten und blutigen Reaktionen der Sicherheitskräfte auf die Proteste der friedlichen Demonstranten hin. Ganz im Gegenteil – Khartum wirkt wie eine Stadt, die lebendig ist, befreit wirkt, ja durchatmet. Man kann das Wort Hoffnung im Khartum dieser Tage spüren. In einem Pizza Schnellimbiss sitzen rund ein gutes Dutzend junger Frauen entspannt an mehreren Tischen, teils ist das Kopftuch runtergerutscht, sie sind modisch gekleidet, sie lachen, machen Selfies. Unter Machthaber Omar al-Bashir hatten Frauen schon für das Tragen einer Hose Prügelstrafe angedroht bekommen.

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Ein unscheinbares Gebäude in einer staubigen Seitenstraße. Hier befindet sich Capital Radio 91.6 FM, das erste und einzige englischsprachige Radio im Sudan. Gegründet 2012. Der Slogan von Capital Radio lautet: The Heartbeat of Sudan.
Maya Gadir ist die Frau im Moderatorenteam von Capital Radio. Sie ist Ende 20, hochgewachsen, ihre langen Haare sind zu dünnen Zöpfen geflochten, lässig gekleidet, ein Kopftuch trägt sie nicht. Sie lacht viel. Maya erzählt begeistert von ihrer Arbeit, die sich in den letzten Monaten vollkommen verändert habe. Nun dürfe sie in ihrer Morgenshow über Nachrichten aus ganz Afrika sprechen. Sie berichte nun viel über die Proteste in Ägypten und auch über das, was im Sudan passiere, aber klare Richtlinien, was erlaubt sei und was nicht, die gebe es nicht.
Während der monatelangen Proteste war die Arbeit des Senders mehr als eingeschränkt. Man solidarisierte sich mit den Demonstranten, war selbst in ihrer Mitte an vorderster Front mit dabei, doch on-air konnte das nicht deutlich gesagt werden. Maya Gadir fand dennoch einen Weg, um ihre Meinung kundzutun. Sie spielte Songs von Musikerinnen… „Arrabi al Arabe“ sei ein Mauretanischer Song von Mariem Hassan, der während des arabischen Frühlings veröffentlicht wurde, erzählt die Moderatorin. Er ist auf Arabisch und spricht die Lage in Tunesien und im Nahen Osten an. Das sei ihr Lieblingssong gewesen, den sie gerne mittags einsetzte, wenn die Leute zu den Protesten aufbrachen. Für sie ein deutliches Zeichen. Ein anderes Lied, dass sie gerne spielte, war Tracey Chapman „Talkin’ ’bout a revolution“.

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Zehn Minuten vom Sender entfernt steht ein unscheinbares Eckhaus. 40 Grad Außentemperatur. Ein Straßenhund liegt im Schatten eines Baumes und beobachtet lethargisch, was um ihn herum passiert. Im ersten Stock liegt der „Impact Hub“ Khartum. „Impact Hub“ ist ein globales Netzwerk, bei dem kleine Unternehmen und Freischaffende eine Bürofläche innovativ teilen. Diese Hubs kann man in London, San Francisco, Zürich und eben auch in Khartum finden. Die Atmosphäre ist gelassen, eigentlich könnte diese Bürofläche problemlos im Silicon Valley von Kalifornien stehen. Viel Holz wurde verwendet, ein paar Glaswände gezogen, viel Farbe, viel Offenheit. An einem Tisch sitzen drei junge Frauen hinter ihren Laptops. Ilaf Nasreldin, 24 Jahre alt, Samar Khalid, 19 Jahre alt und Doha Ali, 21 Jahre alt. Sie haben Amna gegründet, eine feministische Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, Gewalt gegen Frauen im Sudan zu stoppen.
Amna wurde im Frühjahr 2018 gegründet. Als feministische Organisation, sagt Doha Ali, seien sie sehr eingeschränkt gewesen. Aber nun seien sie optimistisch, dass auf die Probleme hingewiesen werden kann, die vorher nicht angesprochen werden durften. Diese Revolution vereinige auch etliche feministische Organisationen im Land. Nun, gemeinsam mit anderen, wolle man nach der Revolution zusammen arbeiten, um für dieselben Ziele und Visionen zu kämpfen.
Die Frauen von Amna merkten nach ihrer Gründung, dass sie über die verschiedensten Formen der Gewalt gegen Frauen im Sudan gar nicht sprechen konnten, denn ihnen fehlten schlichtweg die Daten, die Informationen. Es gab keine zuverlässigen Zahlen über Vergewaltigungen, über häusliche Gewalt, über Benachteiligungen von Mädchen in Schule und Beruf, auch keine Statistiken über die weitverbreitete weibliche Genitalverstümmelung im Land. Deshalb ging man daran, selbst Statistiken zu erstellen. Bis zur Revolution waren das zarte Versuche, nun geht man das offensiver an, befragt ganz offen Mädchen und junge Frauen im Alter von elf bis neunzehn Jahren.
Ilaf Nasreldin sagt unumwunden, dass sie eine Chance im neuen Sudan sieht, die Situation von Frauen zu verbessern. Sie hoffe auf eine Gesetzesreform, die Frauenrechtlerinnen schon lange gefordert hatten. Auf den Einwand, dass die Rolle der Frauen im Sudan ja auch durch die Gesellschaft und durch Traditionen geprägt wurde, antwortet Ilaf Nasreldin: Es gehe nicht nur um Gesetze, vielmehr sehe sie, dass mit der Revolution die Menschen auch endlich damit begonnen hätten, miteinander zu reden. Während der Sit-ins wurde oft auch darüber diskutiert, was es heißt, heute eine sudanesische Frau zu sein – welche Anstrengungen Frauen in der Gesellschaft bewältigen müssen und wie die Gesellschaft und Einzelpersonen die Einstellungen gegenüber Frauen verändern könnten. Doha Ali beschreibt, dass das Leben für eine sudanesische Frau bislang alles andere als einfach war. Es sei sehr schwierig, aber sie meint, dass nach allem, was passiert sei, Hoffnung bestehe. Sie würden nicht darauf warten, bis irgendjemand ihnen ihre Rechte gibt. „Wir holen sie uns einfach“, betont sie.

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Von Khartum geht es in den Osten des Landes nach Kassala, einer Stadt mit mehr als 500.000 Einwohnern unweit der Grenze zu Eritrea. Flüchtlinge aus Somalia, Äthiopien und Eritrea kommen auf dem gefährlichen Weg nach Europa durch Kassala. Kassala ist auch ein Handelsort auf dem Weg nach Port Sudan, der wichtigsten Hafenstadt des Landes am Roten Meer. Hier scheinen die Uhren ganz anders zu ticken. Kann man in Khartum diese Aufbruchstimmung nach der Revolution förmlich spüren, sind in Kassala die Probleme offensichtlich und drückend. Lange Schlangen an den Tankstellen, alles wirkt ärmlicher. Und hier in der Region ist die Unterernährung bei Kindern besonders hoch. Dazu kommen eine hohe Analphabetenrate bei Frauen, die bei 56 Prozent liegt und eine hohe Kinder- und Muttersterblichkeit bei Geburten.
Eatizas Yousif ist die Programmleiterin von CARE Sudan. Die Hilfsorganisation durfte lange nicht im Land arbeiten. Erst nach einem Namenswechsel, aus CARE wurde Care International Switzerland oder CIS, durfte die NGO wieder ins Land. Und sie baute in der Region Kassala gleich einige Projekte auf.
Die Unterernährungsquote im Osten des Landes, so Eatizaz Yousif, sei die höchste in allen 18 Bundesstaaten. Die Situation von Frauen, ihre Ungleichheit sei ein riesiges Problem. Das spiegele sich in engen sozialen Normen, in frühen Eheschließungen und der sehr eingeschränkten Mobilität der Frauen wider, die verhindert, dass Frauen eine bessere Schulbildung, Gesundheitsversorgung und auch eine bessere wirtschaftliche Versorgung erfahren.
Es geht nach Omraika, einem Dorf, das nur über eine stundenlange Fahrt auf einer Ruckelpiste erreicht werden kann. Hier unterhalten CARE und die lokale NGO WAAD ein Gesundheitszentrum. Es besteht aus einem Arztzimmer und zwei spartanischen Krankenzimmern.
Was in diesem traditionellen und religiös konservativen Dorf immer wieder zur Sprache kommt ist eine fehlende Hebamme, auch sollte die Krankenstation ausgebaut werden, heißt es. Auf die Frage, warum keine der Frauen im Dorf sich zur Hebamme ausbilden lasse, antworten die Dorfvorsteher, das ginge nicht, denn eine Frau dürfe nicht ohne männliche Begleitung nach Kassala, um dort eine Ausbildung zu erhalten. Die Frauen dürfen nur in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds mit dem Reporter sprechen. Sie sagen, sie würden sich schon gerne ausbilden lassen, aber das ginge eben nicht.
Und so wird weiterhin keine Hebamme hier vor Ort sein. Bei Schwangerschaftsproblemen müssen die Frauen weiterhin über die schlechte Straße nach Kassala gebracht werden. Die Traditionen verhindern in der schwierigen Situation in diesen abgelegenen Dörfern Lösungsansätze. Man hofft auf Hilfe von außerhalb, von der Regierung in Khartum und von internationalen Hilfsorganisationen. Ansonsten solle das Leben hier einfach so weitergehen wie bislang, nur eben mit kleinen Veränderungen und Verbesserungen, so erklären es eigentlich alle mit denen ich hier in diesen Dörfern rede.

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Der Sudan, ein Land im Aufbruch, ein Land im Umbruch, ein Land mit vielen Widersprüchen und auch ein Land voller Probleme. Die Menschen im Sudan und vor allem die Frauen haben durch ihre friedliche Revolution viel erreicht, das Fundament für einen Neuanfang gelegt. Ob der Sudan diesen Wandel erfolgreich meistern kann, liegt auch an der internationalen Gemeinschaft. Die Menschen im drittgrößten Land Afrikas haben diese Chance nach 30 Jahren Diktatur verdient.