von Eckhard Mieder
Neulich fiel es mir während einer sonntäglichen Autofahrt ins Bergische Land auf. Ich schaltete das Radio ein, um den Verkehrsstand auf den Autobahnen zu erfahren, und geriet in die davor gesetzten Nachrichten, in die Verbal-Häppchen, die heutzutage als Radio-Nachrichten für das hungrige Welt-Ohr ausgegeben werden. Die Kurz-Rede ging unter anderem von den Aktivisten, die in Hongkong demonstrierten.
Vor der Autofahrt hatte ich nach dem Frühstück in der Zeitung von Klima-Aktivisten gelesen; es gab eine Affinität und Diversität zwischen ihnen und den Aufrührern der Extinction Rebellion. Nicht lange davor erfuhr ich, dass der thüringische CDU-Chef Mike Mohring „CDU-Rebellen“ kontert, während in Syrien irgendwelche Rebellen gegen Assad (oder für ihn?) schossen. Auch gab es Aktivisten in Nordsyrien, und Aktivist*innen besetzen – ein Akt der Revolte oder Rebellion? – ein seit langer Zeit leer stehendes Haus in Berlin. Außerdem retten Aktivisten auf dem Mittelmeer Menschen aus der Seenot beziehungsweise agieren Aktivisten und Rebellen im Ukraine-Konflikt. Etc. pp.
Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass es auf dieser Welt mehr Aktivisten und Rebellen als Bienen gibt. Es wimmelt von ihnen, um mich herum. Und ich stellte fest: Wenn ich alles Mögliche bin, eines bin ich nicht, ich bin kein Aktivist. Und der Rebell in mir meldet sich nur noch selten und bellt ein bisschen; ich sollte ihn eher einen Nörgler oder Motzer nennen, nicht einen Rebellen. Denn vor Rebellen habe ich Respekt. Obwohl … Oder …
Ich fuhr so dahin auf der A 5. Ich wollte zur Tropfsteinhöhle nach Wiehl, um mit Frau, Tochter und zwei Enkelkindern in die Erde hinabzusteigen. Ein aktiver Ausflug in die Natur, friedfertig und mit dem sanften Grusel des gesicherten Dunklen.
Aber mich ließen die Aktivisten und Rebellen nicht in Ruhe. Sie zogen mir durch den Kopf wie die eine oder andere Demonstration durch eine Stadt.
Sollte ich nicht besser „Aktivisten“ und „Rebellen“ denken? Wenn sie so massenhaft daherkommen und in den Medien massenhaft aufmarschieren und für sehr verschiedene Haltungen, Tätigkeiten, Kämpfe etc. herhalten – dann können sich unter so hochwölbenden und unter sich allerlei Diversitäten versammelnden Begriffen alle einfinden, die aus dem Tritt bürgerlich-gemächlichen Ganges geraten? Wenn es sich um quasi wertfreie Begriffe handelt – , dann ist der gewesene Rebell Joschka Fischer der Papi des heutigen demonstrierenden Jungnazis. Dann ist die Aktivistin Greta Thunberg die Tochter von Erika Steinbach. Dann ist Edward Snowden als Aktivist ein Enkelsohn des „Aktivisten der faschistischen Arbeit“ Adolf Eichmann. Allerdings werden aktive Rechte und Ultrarechte nicht „Aktivisten“ und „Rebellen“ genannt. Logisch ist das nicht.
Oder die Journalisten und Politiker wissen nicht genau, wer sich hinter den „Rebellen“ und „Aktivisten“ verbirgt? Muss ja auch schnell gehen, die Zeit, jeden Akteur genau zu erkennen und zu benennen –, die hats eben nicht. Folglich passt das Etikett auf alles, was auf dem Prokrustes-Hackklotz zu handlichen Verbal-Würfeln gehauen wird. „Aktivist“ / “Rebell“ – sitzt, passt, wackelt und hat Luft.
Und ich darf mich korrigieren. Wieso bin ich kein Aktivist? Ich bin einer, weil ich ein zielbewusst und energisch handelnder Mensch bin. Sagen wir verhalten: sein kann. Als solcher bin ich übrigens einmal in meinem Leben als „Aktivist der sozialistischen Arbeit“ ausgezeichnet worden.
Ich erinnere mich nicht mehr genau; ich gehörte einem Kollektiv an, das als solches geehrt wurde. Ich glaube, es gab 50 Mark Prämie, für jeden. Ich erinnere mich auch nicht daran, etwas besonders Anderes gemacht zu haben als zu arbeiten. Das konnte reichen für eine Medaille; die sozialistische Arbeit war schließlich keine Disziplin des Leistungssports.
Und darf ich mich nicht auch Rebell nennen, weil ich vor wenigen Jahren noch in Demos mitgelaufen bin? Die Protestierer wurden allerdings in Zeitungen und Polizeiberichten gern als Chaoten oder als Extremisten bezeichnet. Da hatte die Werte-Freiheit eines Über-Begriffs ihre Grenzen und die Zuordnung – saß, passte und wackelte nicht und hatte Luft. Und wie oft habe ich in meinem Leben schon die Fäuste geballt in der Hosentasche … Man kann ja auch Rebell sein, wenn man nicht in Lumpen oder mit Lumpen herumläuft. Wenn man die bürgerlichen Umgangsformen beherrscht, eine Krawatte binden kann und Manon Lescaut nicht für eine belgische Biersorte hält.
„Aktivist“ klingt irgendwie nach was Gutem. „Rebell“ klingt irgendwie nach was Schlechtem? Aber sind die Rebellen, die gegen Assad kämpfen – ja, was sind das für welche? Oder die in der Ukraine? Die guten? Weil „wir“ es behaupten? War Robin Hood ein guter Rebell, wirklich? Sind die CDU-Rebellen gut oder schlecht, und sind sie einfach nur ungezogen und – nun, rebellisch. Oder hilft „gut“ und „schlecht“ sowieso nicht, weil Einigkeit herrscht: „Rebellen“ und „Aktivisten“ sind nun mal halt so Begriffe, und wer unter dem einen, wer unter dem anderen erfasst wird –, hängt davon ab, wo man den oder jenen sehen möchte. Es könnte helfen, nach ihren Zielen zu fragen; kennen wir die genau? Ich weiß sie nicht mal genau von den benachbarten Gelbwesten, deren Aktionen mir in Frankfurt am Main näher sind als die Aktionen der Hausbesetzer im fernen Berlin.
Ziemlich schwammig das Ganze, meiner Ansicht nach.
Mir sind, folge ich den Berichten, zu viele Aktivisten und Rebellen unterwegs. Sie bedrängen mich und stellen mich vor die Frage, ob ich nicht endlich auch in die Puschen komme und aktivistisch und rebellisch werden will. Wir brauchen Aktivist*innen und Rebell*innen; wobei eben das ist nicht sicher, weil ja jeder und alles darunter fällt. Also: Es gibt genug zu tun; mit der schlaffen Ergänzung „ … lassen wir es liegen“, kommst du nicht durch, wenn du dich beiseite hältst.
Als ich mit den Enkelkindern in die Tropfsteinhöhle von Wiehl hinabstieg – das Gangsystem ist 868 Meter lang – fühlte ich mich immerhin als Aktivist des Großvatertums. Ich sah verblüfft, dass im künstlichen Licht der Lampen und in der hohen Luftfeuchtigkeit leuchtend grün Farn, Flechten und Moos wuchsen; das Grünzeug ließ sich täuschen: Es hielt das elektrische Licht für die Sonne.
Da unten hörte ich von der Höhlen-Erklärerin zum ersten Mal im Leben vom Stalagnaten. Der entsteht, wenn ein Stalaktit und ein Stalagmit zusammenwachsen. Von oben nach unten, von unten nach oben, bis sie sich treffen. Von der Natur lernen heißt Neues lernen. Es mag ein bisschen an den Haaren herbeigedichtet sein, ich erfand für mich den Begriff „Aktibell“. So einer, glaube ich, bin ich.
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